Eisenbahnstraße? „Es wird viel aufgebauscht!“ Ein Tag mit: der Bürgerpolizei Eisenbahnstraße

Für einen Tag hefteten wir uns an die Fersen der Bürgerpolizei auf der „schlimmsten Straße Deutschlands“ !?!

Drogenhochburg, Gefahrenzone, Bandenkriegsschauplatz – Schlagworte, die auch dem wohlwollenden Überzeugungs-Leipziger sofort in den Sinn kommen, wenn er nach ihr gefragt wird. Manch einem Pressebericht nach müsste sie einer gesetzlosen Wildwestmeile gleichen, die „schlimmste Straße Deutschlands“ wollte man in ihr schon erkannt haben. Gemeint ist die Eisenbahnstraße im Leipziger Osten. Wie aber sieht es jenseits dieser Pauschalurteile aus? urbanite hat sich in der Reihe „Ein Tag mit …“ an die Fersen der Bürgerpolizisten geheftet, die hier seit August 2014 regelmäßig auf Streife sind. 

© Lucas Böhme
Für Holger Schmid, Sybille Möser und Christian Seiffert beginnt der Arbeitstag auf der Eisenbahnstraße um 10 Uhr morgens. Dann beziehen die drei Beamten aus dem Revier Innenstadt ihr 20-qm-Büro in der Hausnummer 49, bauen die Technik auf und halten ihre tägliche Besprechung über aktuelle Aufgaben ab. Seit Eröffnung des kleinen Polizeipostens Anfang August 2014 bildet das Trio die Stammbesetzung dieser Außenstelle.
Als sogenannte Bürgerpolizisten verfolgen Polizeihauptkommissar Schmid und sein kleines Team einen vertrauensbasierten Ansatz der Polizeiarbeit. Nicht Repression steht im Vordergrund, sondern die Kontaktaufnahme -und pflege zu Gewerblern, Vereinen und Gruppen im Bereich der Eisenbahnstraße und der angrenzenden Gebiete. Daneben werden Anzeigen entgegengenommen und kleinere Ermittlungsanfragen bearbeitet. Der Schutzmann als netter Ansprechpartner, kompetenter Sicherheitsgarant, umsichtiger Freund und Helfer. Tatsächlich? „Vorbehalte gibt es“, räumt Schmid auf die Frage nach der Reaktion der Anwohner ein. Offene Feindseligkeiten blieben aber bisher aus, und im Großen und Ganzen wird die Präsenz der Beamten gut aufgenommen, von den Deutschen, aber auch von Migranten, betont Schmid. 

Streifgang auf der Eisenbahnstraße

Gegen halb zwölf beginnt der erste Streifengang. Mit obligatorischer Schreibmappe unterm Arm läuft Holger Schmid gemeinsam mit Polizeihauptmeisterin Sybille Möser die erste Route durchs Viertel, während Kollege Christian Seiffert im Büro die Stellung hält. In einem benachbarten Haushaltswarengeschäft bleibt Zeit für einen lockeren Plausch mit dem Ladeninhaber. Bei dem scheinen die Polizisten gut anzukommen.

© Lucas Böhme
Doch auch auf der Straße werden Schmid und Möser mehrfach freundlich gegrüßt, während zwei Jugendliche die Ordnungshüter aus der Ferne argwöhnisch beäugen. Angesprochene Passanten reagieren meist positiv: „Es gibt einem schon ein Gefühl von mehr Sicherheit, dass die Polizei hier ist“, zeigt sich eine ältere Dame überzeugt. In erster Linie geht es den Bürgerpolizisten nicht um Kontrollen oder Festnahmen, sondern um Vertrauen. Die allzu hohen Erwartungen an die Polizei und die Unmöglichkeit, es allen recht zu machen, machen Schmid schon längst nichts mehr aus. Eher ärgert es ihn, dass die Polizei immer noch als Einheit gesehen wird. „Dabei bestehen doch zwischen uns und etwa der Bereitschaftspolizei riesige Unterschiede.“ Auch Kollegin Möser bestätigt: „Der Erwartungsdruck ist oft riesig, und mitunter frustriert es, nicht überall sein zu können. Und der Respekt hat gegenüber früher nachgelassen.“
Möser ist seit 1993 bei der Polizei und ergriff die Chance, aus dem stressigen Schichtdienst in geregelte Dienstzeiten als Bürgerpolizistin wechseln zu können. Grobe Verbalattacken oder gar Gewalt hat sie in mehr als zwanzig Berufsjahren nicht zu spüren bekommen. Viel häufiger seien die Standardsprüche bei Ordnungswidrigkeiten à la „Habt ihr nichts besseres zu tun?“, mit denen die erfahrene Beamtin aber umzugehen weiß.

Sie und ihr Kollege erreichen den Rabet. Alles ist ruhig, und so verläuft auch der Alltagsbetrieb für die Beamten: Routiniert und unspektakulär. Gewaltexzesse haben sie hier seit ihrem Dienstantritt noch nicht erlebt. Doch die Schießereien im Jahr 2013 oder die Auseinandersetzung zwischen zwei Familienclans mit mehreren Schwerverletzten bleiben im Gedächtnis haften. „Dennoch sind das keine Alltagsgeschichten hier. Es ist natürlich nicht gutzuheißen oder zu entschuldigen, was da passiert ist. Hier leben aber nun mal verschiedene ethnische Gruppen auf engem Raum, die sich mitunter nicht gewogen sind, dann kommen Armut und Arbeitslosigkeit hinzu. Viele bekommen keine Chance, jemals Fuß zu fassen. Das ist das wirklich Schlimme, und die Polizei ist eine Strafverfolgungsbehörde, die nur den gravierendsten Folgeerscheinungen entgegentreten kann,“ analysiert Holger Schmid nüchtern die Situation. Aber: „Einen rechtsfreien Raum kann die Polizei nicht zulassen.“

Die Medien bauschen viel auf

© Lucas Böhme
Dennoch erkennt Schmid kritisch: „Die Medien folgen oft ihrer eigenen Logik, es geht um Quote, reißerische Berichte. Viel wird aufgebauscht, und das ist ungerecht, weil diejenigen, die friedlich hier leben, pauschal stigmatisiert werden.“ Polizeihauptmeister Christian Seiffert hat im Büro derweil die Nachrichten im Intranet gecheckt, Anzeigen entgegengenommen und Ermittlungsersuche bearbeitet. Oft geht es um Adressüberprüfungen vor Ort, die schnell erledigt sind und die Kollegen anderer Dienststellen entlasten.

Am frühen Nachmittag folgt die zweite Tour durch den Kiez. Schmid und Möser laufen diesmal in entgegengesetzte Richtung. An einer Straßenecke treffen sie auf eine Streife, die zwei Drogenkonsumenten gestellt hat. Betäubungsmittel bleiben neben Müll und Dreck ein Dauerbrenner. Beschwerden über Junkies im Wohngebiet, die ihre Spritzen liegenlassen und sogar Kinder anpöbeln, kamen in letzter Zeit gehäuft vor, erzählt Sybille Möser. Deswegen kontrollieren sie und ihr Kollege auch mehrere Innenhöfe, doch diesmal ist nichts zu sehen. „Drogen nehmen ist das eine, aber die Folgen sind oft schlimm, auch für Unbeteiligte“, meint Polizeihauptmeisterin Möser. Als Ordnungsmacht bleibt nur Präsenz zu zeigen, doch stets im Bewusstsein, Junkies und Dealer nicht bekehren zu können. Entspannt gehen die beiden Gesetzeshüter an einigen laut grölenden und lachenden Teenagern vorbei, die auf dem Rabet Fußball spielen

Im Büro ist es heute recht still. Doch erst einen Tag vorher hatte Christian Seiffert massenhaft Anzeigen aus dem gesamten Stadtgebiet hereinbekommen. Die Palette reicht von Nötigung, Beleidigung hin zur Diebstahl und Körperverletzung. An stressigen Tagen bilden sich schon mal Schlangen von Anzeigenstellern vor der Tür. „Ich gehe nach Dringlichkeit, höre mir aber alle an, kann ja keinen wegschicken“, sagt Christian Seiffert. Doch nur „gefühlte fünf Prozent“ dieser Delikte geschähen tatsächlich im Gebiet der Eisenbahnstraße. Auf Seiffert, Schmid und Möser wartet noch einige Schreibarbeit, bevor sie um 17 Uhr zusammenpacken und zurück ins Revier Ritterstraße fahren. 

Schmid sagt abschließend: „Bis sich der Ruf des Viertels wirklich gewandelt hat, das ist eine Frage von Jahren. Dennoch bin ich im Moment ganz, ganz vorsichtig optimistisch, dass sich was Positives entwickelt.“