Zwischen Pfefferspray und Nächstenliebe Ein Tag mit Pfandflaschensammlerin Sabrina

urbanite hat die Pfandflaschensammlerin Sabrina einen Tag lang auf ihren Runden auf und um die Karl-Heine-Straße begleitet.

© Anna Heinze
Viele von euch werden sie kennen. Sabrina ist jeden Abend im Westen Leipzigs unterwegs und sammelt Pfandflaschen. Wir durften sie einen Abend lang begleiten. Eine Tour und eine Geschichte voller Tief- und Höhepunkte …

Seit 14 Jahren gilt das aktuelle Einwegpfand-Gesetz in Deutschland. Im Laufe der Jahre entwickelte sich vor allem in Großstädten eine Pfandsammler-Kultur, die für uns heutzutage völlig alltäglich ist. Egal ob auf Open-air- Veranstaltungen, auf der Straße oder im Park, Pfandsammler scheinen überall unterwegs zu sein. Mathias Gomille rief im Jahr 2011 die Initiative „Pfand gehört daneben“ ins Leben, da trotz der vielen Pfandsammler jährlich immer noch Flaschen im Wert von 172 Millionen Euro im Mülleimer verschwinden. Gomille wollte den Menschen bewusst machen: Was für euch wertlos ist, hilft anderen beim Überleben.

Arbeitslos durch die Wende 

Auch in Leipzig ist die Marke „Pfand gehört daneben“ durch Aufkleber u.ä. präsent, denn auch hier gibt es zahlreiche Pfandsammler. Sabrina ist eine von ihnen und erlaubte es uns, sie einen Tag zu begleiten. Wir treffen uns mit Sabrina um 17.30 Uhr vorm Westwerk. Um 17 Uhr beginnt sie ihren Arbeitstag und verlässt ihre kleine Wohnung im Leipziger Westen. Sabrina ist seit ca. sieben Jahren Pfandsammlerin. „Das ganze hat nicht an einem bestimmten Tag angefangen, sondern entwickelte sich mit der Zeit“, erzählt uns die 59-Jährige. „Zu DDR-Zeiten von 1971-1973 habe ich eine Ausbildung in der Spinnerei absolviert. Wir haben an den großen Maschinen aus Wolle Zwirn hergestellt. Bis zur Wende habe ich dort gearbeitet.“ Die Wiedervereinigung der DDR und BRD gilt bis heute als eines der größten und schönsten Ereignisse in Deutschland. Doch für Sabrina brachte die Wende nicht nur Gutes. „Die Textilherstellung in der Spinnerei wurde eingestellt und den Beruf, in dem ich gearbeitet habe, gab es nicht mehr. Ich wurde arbeitslos und hatte Angst vor der Zukunft.“

Auf der Suche nach einer Aufgabe 

Nach zwei Jahren durfte Sabrina an einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme des Arbeitsamtes teilnehmen und war einige Zeit im Grassimuseum angestellt. Die befristete Stelle verhalf ihr allerdings nicht zu weiteren Jobs. Zwischenzeitlich war sie als Reinigungskraft und Pflegerin tätig, doch die Arbeitslosigkeit holte sie immer wieder ein. „Den Job im Pflegeheim musste ich aufgeben, weil mein Rücken nicht mehr mitspielte. Mittlerweile bin ich als arbeitsunfähig eingestuft und bekomme keine Anfragen mehr vom Amt.“ Dieser Zustand hielt die kleine, zierliche Frau aber nicht davon ab, sich selbst eine Aufgabe zu suchen. „Ich bin in vielen verschiedenen Heimen groß geworden und war mein Leben lang auf mich allein gestellt. Ich weiß, was es bedeutet, sich durchkämpfen zu müssen.“ In ihrer Kindheit wurde Sabrina für ein halbes Jahr in einer Pflegefamilie untergebracht. „Das Jugendamt in der DDR hat wenig darauf geachtet, wie es den Pflegekindern in den neuen Familien ging. Erst nach einem halben Jahr bemerkten sie, dass mein Pflegevater Alkoholiker war und ich eigentlich nur als Putzkraft dienen sollte.“ Mit circa 15 Jahren begann sie ihre Ausbildung und wohnte in einem Internat. 1981 bezog sie dann ihre erste eigene Wohnung, in der sie bis heute lebt.

© Anna Heinze
 

 Eine Runde mit vielen Gesichtern und Schnauzen 

„Mittlerweile hat sich mein Alltag gut eingependelt. Nachdem ich außer Haus bin, füttere ich zuerst meine Katzen. Dann mache ich mich auf den Weg.“ Heute laufen wir mit. Am Westwerk gestartet, gehen wir zuerst beide Seiten des Kanals ab. Danach geht es auf die Aurelienstraße über die Birkenstraße bis zum Felsenkeller. Bereits auf diesem Weg fällt uns auf, dass Sabrina von allen Seiten gegrüßt wird. Menschen, die auf der Straße oder am Kanal sitzen, stehen auf, bringen ihr die leeren Pfandflaschen und halten einen kleinen Plausch mit ihr.

Viele bitten sie sogar zu warten, um noch schnell auszutrinken. Am Felsenkeller angekommen, biegen wir in die Zschochersche Straße ein, laufen auf die Weißenfelser und gelangen so wieder auf die Karl-Heine-Straße. Sabrinas Runden variieren, sodass sie in möglichst kurzer Zeit viele Straßen abgehen kann. Trotz ihrer fast 60 Jahre und des großen Wagens, den sie vor sich her schiebt, legt Sabrina ein schnelles Tempo vor. Wir haben Schwierigkeiten, mitzuhalten. Zwischendurch bleibt sie immer wieder stehen, um sich mit Menschen zu unterhalten. Besonders die Hunde scheinen einen Narren an ihr gefressen zu haben. Viele begrüßen sie mit Schwanzwedeln und lassen gar nicht mehr von ihr ab. Beim ersten Hund noch verwundert, erfahren wir schnell, weshalb das so ist. Sabrina hat die Taschen voller Leckerlis und verteilt diese mit Einverständnis der Besitzer an die Vierbeiner. „Ich liebe Tiere über alles“, erklärt die Pfandsammlerin. „Einer der Gründe, weshalb ich überhaupt Flaschen sammle, sind meine Katzen. Nur eine davon lebt bei mir in der Wohnung. Die anderen streunen hier im Viertel herum. Jeden Abend werden sie von mir gefüttert. Tiere sind auf ihre ganz eigene Weise dankbar.“

„Es geht mir nicht nur um das Geld, was ich mir dazuverdiene, sondern auch um die sozialen Kontakte.“

Die vielen Zwischenstopps halten Sabrina nicht davon ab, die Augen offenzuhalten. Oft muss sie laut lachen, weil wir direkt an den Flaschen vorbeilaufen. Natürlich wollen wir genau wissen, wie das Leben als Pfandsammlerin abläuft. „Am Anfang kam ich mir schon ein bisschen blöd vor. Aber ich bin schon immer direkt auf die Menschen zugegangen, habe sie angesprochen und nach ihren leeren Flaschen gefragt. Mittlerweile kennt man mich hier. Ich habe viele Freunde gefunden und Menschen, die mich unterstützen. Einige WGs rufen mich an, wenn der Pfand aus ihrer Wohnung weggebracht werden muss. Ich komme dann mit meinem Wagen vorbei und hole die Flaschen ab. Es geht mir nicht nur um das Geld, was ich mir dazuverdiene, sondern auch um die sozialen Kontakte. Ich bin gern unter Menschen.“

Und die Menschen auf der Karl-Heine und Umgebung mögen Sabrina. Als wir sie nach ihrem schlimmsten Erlebnis fragen, antwortet sie: „Ich wurde schon häufig körperlich angegriffen, weil mich andere Pfandsammler vertreiben wollten. Meistens helfen mir meine Jungs hier auf der Straße oder andere Leute. Zur Not habe ich aber immer mein Pfefferspray dabei. Das würde ich aber niemals einsetzen, wenn es nicht wirklich nötig wäre.“ Der Konkurrenzkampf unter den Pfandsammlern ist groß. Doch die Leipzigerin beißt sich durch.

Sabrinas Schicht geht bis in die Nacht 

Sabrina macht großen Eindruck auf uns. Nicht nur aufgrund ihrer körperlichen Fitness und Ausdauer, auch ihre Einstellung, ihre Ansichten und ihre positive Art sind imponierend. „Man muss zufrieden sein mit dem, was man hat und sollte nicht so habgierig sein. Geld beruhigt zwar, zu viel davon macht aber nicht glücklich.“

Einige Stunden laufen wir mit Sabrina die Straßen ab. Um 23 Uhr verabschieden wir uns von ihr. In der Woche macht sie zwischen 1 und 2 Uhr Feierabend. Am Wochenende kann es auch schon mal 5 Uhr werden. Einen Teil der gesammelten Flaschen bringt sie direkt am nächsten Tag zum Pfandautomaten. Den Rest lagert sie im Keller. „Im Winter brauche ich ja schließlich auch etwas zu tun“, begründet sie dieses Vorgehen.

Wir sind Sabrina dankbar für den Einblick in ihren Alltag und werden den Pfand auf jeden Fall weiterhin danebenstellen. Es ist eine der einfachsten Methoden, jemanden zu unterstützen. Wenn ihr noch mehr tun wollt, ist die Website www.pfandgeben.de für euch interessant. Hier wird zwischen Pfandgebern und Pfandsammlern vermittelt, sodass letztere die Flaschen ohne Umschweife bei jedem, der es möchte, abholen können.