„Wir lieben das, was wir tun“ Ein Tag mit Kurierfahrer Markus Eisenbach

Als Kurierfahrer ist der Selbstständige täglich unterwegs und in vielfacher Hinsicht gefordert; als Fahrer, Kaufmann, Techniker und Vertrauensperson. Wir konnten ihn einen Tag begleiten, zwischen Autobahnstress, verlassenen Dörfern und riesigen Fabriken.

„Ich habe den größten Fernseher der Welt“, sagt Markus Eisenbach mit einem Augenzwinkern – was man sofort versteht, wenn man seinen Beruf kennt. Denn als Kurierfahrer ist der Selbstständige täglich unterwegs und in vielfacher Hinsicht gefordert; als Fahrer, Kaufmann, Techniker und Vertrauensperson. Wir konnten ihn einen Tag begleiten, zwischen Autobahnstress, verlassenen Dörfern und riesigen Fabriken.

© Lucas Böhme

Es ist früh am morgen, kurz vor sieben. Auf dem Firmengelände stapeln sich die in der Nacht eingetroffenen Sendungen aus ganz Europa, die heute ihre Kunden erreichen sollen. Kontrolle auf Beschädigungen, Abhaken der Listen, Planung der Tagestouren im Kopf, letzte Absprachen, Verladung – für Markus Eisenbach und seine Frau Jaqueline ist das Routine. Denn beide sind seit vielen Jahren in ihrer Branche unterwegs und kennen sie in allen Facetten. 2014 übernahmen sie als kleines Unternehmen ihr Auslieferungsgebiet, dessen Hauptradius 80 Kilometer in westliche Richtung von Leipzig reicht. Und so werden täglich hunderte Kilometer geschrubbt, hunderte Kilo vom diskreten Briefumschlag bis zur sperrigen Kiste zuverlässig an ihren Bestimmungsort transportiert. „Qualität setzt sich durch. Die Kunden folgen keinem Profil, sondern weil wir wir sind“, erklärt Markus Eisenbach. Aber: „Kein Paket ist so wichtig, dass ich dafür Kamikaze spielen muss“, stellt der 51-Jährige klar. Wir besteigen den vollen Sprinter, verlassen das Gelände.

Das täglich Brot des Kurierfahrens

© Lucas Böhme
Erste Station des Tages: Paletten für Roitzsch. Die funkelnde Morgensonne wirft ihre Strahlen auf die Landstraße. Markus Eisenbach genießt den Moment. „Viele haben den Blick für die Umwelt verloren, in der sie leben. Wir arbeiten 13 oder 14 Stunden am Tag und sind trotzdem ruhiger als manche, die acht Stunden arbeiten und dann ins Fitnessstudio gehen.“ Wir erreichen das Fabrikgelände. Eisenbach meldet sich beim Pförtner an. Der professionelle Umgang mit den Kunden gehört zum täglichen Brot und ist immer anders, sagt Eisenbach. „Manchmal ist es leger, manchmal nicht, manchmal, wenn man sich kennt, geht auch mal ein frecher Spruch. Da braucht es Fingerspitzengefühl.“ Rasch lädt ein Gabelstapler die Paletten aus und die Fahrt geht für uns weiter Richtung Wolfen. Eisenbach erzählt, wie vielschichtig der Kontakt zu den Menschen in seinem Beruf ist – ob zu Kunden oder anderen Verkehrsteilnehmern. „Manche sind schon mit dem Spruch aufgestanden: ,Verdirb‘ mir meine schlechte Laune nicht!‘ Aber ich lasse mich nicht provozieren.“ Seine Ehefrau wurde allerdings schon einmal am Telefon in „politisch nicht vertretbarer Weise“ beleidigt. Was macht trotz alledem den Reiz aus, der einen das enorme Tagespensum durchhalten lässt? „Es ist diese Mischung aus Kaufmännischem und Praktischem. Man muss Spaß am Leben und an der Arbeit haben, auch mit dem Undankbaren umgehen können“, sagt Eisenbach. Für den gebürtigen Berliner und seine Frau, von denen beide erwachsene Kinder aus früheren Beziehungen mit in die Ehe brachten, bringt die gemeinsame Arbeit zwangsläufig auch eine Vermischung von Beruf und Privatleben mit sich. Und so werden kurzfristige Wochenendfahrten schnell mal mit einem Besuch des Kölner Doms oder einer Hafenrundfahrt in Hamburg verbunden. Wie zum Beweis läutet während der Fahrt das Handy. Eisenbach mutiert kurzerhand zum einfühlsamen Zuhörer für seinen Sohn, dem gerade ein privates Problem zu schaffen macht. Auch zu seiner Frau, die ebenfalls auf Tour ist, hält er telefonisch permanent Kontakt. Haben es Frauen in der Branche schwerer? „Man hat dann vielleicht mehr Charme und sollte schwere Sachen vermeiden. Aber Frauen können das an sich genauso“, ist Eisenbach überzeugt.

Wenn den gelernten Verkehrsfachwirt bei aller Routine etwas ärgert, sind es die Kunden mit übermenschlichen Erwartungen an den Kurierdienst, Kunden, die im angegebenen Zeitfenster nicht daheim sind und sich dann beschweren. „Manche bestellen sich was im Internet, ohne darüber nachzudenken, wie es zu ihnen kommt. Und akzeptieren nicht, dass irgendwann auch für uns Schluss ist. Wenn Sie dann nicht auch mal rigoros sind, haben Sie nie Feierabend.“ Eisenbach erinnert sich an jemanden, der ihn nachts um 2:40 Uhr aus dem Schlaf klingelte, nur um nach seinem Paket zu fragen. „Dann ist es manchmal so ein Ping-Pong-Spiel an Argumenten. Aber die Masse der Kunden ist vernünftig.“ Auch skurrile Erlebnisse kommen immer mal wieder vor. Einmal bestellte sich ein Kunde seine Ware, nur um zu testen, ob das pünktliche Lieferversprechen eingehalten wird, einmal öffnete eine Frau im Negligé an der Wohnungstür, einmal – bei Frau Eisenbach – ein Mann in Unterhose. „Aber viele skurrile Sachen sind schon so normal, dass wir das Skurrile gar nicht mehr so richtig erkennen“, schmunzelt Eisenbach. Manchmal erlebt man auch Rührendes – wie eine schwer kranke Dame, der Eisenbach ihre Medikamente ausliefert. Zeit für ein längeres Gespräch lässt das enge Zeitraster nicht zu.

On the Road again …

© Lucas Böhme
Inzwischen ziehen die Stunden dahin. Wir fahren nach Zörbig, Köthen, Bitterfeld. Man gewöhnt sich langsam an den ganz eigenen Rhythmus, das Wechselspiel zwischen Bewegung und Stopp, an Wohnungstüren in kleinen Ortschaften, an Verladerampen großer Einkaufsmärkte. Manchmal reicht die Zeit für einen kurzen Plausch mit einer alten Dame vor ihrem Haus oder einem netten Logistiker, der sich die Zeit nimmt. Die Ruhe im kleinen Dorf trifft auf die hektische Anonymität in einem großen Logistik-Verteilzentrum für Drogerien mit ständiger Dynamik und rauem Ton. Man erhascht nur einen kurzen Einblick hinter die Fassade schöner Einkaufswelten und ahnt doch, was vorn passiert. Eisenbach bleibt gelassen. „Man muss die Ruhe behalten. Aber leider ist die Hatz nach dem Geld für viele lebensbestimmend geworden.“ À propos Geld. Lohnt sich der tägliche Aufwand wenigstens? Wir erfahren keine Zahlen, aber: „Man kann davon leben, reich wird man nicht“, verrät Eisenbach. „Es ist ein harter Kampf, aber wir stehen an der Stelle, wo wir sagen: ,Ja!’“ Die Verschwiegenheit bei jeder Art von Fracht schafft das nötige Vertrauen des Kunden, auf dem sich der Ruf des Unternehmens aufbaut. Auch wenn die meisten Ladungen nicht allzu wertvoll sind, gibt es immer wieder Ausnahmen. Eisenbach erinnert sich an 150 Laptops, die er mal in seiner früheren Angestelltenzeit fuhr. Auch medizinische Frachten kommen vor – ein Ohr auf Eis, ein gekühltes Serum, das zum Berliner Flughafen gebracht und dann nach Dubai weitergeflogen wurde. Vergessene Schlüssel und ähnliches sind der Klassiker für die kurzfristigen Transportaufträge, die Eisenbach und seine Frau gegen einen entsprechenden Preis ebenfalls durchführen. Angst vor Überfällen hat Eisenbach nicht. „Da geht es Taxifahrern schlimmer. Aber Diebstähle sind schon wahrscheinlicher. Man muss immer aufmerksam durchs Leben gehen.“

Einstweilen ist der Nachmittag hereingebrochen und wir sind nach anstrengender Tour zurück in Leipzig. Eisenbach und seine Frau treffen sich im Büro, können endlich mal ein wenig abschalten. Beim obligatorischen Kaffee folgt der Austausch über die Erlebnisse des Tages. Am späten Nachmittag wird der Versand für den kommenden Tag eingesammelt. Gegen 19:30 Uhr ist dann meist Feierabend mit einem kleinen Zeitfenster zum Kochen und Fernsehen. Am nächsten Morgen geht es wieder zeitig raus. „Man hält nur durch, wenn man idealistisch unterwegs ist, seinen Humor nicht verliert. Und ab und zu muss man sich auch mal was Gutes tun. Zum Beispiel haben wir uns ein neues Bett gegönnt.“ Urlaub dagegen ist für Eisenbach und seine Frau momentan nicht drin – weniger wegen des Geldes als wegen der Sorge, wer die Lücke während der Abwesenheit zuverlässig füllen könnte. Ein durchaus hoher Preis, den das Gespann Eisenbach zahlt. Aber, so sagt er zum Abschied: „Wir lieben das, was wir tun.“ Und man glaubt es sofort.