Was Corona für die Tille und die Leipziger Clubszene bedeutet „Ein Club ist ein geplanter Regelverstoß“ – Im Gespräch mit Distillery-Chef Steffen Kache

Wir haben mit dem Geschäftsführer der Distillery, Steffen Kache, darüber gesprochen, was das Corona-Virus für die Tille und die anderen Leipziger Clubs bedeutet.

Wenn eins in Zeiten der Pandemie definitiv tabu ist, dann sind das wohl Clubbesuche: So schade wir das finden, Tröpfchenübertragung gehören in Clubs nun mal dazu und einen Virus kann man nicht an der Garderobe abgeben. Wir haben mit dem Chef der Distillery, Steffen Kache, darüber gesprochen, was das Corona-Virus für die Tille und die anderen Leipziger Clubs bedeutet.

© Presse Distillery

Steffen, wie lange ist die Distillery jetzt schon geschlossen?

Am 13. März 2020 hätten wir „Digitalism“ gehabt, das war die erste Veranstaltung, die gecancelt wurde. Wir sind also schon seit über drei Monaten geschlossen.

Wie sehr fehlen dir die Tille und das Nachtleben in diesen Zeiten persönlich?

Es ist eine total beschissene Situation. Ich gehe jetzt in den Laden, und alles ist leer. Wir hatten halt gerade im März und April echt ein geiles Programm und mussten alles mit einer Vollbremsung absagen. Die Angst, das finanziell nicht überleben zu können, ist zum Glück nicht mehr so krass. Aber für das Team ist es schlimm, die Nähe geht verloren. Wir planen jetzt, in unserem Garten Veranstaltungen zu machen und fangen an, den herzurichten.

  

Gibt es schon konkrete Pläne für Open-Air-Veranstaltungen?

Wir hatten schon ein konkretes Konzept, ja: Wir wollten auf der großen Freifläche neben dem Club Beachvolleyballplätze und eine Bühne aufbauen, sodass Leute dann mit Abständen in Gruppen sitzen und sogar tanzen können. Da haben wir letzte Woche mit angefangen, aber wir mussten das Vorhaben aus Artenschutzgründen direkt wieder stoppen. Eigentlich hatten wir vor, dass dort nicht nur die Distille Veranstaltungen machen kann, sondern auch viele andere Orte in der Südvorstadt, die selber keine Außenflächen haben, zum Beispiel die naTo oder die Cammerspiele. Das geht erstmal nicht, deswegen ziehen wir uns in den Garten zurück.

Immer wieder hört man: „Clubs werden als erstes geschlossen und dürfen als letztes wieder öffnen“. Ist ja auch logisch: Feiern mit Mindestabstand klingt fast schon unmöglich, oder? Ist für euch eine Öffnung mit Hygienekonzept überhaupt eine Option?

Nein. Wir haben bundesweit mit anderen Clubs darüber diskutiert und sind der Meinung, dass das nicht funktioniert. Erstens kannst du dann maximal 20 Prozent der Gäste reinlassen. Jede Veranstaltung würde gezielt Miese machen und wir würden die finanzielle Situation noch verschärfen. Außerdem: die Nähe! Ein Club muss voll sein. Da wollen die Leute eng zusammen sein, da ist es laut, da kommt man sich nah. Ein Club ist ein geplanter Regelverstoß, man will seinen Kopf abschalten und nicht immer über irgendwas nachdenken müssen. Wenn man die ganze Zeit darüber nachdenken muss, sich zu desinfizieren, Mundschutz zu tragen, Abstand zu halten: Das funktioniert ab einer bestimmten Uhrzeit einfach nicht. Das macht keinen Sinn und keinen Spaß. Und wir würden auch einfach unsere Identität damit verleugnen. Clubkultur ist doch genau das: Die Nähe und das Ausrasten. Wenn das nicht geht, dann können wir es auch lassen.

Gerade streamt ihr Sets online: Das ist bestimmt praktisch für alle, die vor allem die gute Musik vermissen. Wie kann man sich denn die Distillery-Vibes nach Hause holen?

United We Stream wird Mitte Juni leider schon wieder eingestellt. Wir als Distillery versuchen dann, einen eigenen YouTube Kanal zu machen. Wir haben aber auch festgestellt, dass das Interesse am Streaming nachgelassen hat. Es ist einfach nicht das, was einen Club ausmacht. Ein DJ braucht den Kontakt zum Publikum, Streaming ist wie Trockenschwimmen.

An eurem jetzigen Standort entsteht ein Wohngebiet, der Tille steht deshalb ein Umzug Richtung Süden (Projekt Gleisdreieck) bevor. Wann zieht ihr um und wie weit seid ihr mit der Planung?

Das alte Bahnkraftwerk, in das wir ziehen, muss komplett saniert werden. Das ist ein Riesenaufwand. Wir gehen davon aus, dass wir dafür noch mindestens zwei Jahre brauchen. An unserem jetzigen Ort können wir bis März 2022 bleiben. In zwei Jahren wird es dann im Sommer wohl eine längere Pause geben und wir hoffen, dass wir das schaffen. Wir brauchen da auch jede Menge Fördermittel, und die Zeit läuft davon.

  

Mit anderen Clubs bist du im LiveKommbinat vernetzt – nicht erst seit Corona. Wann und warum habt ihr das gegründet?

Das LiveKommbinat ist quasi der Zusammenschluss der Leipziger Clubs in der LiveKomm, also im Bundesverband. Die wurde 2013 gegründet, und unser erstes Erfolgserlebnis hatten wir vor zwei Jahren, als wir die Sperrstunde abgeschafft haben. Wir sind jetzt mittlerweile als Institution in Leipzig anerkannt, haben uns Gehör verschafft und gute Kontakte in die Stadt. Jetzt gerade erarbeiten wir ein Konzept für einen Nachtbürgermeister und es gibt Pläne für einen Clubkataster und eine Clubstudie. Wir treffen uns gerade im Krisenmodus jede Woche, es sind 20 Clubs dabei und geben echt Gas. 

© Presse Distillery

„Clubkultur ist doch genau das: Die Nähe und das Ausrasten. Wenn das nicht geht, dann können wir es auch lassen.“

Wie geht‘s denn den anderen Clubs?

Es ist gerade kein Club akut bedroht, bloß bei einem gibt es Probleme, weil der Vermieter rumzickt. Ansonsten ist es aktuell safe, bis Ende des Sommers sind alle okay. Es hängt natürlich alles davon ab, wann wir wieder aufmachen können und wann Hilfen vom Bund kommen. Das IfZ hat jetzt auch einen Biergarten eröffnet, das mjut versucht, outdoor was zu machen, im Eli wird wie verrückt umgebaut. Alle versuchen, jetzt irgendwie an den Start zu kommen. Was natürlich sehr geholfen hat, war das Soliticket.

  

Wie funktioniert das?

Mit dem Soliticket verkaufen wir ein Ticket für eine Veranstaltung, die wir Leipziger Clubs irgendwann in der Zukunft gemeinsam machen wollen, wann immer das wieder geht. Also es ist echt eine Investition in die Zukunft – und wir waren komplett baff und dankbar, dass uns da so viele Leute unterstützt haben. Da sind über 100.000 Euro zusammen gekommen und wir haben schon einigen Clubs helfen können. Es gibt einen Feuerwehrtopf: Der ist dafür da, Clubs zu helfen, bei denen es richtig brennt. Der andere Teil wird gleichmäßig über alle Clubs verteilt.

Dafür, dass ihr auch KonkurentInnen seid, klingt das ziemlich solidarisch. Hat die Krise den Zusammenhalt zwischen den Leipziger Clubs nochmal verstärkt?

Ja. Hätten wir nicht diese Netzwerke, in Leipzig oder auf Bundesebene, dann wären einige Clubs jetzt schon pleite. Nur durch die gemeinsame Kraft konnten wir uns eine Stimme verschaffen, jeder einzelne Club alleine wäre machtlos. Klar sind wir Konkurrenten, aber wir befruchten uns auch gegenseitig. Konkurrenz belebt das Geschäft. Es ist sogar besser, wenn es mehr Clubs gibt: Dann ist die ganze Szene größer und stabiler.

  

Wenn es um eure Existenz ging, waren eure Gäste bisher immer da: In den 90ern wurde schon für den Erhalt der Distillery demonstriert, jetzt unterstützen sie euch neben den Soli-Tickets auch über ein eigenes Crowdfunding. Wofür wird das Geld genutzt?

Ich stecke das ganz konkret in Personalkosten. 50.000 Euro sind zusammen gekommen, da gehen Mehrwertsteuer und andere Kosten weg, und es bleibt nur die Hälfte übrig. Wenn man dann noch weiß, dass die Kosten bei so einem Club monatlich zwischen 10.000 und 15.000 Euro liegen, dann ist das auch schnell wieder weg. Und wir unterstützen natürlich finanziell die Planungskosten für unser neues Projekt.

Langfristig retten euch wahrscheinlich nicht die Gäste alleine. Wie hilft euch gerade die Politik, fühlt ihr euch angemessen unterstützt?

Wir waren von dem Bundesprogramm, das rausgekommen ist, baff – im positiven Sinn. Bei der LiveKomm auf Bundesebene gab es Verhandlungen mit dem Wirtschafts- und Kultusministerium. Das, was wir dort gefordert haben, ist durchgekommen. Die Bundeskultusministerin hat in einem Interview explizit gesagt, dass Clubs eine ganz zentrale Rolle spielen und als kulturelle Einrichtung anerkannt werden sollen. Das ist das, was wir die ganze Zeit fordern! Wenn die Gelder jetzt für sinnvolle Projekte eingesetzt werden, dann hilft uns das auf jeden Fall. Aber das Finanzielle ist nur das eine. Das andere ist: Die Clubs haben ja Teams und ein Stammpublikum. Wir leben davon, im engen Kontakt miteinander zu sein. Im Team, aber auch mit den Gästen. Je länger es dauert, dass diese Pause da ist, desto weiter entfernen wir uns voneinander. Niemand hat Lust, Ewigkeiten nichts zu tun. Viele der Crewmitglieder suchen sich vielleicht andere Jobs, die Kompetenz, die wir uns über Jahre aufgebaut haben, geht verloren. Das ist für mich das größere Risiko: dass die Crews auseinander gehen, dass wir uns ein neues Stammpublikum aufbauen müssen, dieses ganze emotionale Thema.

© Carolin Schreier

„Wir bringen eine ganz konkrete kulturelle und künstlerische Leistung“

Warum wurde denn die Bedeutung von Clubkultur trotzdem so oft unterschätzt – gerade in einer Stadt wie Leipzig, die seit Jahren als coole Stadt hochgejazzt wird?

Die Leute dachten alle, Clubs wären Discos – und viele denken das immer noch. Wir haben jetzt jahrelang Lobbyarbeit gemacht, um der Politik zu zeigen: Clubs sind mehr als Drogenhöhlen, die Krach und Dreck machen. Wir bringen eine ganz konkrete kulturelle und künstlerische Leistung. Wir entwickeln Künstler und bieten ihnen Plattformen. Ein Club ist viel mehr als nur Musik, auch der soziale Aspekt spielt eine riesengroße Rolle: dass Leute zusammen kommen und sich austauschen. Das verändert die Menschen und die Gesellschaft an sich. Diese ständige Arbeit und das ständige Reden hat dazu geführt, dass einige mehr verstehen, worum es geht, als früher. Gerade in einer Stadt wie Leipzig: Es sickert durch, dass auch die Clubkultur dazu führt, dass die Welt nach Leipzig schaut.

Wie können wir denn die Clubs noch als Einzelpersonen unterstützen?

Es gibt nach wie vor die Möglichkeit, das Soliticket zu kaufen. Wenn es Demonstrationen gibt, die auf die Wichtigkeit von Clubkultur aufmerksam machen: Nehmt daran teil. Und wenn die Freisitze aufmachen: Bitte hingehen, auch, wenn es keine Party ist. Das hilft den Clubs auch.

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