„Irgendwie Anders” „Das ist ein absolutes Privileg – was für ein absurdes Leben ich gerade führe“: Wincent Weiss im Interview

Wir erwischen den Sänger zum Interview an einem sonnigen Herbsttag in Österreich, wo er am Vorabend ein Konzert spielte.

Das Leben von Wincent Weiss wurde vor drei Jahren auf den Kopf gestellt. 2013 sang der damals 20-Jährige bei „Deutschland sucht den Superstar” unter den letzten 29 Kandidaten, schied dann aus. Kurz danach wurde er mit einer am Klavier begleiteten Coverversion des Songs „Unter meiner Haut” der Sängerin Elif auf YouTube bekannt. Zwei Jahre später spielten das Erfurter DJ-Duo Gestört aber GeiL und Koby Funk einen Remix aus der Akustik-Version, der im Juli 2015 Platz Sechs der Deutschen Single-Charts erreichte. Es folgte das mit Platin ausgezeichnete erste Album „Irgendwas gegen die Stille”. Im April 2019 brachte der 26-Jährige seine zweite Platte „Irgendwie Anders” heraus. Damit tourt er ab November durch Deutschland und Österreich und macht am 19. November 2019 auch Halt in Leipzig. Wir erwischen den Sänger zum Interview an einem sonnigen Herbsttag in Österreich, wo er am Vorabend ein Konzert spielte. 

© Christoph Köstlin

Du bist seit Beginn deiner Karriere fast permanent auf Tour. Verlierst du manchmal den Überblick darüber, in welcher Stadt du gerade bist?

Ja, also manchmal, gerade, wenn ich im Nightliner bin und morgens aufwache, denke ich schon „In welcher Stadt bin ich gerade?“ Ich hatte das schon extrem, als ich zwei oder drei Konzerte am selben Tage hatte – immer in einer anderen Stadt. Dann wird es schon irgendwann schwieriger. Wenn meine Mutter mich dann manchmal fragt, wo ich die Woche über gewesen bin, muss ich schon in den Kalender schauen, sonst würde ich das gar nicht mehr zusammen bekommen.

Hast du dich an das unterwegs-Sein gewöhnt?

Ich glaube schon, dass ich irgendwann mal eine kleine Auszeit bräuchte, einfach eine kleine Pause. Um zu realisieren, was gerade passiert. Denn das kriege ich, glaube ich, gar nicht alles richtig mit – weil immer alles tierisch schnell geht. Ich bin seit drei Jahren durchgängig auf Tour und hatte noch gar keine Pausen zwischendurch. Auch so Awards und Preise – das habe ich alles noch nicht richtig realisiert.

  

Du hast im September die „Goldene Henne“ als „Beliebtester Musiker“ abgestaubt. Es ist einer von inzwischen vielen Preisen. Ist so eine Trophäe trotzdem etwas Besonderes für dich?

Immer. Gerade bin ich ja noch sehr frisch in der ganzen Musikbranche. Und da bei Preisverleihungen gleichgestellt zu werden mit anderen Künstlern, die schon viel länger im Geschäft sind, wie z.B. Peter Maffay oder Rammstein … Das ist schon die größte Ehre. Wenn man dann noch gewinnt, ist das unfassbar. Wirklich nicht in Worte zu fassen, was da gerade passiert innerhalb von drei Jahren. Wir haben das ausgiebig gefeiert – ich war erst morgens um 7 Uhr im Hotel. Ohne meinen Rucksack, den habe ich im Taxi vergessen. Darin war auch die „Henne“. Wir haben dann den Fahrer angerufen und er kam wieder zurück. Nur hatte der nicht mehr so gute Laune …

Du hast schon seit einer Weile keinen festen Wohnsitz.

Ja, den habe ich auch immer noch nicht. Das lohnt sich einfach nicht. Ich habe das mal versucht, dass ich eine Wohnung hatte und dann war ich alle zwei Monate mal einen Tag da. Aber nächstes Jahr möchte ich das unbedingt machen. Da habe ich mir einen ganz anderen Jahresplan gelegt und auch mehr Freiräume eingeplant. So, dass ich auch öfter mal wieder zu Hause sein kann. In den letzten drei Jahren war ich jeweils 350 Tage nicht zu Hause, sondern immer in Hotels. Man lebt aus dem Koffer. Wenn ich in München bin, schlafe ich bei meinem besten Freund auf dem Sofa, da fühle ich mich pudelwohl. Aber nächstes Jahr möchte ich mein eigenes Bett haben.

Wo sollte das stehen?

Rein beruflich würde ich nach München ziehen wollen. Dort wohnt mein Produzent und auch mein bester Freund, mit dem ich auch zusammenarbeite. Und da möchte ich auch ein eigenes Tonstudio aufbauen. Aber wenn ich mir aussuchen könnte, wo ich wohnen möchte, würde ich eigentlich gern wieder in die Heimat in den Norden ziehen. Ich komme ja aus Lübeck, da in der Ecke. Meine Schwester, meine Mutter und meine Großeltern wohnen dort noch, im Umland.

Du hast 2018 im „Tabaluga“-Film dem kleinen Drachen deine Stimme geliehen. Was verbindet dich mit dieser Geschichte und ihrem berühmten Schöpfer Peter Maffay?

Tabaluga hat mich in meiner Kindheit begleitet. Damals eher als animierte Zeichentrick-Figur oder Maskottchen der Kinder-TV-Sendung, in der die Kandidaten am Ende immer über den Eisschollen-Weg gehen mussten. Natürlich kenne ich auch die Lieder von Peter Maffay, seitdem ich klein war. Und als ich ihn dann kennengelernt habe, mit ihm gesprochen habe … Das ist einfach Wahnsinn – er hatte gerade 50-jähriges Bühnenjubiläum. Das ist unvorstellbar, wirklich, Hut ab.

© Presse Landstreicher
Könntest du dir das für deine Zukunft auch vorstellen?

Also, Musik machen möchte ich auf jeden Fall. Ich glaube, wenn dann irgendwann der Punkt kommt mit Familie und Kindern, sollte ich das Tour-Leben runterschrauben. Dann kann und will ich nicht an 350 Tagen im Jahr weg sein. Aber ich würde gern mein Leben lang Musik machen – das wollte ich immer. Und wenn ich in 50 Jahren noch auf der Bühne stehen kann, gerne. Ich könnte mir aber auch vorstellen, im Hintergrund zu arbeiten – Songs zu schreiben, andere Künstler mit aufzubauen. Das mache ich jetzt auch schon ein bisschen und das macht mir auch wirklich viel Spaß.  Für mein erstes Album zum Beispiel habe ich 35 Songs geschrieben, für das zweite 20, aber nur 13 sind auf der Platte. Und dann überlegt man schon: „Dieses Lied könnte vielleicht zu dem Künstler gut passen.“ Dann schicke ich denen die Songs direkt. So ist ein Song, den ich geschrieben habe, auf dem Album von Helene Fischer gelandet. Das ist ein absolutes Privileg – was für ein absurdes Leben ich gerade führe.

Fehlt dir manchmal das Leben eines „normalen“ und anonymen Mitt-Zwanzigjährigen?

Es hat natürlich alles seine Vor- und Nachteile. Klar finde ich es schade, dass ich gerade die Anfang-Zwanziger, die andere voll ausleben – ich will nicht sagen, verpasse, aber einfach anders erlebe. Manchmal fehlt mir auch die Anonymität, ja. Klar gibt es Momente, zum Beispiel wenn wir morgens ohne Frühstück, ungeduscht und ohne Zähne zu putzen aus dem Tourbus fallen, in denen möchte man nicht unbedingt als Erstes Fotos schießen, bevor man in den Tag startet. Meistens ist das aber eher der Fall, wenn ich mit meiner Familie unterwegs bin.

Auf der anderen Seite bin ich natürlich total dankbar, weil ich weiß: Die Menschen, die mich gerade nach einem Foto fragen, berühre ich mit meiner Musik. Darüber freue ich mich jedes Mal sehr. Ich habe auch noch nie ein Foto abgelehnt. Natürlich wünscht man sich ein wenig Respekt vor der Privatsphäre, aber ich kann es auch total verstehen, wenn man diesen einen Moment nutzen möchte, um nach einem Bild zu fragen. Das würde ich wahrscheinlich auch so machen.

Gibt es denn jemanden, ein „Idol“, den du um ein Foto bitten würdest?

Ich hatte das damals mit Chester Bennington. Mit dem war ich einmal beim „Echo“, wir sind beide während der Verleihung aufgetreten und hatten auch unsere Garderoben nebeneinander. Da habe ich dann gedacht, ich störe ihn besser mal nicht. Kurz danach ist er leider verstorben. Ein wenig ärgere ich mich, dass ich von meinem „Held“, mit dem ich aufgewachsen bin, kein Bild für die Ewigkeit habe. Trotzdem werde ich diesen Moment natürlich in meiner Erinnerung behalten.

Du gehst im November auf Tour in Deutschland und Österreich, füllst Stadien und Arenen. Mit welchem Gefühl gehst du auf diese großen Bühnen?

Es ist immer etwas Besonderes. Das ist eine Tour, mit der wir nie gerechnet hätten. Ich habe mir damals vorgenommen, in Hamburg die Docks, die „Große Freiheit“, zu füllen. Da passen rund 1.500 Menschen rein. Ich dachte, irgendwann – vielleicht mit dem vierten oder fünften Album – möchte ich dort mal vor ausverkauftem Saal spielen. Und dann haben wir das in der zweiten Tour – ohne, dass das erste Album überhaupt draußen war – ausverkauft. Ab da war für mich der Punkt, mir musikalisch keine Ziele mehr zu setzen. Das war absolut absurd. Und jetzt kommt so eine Arena-Tour. Meine Band und ich, wir schütteln manchmal den Kopf. Es steigert sich einfach immer weiter. Klar spiele ich auch gern in kleinen Clubs, aber so vor vier- bis fünftausend Menschen kann man auch eine tolle Bühnen-Show liefern.

Auf Tour gehst du mit deinem aktuellen Album „Irgendwie Anders“. Kannst du in Worte fassen, was für dich „anders“ ist?

Irgendwie ein bisschen von allem. Der Hauptaspekt ist das Album an sich. Bei meiner ersten Platte habe ich mir noch sehr viel sagen lassen, auch von der Plattenfirma. Klar, das war hundertprozentig ich, ich stehe voll dahinter. Aber ich wusste auch noch nicht genau, wie ich klinge, wie man produziert. Bei meinem zweiten Album habe ich mich mit dem Produzenten „eingeschlossen“ und wir haben es genauso gemacht, wie wir es wollten. Wir hatten einen genauen Plan. Ich wusste exakt, worüber ich schreiben und welche Geschichten ich erzählen wollte. Das war eine komplett andere Herangehensweise. Deshalb war auch der Titelsong „Irgendwie Anders“ für mich der perfekte Album-Name. Da gibt es Songs, die viel gewagter und rauher sind. Das war komplett neu für mich.

Trotzdem arbeitet ihr schon an der nächsten Platte. Wann wird das neue Album erscheinen?

Wir haben gerade erst angefangen. Wir sind ja erst seit sechs Monaten mit „Irgendwie Anders“ unterwegs – mit dem ersten Album waren es zwei Jahre. Von daher werden wir uns damit Zeit lassen. Ich möchte mir keinen Druck machen. Dieses Mal möchte ich das Album fertig haben und erst, wenn ich hundertprozentig zufrieden bin, gebe ich es der Plattenfirma und möchte darüber nachdenken, wann es herauskommt. Nicht in umgekehrter Reihenfolge. Dann kommt auch ein besseres Ergebnis heraus.

Wincent Weiss „Irgendwie anders Tour“ 2019

19. November 2019, Arena Leipzig | Einlass: 17:30 Uhr, Beginn: 19 Uhr

Tickets ab 37 € zzgl. Geb.