Phillip Grütering über Bandhygiene, Fridays For Future und das neue Band-Maskottchen „Exzess ist gefährlich“ – Deichkind im Interview

Wir haben mit Deichkind „Kryptik Joe“ alias Phillip Grütering über Bandhygiene, Fridays For Future und das neue Band-Maskottchen Lars Eidinger gesprochen.

Mit Party-Songs wie „Remmidemmi“ oder „Leider Geil“ sind die Electro-Punks von Deichkind schon seit mehr als 20 Jahren unterwegs, mittlerweile hat sich ihre Einstellung zu Alkohol und Exzess geändert. Man muss sich ja auch mal den wichtigen Dingen im Leben zuwenden – zum Beispiel der Frage, wie man die Welt retten kann. Wir haben mit Deichkind „Kryptik Joe“ alias Phillip Grütering über Bandhygiene, Fridays For Future und das neue Band-Maskottchen Lars Eidinger gesprochen.

© Presse Landstreicher Konzerte
2019 war ja einiges los: Seeed waren wieder auf Tour, Rammstein hat ein neues Album veröffentlicht, die Ärzte neues Material angekündigt und dann erschien auch euer neues Album „Wer Sagt Denn Das?“. Wie kommt das denn, dass alle größeren, älteren Bands gleichzeitig wieder auftauchen?

Also ich denke mal nicht, dass das irgendwas mit dem Stand der Sterne oder Schicksal oder so zu tun hatte. Ich weiß eher, dass es bei älteren Bands nicht mehr so ist, dass die jedes Jahr neue Songs, neue Alben rauspfeffern können, sondern dass man sich da eher auf einen bestimmten Turnus einpendelt. Bei uns waren das immer so knapp drei Jahre, dieses Mal sogar vier, und 2019 hat sich das wohl zufällig bei vielen Bands überschnitten. 

Es gab ja schon häufiger Spekulationen und Gerüchte, ob es überhaupt nochmal ein Deichkind-Album geben wird …

Ich denke jede Band spekuliert immer mal wieder übers Aufhören, in so Phasen, wo man einfach keinen Bock mehr hat oder denkt, man hat doch schon alles erzählt und gemacht. Aber Deichkind ist für uns immer noch ein erfolgreiches Projekt. Vor diesem Album haben wir uns alle hingesetzt und überlegt: Was will man denn noch von der Band, warum macht man Musik? Früher war das vielleicht, weil man ein Mädel rumkriegen oder dem Vater imponieren wollte, aber jetzt ist es wichtig, da auf demselben Nenner zu sein. Man muss ja auch Bock aufeinander haben, dafür ist zwischendrin so ein bisschen Bandhygiene nötig.

Kaum ist euer Album erschienen, wird jedem Lied erst mal unterstellt, politisch zu sein. Zum Beispiel der Song „1000 Jahre Bier“ wird als „Anti-AfD-Hymne“ betitelt. Für mich klingt das aber eher wie ein Sauflied.

„1000 Jahre Bier“ ist zu 100 Prozent ein Sauflied. Das ist auch das einzige monothematische Lied, das wir auf dem Album haben. Wir hatten uns ja eigentlich vorgenommen, mal langsam etwas ernstere Themen anzunehmen, nicht nur über Alkohol und Exzess zu singen, aber dann kam Porky um die Ecke und meinte, „Leute, ich hab da noch was.“

Die Nummer hat aber auch einfach gestimmt. Die war ganz kurz und schmerzlos runtergeschrieben, anders als der Song „Wer Sagt Denn Das?“ Da haben wir schon mehr Gedanken und Arbeit reingesteckt, da geht es ja um die AfD und Trump und all das, da gab es mehr Inhalt, den wir transportieren wollten. 

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Apropos Bier, in dem Song „Keine Party“ wird dem Exzess ja etwas abgeschworen. Feiert ihr überhaupt noch?

Wir hatten früher so Phasen auf Tour, da haben wir den Exzess auf jeden Fall gefeiert und uns auch immer mehr gesteigert. Während „Aufstand im Schlaraffenland“ waren wir manchmal schon vor der Show betrunken, haben viel rumexperimentiert. Aber mit den Jahren findet man Exzess immer langweiliger und teilweise auch gefährlich. Das schlägt ja krass auf die Gesundheit – und auch auf das Gemüt. Im Endeffekt ist es auch immer das Gleiche. Wir haben jetzt auch Kinder und Familie und so, das sind dann neue, bessere Herausforderungen.

Im November habt ihr eine Aktion der „Fridays For Future“-Bewegung in Hamburg mit einem Auftritt unterstützt. Warum?

Ich finde das unheimlich wichtig, dass jemand mal den Mund aufmacht. Man merkt es ja bei sich selber, man liest einen Bericht über Kohle oder Öl und denkt sich, nein, was ist das schrecklich, aber dann ist man trotzdem wieder in seinem Trott drinnen und macht alles ganz genauso wie vorher. Deswegen ist es wichtig, dass da was von den Jüngeren kommt, was wieder ein bisschen wachrüttelt, denn als junger Mensch nimmst du die Sache mit dem Klima ganz anders wahr als ein Erwachsener, der noch tausend andere Sachen zu tun hat.

Wie schafft man es denn als größere Band, umweltfreundlicher zu sein?

Das ist eine schwierige und wichtige Frage. Wir sprechen da sehr viel drüber, machen aber ehrlich gesagt noch viel zu wenig. An einer Tour hängt ja immer ein ganzer Rattenschwanz dran. Was wir machen ist, dass wir schon vor der Tour gucken, welche Wege wir einsparen können. Also dass wir nicht über München, nach Flensburg und dann wieder nach Wien gurken, sondern die Fahrten verkürzen. Unser Catering ist mittlerweile fast ausschließlich vegetarisch. 

In dem Song „Wer Sagt Denn Das?“ geht es ja auch um Fake News, Instagram, die neuen Medien. Wo kann man sich denn heutzutage überhaupt noch informieren?

Da kann ich das Buch „Das Internet muss weg“ von Schlecky Silberstein empfehlen. Der beschreibt das Problem ganz gut, dass wir heutzutage alle in unseren Filterblasen leben. Also auch ich und mein Umfeld, was ich eigentlich als relativ intelligent bezeichnen würde, wir haben alle denselben Twitter- oder Facebook-Feed, der schon eine gewisse Meinungsfärbung hat. Das ist alles super schwer, vor allem für Leute, die da nicht so das Bewusstsein für haben, die werden von allen möglichen Meinungen gelenkt. Früher gab es nur ’nen Stammtisch für Leute, die eine etwas verschrobene Meinung haben, aber heute kannst du das mit einem Klick im Internet finden.

Warum taucht Lars Eidinger in beinahe jedem eurer Videos auf?

Das ist mittlerweile ein Running Gag bei uns. Wir haben Lars mal getroffen und das ist ja ein absolut angenehmer, sympathischer Mensch. Dann hat er im Video von „Richtig Gutes Zeug“ so richtig abgeliefert und als dann der nächste Videodreh anstand, dachten wir so: „Ja, wir könnten ja mal den Lars fragen!“ Und so weiter. Wäre mega, wenn er bei den Auftritten auch mit dabei sein könnte, aber der ist glaube ich aktuell sehr mit seiner Schauspielerei beschäftigt.

Am 5. März 2020 seid ihr in Leipzig. Was verbindet ihr mit der Stadt?

Wir freuen uns total auf die Tour und auch auf Leipzig. Ich ganz besonders, denn Teile meiner Familie kommen hierher, daher find ich die Stadt eh schon super. (lacht)

Am 27. September 2019 erschien das neue Deichkind-Album mit dem Titel „Wer Sagt Denn Das?“. Am 5. März 2020 tritt die Electro-Punk-Formation dann in der QUARTERBACK Immobilien ARENA auf (20 Uhr, Tickets ca. 50€).