Von der „Fake-Agentur“ zum fortschrittlichen Künstlerkollektiv Fabian Schütze im Interview über das Leipziger Label analogsoul

analogsoul sieht sich weniger als Plattenfirma, sondern als ein bundesweit agierendes Kollektiv aus den Labelgründern, aus einem Kreis von Bands und dem erweiterten Netzwerk aus Journalisten, Studios, Filmemachern, Fotografen usw. Fabian erklärt, wer und was hinter analogsoul steckt.

analogsoul sieht sich weniger als Plattenfirma, sondern als ein bundesweit agierendes Kollektiv aus den Labelgründern, aus einem Kreis von Bands und dem erweiterten Netzwerk aus Journalisten, Studios, Filmemachern, Fotografen usw. Das Ziel des Leipziger Labels ist es, Musikprojekte möglich zu machen, Öffentlichkeit herzustellen und Bedingungen zu schaffen, die für alle Beteiligten Sinn machen. Und das ohne aufblitzende Dollarscheinen in den Augen.

© Presskits / analogsoul

Steckbrief analogsoul 


Gründung:
Januar 2008

Heads: Andreas Bischof (Supervising, Shop, Ideas), Fabian Schütze (künstlerische Leitung, Booking, Ideas), Clemens Kynast (IT, Ideas)

Künstler: A Forest, Arpen, Klinke auf Cinch, Lilabungalow, Me and Oceans, Petula, Wooden Peak, Earnest and without you (Kernkünstler), Edition Analogsoul (verschiedene Künstler)

Web: analogsoul.de

Vormerken & Vorbeischneien: 9. Oktober, Täubchenthal – Analogsoul präsentiert: Me and my Drummer, A Forest, Pentatones, Support: Petula

Tickets, Infos und schöne Sachen gibt’s übrigens im HAFEN

Hallo Fabian! Vielen Dank, dass du dir Zeit genommen hast. Wie entstand denn das Label analogsoul?
Der Gründungsmythos lautet in etwa so: Wir waren an einem Punkt, an dem wir in unseren Heimatstädten (Anm. d. Red.: Jena, Weimar, Erfurt) schon relativ große Konzerte spielen konnten und eine lokale Fanbase hatten. Aber wir wollten raus, auch in Berlin, Hamburg oder Köln spielen und das war überhaupt nicht möglich – uns kannte da keiner. Deswegen haben wir gesagt, um überhaupt erstmal Konzerte außerhalb unserer Komfort-Zone buchen zu können, richten wir uns eine kleine „Fake“-Agentur ein, in deren Namen wir uns buchen – damit das alles einen professionelleren Eindruck macht. Hat funktioniert! Als nächsten Schritt haben wir angefangen, selbst Musik über unsere Netzwerke zu veröffentlichen. Das lag zum Einen daran, dass wir gemerkt haben, dass natürlich erstmal keiner einfach so hilft. Zum Anderen mögen wir es, das ganze Ding selbst zu stemmen und die Kontrolle zu haben.

© Hagen Wolf
Ihr wurdet mal als Do-it-yourself-Labelmacher betitelt, die sich bewusst gegen kommerziellen Zwang entschieden haben. Wie organisiert ihr euch?
Wir bewegen uns konstant auf Augenhöhe mit den Leuten, mit denen wir zusammenarbeiten. Wir verstehen uns als Teil des Teams und übernehmen da Aufgaben. Wir schauen uns an, was der Künstler macht und was sein Plan ist. Dann gehen wir rein mit Ideen, Ressourcen, kümmern uns um den Vertrieb, das Booking, den Zeitfahrplan für die Veröffentlichung oder vielleicht sogar nur mal allgemeines Management oder ein Konzert. Und das Do it yourself meint mehr, dass der Künstler bei uns eine Plattform für seine Projekte findet, die er dann selbstständig durchführt und wir an den Punkten unterstützen, wo er an seine Grenzen stößt.

Was unterscheidet euch dabei von anderen Labels?
Das, was die Künstler wahrscheinlich am meisten schätzen und was ich auch selbst schätze, wenn ich Veröffentlichungen auf meinem Label mache, ist, dass wir das Inhaltliche niemals hinterfragen würden. Wenn der Künstler mit einer Platte kommt, dann ist die so. Und das ist ein Unterschied zu großen Labels, die dann teilweise anfangen, in die Musik, beim Artwork, bei den Pressefotos, bei der eigentlichen Kampagne usw. einzugreifen. Das ist bei uns immer Künstlerentscheidung. Und wenn er meint, er möchte keine Anzeigen kaufen, keine Werbung machen, dann ist das so. Dann überlegen wir uns, wie wir Alternativen finden, um Reichweite oder Aufmerksamkeit für die Sache herzustellen. 

© analogsoul / hafen
Habt ihr bestimmte „Aufnahmebedingungen“?
Wir haben sehr weiche Aufnahmebedingungen, die aber gleichzeitig extrem schwer zu reißen sind. Grundvoraussetzung ist nämlich, dass ein Kontakt organisch entsteht. Das ist so über die Jahre rausgekommen. Man lernt Leute lieber erstmal kennen, bevor man mit denen zusammenarbeitet. Unsere Arbeit ist etwas ganz Sensibles, denn keiner kann ja sagen: „Alles klar, ich krieg 25€ netto die Stunde, ich mach, was ihr wollt!“ Es geht bei uns darum, dass wir sehr viel Leidenschaft und Ressourcen reinstecken und das auch erstmal unbezahlt. Dafür muss man sich gegenseitig vertrauen können. Deswegen ist die allerwichtigste Aufnahmebedingung, dass man auf einer Welle ist, weil wir uns auch selbst als … – ok, das klingt jetzt hippiemäßig – … Aber das ist schon so ein Family-Ding. Und daneben muss die Musik halt so sein, dass wir sagen: Das haut uns vom Hocker, das passt in den Labelkatalog und wir haben vor allem auch noch Platz dafür in unserem Tagesablauf. Und wenn das zusammenkommt, gibt es zeitnah eine Veröffentlichung auf Analogsoul. Alles zusammen kann aber zum Teil auch Jahre dauern, weswegen wir unser Netzwerk sehr langsam erweitern, was die Analogsoul-Kernkünstler angeht. Wir arbeiten aber auch oft für einzelne Projekte mit Leuten zusammen.

Gibt es eine maximale Anzahl an Bands, die ihr aufnehmen könnt?
Ja klar, das sagt mir ja mein Kalender. Im Zentrum sind halt nicht 10, 15 Angestellte, sondern zwei, drei Personen, die maximal das Tagesgeschäft bestreiten. Da kommst du an deine Grenzen. Deswegen ist unserem Wachstum Grenzen gesetzt, wir können nicht sagen: „Jetzt machen wir mal ein Jahr, wo wir 25 Veröffentlichungen durchprügeln, mit massiven Geld- und Zeitinvestments“ – Ist nicht möglich. Deswegen ist unsere Arbeit eigentlich begrenzt auf ein Projekt, um das man sich gerade kümmert. Es veröffentlichen ja nicht immer gleichzeitig alle ihr Album und deswegen sind bei uns sechs bis zehn Künstler, die man über Jahre begleitet und mit denen man über Monate fokussiert arbeitet. Sobald man mit einem fertig ist, kümmert man sich um das nächste Projekt. Die erste Frage in jedem großen Meeting ist, wer wann veröffentlicht und was vor hat. Das verändert sich permanent und es ist esentiell, das aufeinander abzustimmen.

Habt ihr regelmäßig Bandbewerbungen vorliegen?
Ja klar, jede Woche. Wir haben das ja auf unserer Seite stehen und es wird auch immer so sein, dass wir gern Musik geschickt bekommen. Und wir hören uns das auch tatsächlich an. Wenn es derjenige, der es zuerst hört, interessant findet, wird das in die Runde gegeben, also landet auch wirklich auf unserem Schreibtisch. Und das kann ein erstes Kennenlernen bedeuten, also dass wir z.B. mal auf ein Konzert gehen, die auf unserem Blog featuren, mal mit denen schnacken. Aber natürlich ist es schwer, wie bei jedem Label. Da darf man auch keinem Label böse sein, das sich nicht zurückmeldet, auch monatelang nicht meldet, weil da z.T. hunderte Geschichten ankommen. Und allein schon, jeder Sache zwei Min Aufmerksamkeit zu schenken, kann immensen Aufwand bedeuten. Da muss man auf beiden Seiten realistisch sein und Verständnis für haben. 

© Hagen Wolf
Habt ihr euch auf ein Genre spezialisiert, zumindest am Anfang? Hat sich das gewandelt?
Das ist genauso offen, wie es schon immer war. Wir wollen nicht für irgendein Genre stehen. Du kennst das selbst, mal hast du Lust auf Singer-Songwriter, mal gehst du in den Club und hörst vier Stunden Minimal-Techno. Und das soll auch auf Analogsoul abgebildet sein. Es ist aber tatsächlich so, dass es noch offener geworden ist, nämlich weg vom Musikgenre. Wie z.B. der Film, den wir gemacht haben oder Meta-Projekte wie „I am a Forest“. Also Sachen, die nur noch wenig mit Musik zu tun haben, sondern eher mit Musikbusiness, Film und Kunst im weitesten Sinne.  Und warum sollte Analogsoul nicht genauso der Hub dafür sein wie für eine Platte?

Gibt’s etwas, das gar nicht geht?
Nee, außer das, was man halt mit klarem Menschenverstand nicht machen würde (lacht). Aber man darf natürlich nie das Kalkül hinter der Musik vergessen. Wenn wir z.B. das Radio anmachen und genau hören,  warum in einem Song welche Entscheidungen getroffen wurden in puncto Harmonien, Arrangements, Sounddesign, Auswahl der Stimme, Klangfarbe usw., ist es für uns quasi weg. Aber es gibt unglaublich poppige Musik, die mega authentisch und ehrlich ist. Und wenn das zusammenkommt, dann ist es für mich eigentlich sogar das beste, was passieren kann.

Du hast ja sicher durch Analogsoul und dein Wirken bei A Forest und Me and Oceans einen ganz anderen Blick auf die Leipziger Musikszene. Wie würdest du sie beschreiben? 
Ich halte sie für sehr divers und in einzelnen Genres, in die ich dann mehr Einblick habe, für wirklich innovativ, z.T. außergewöhnlich gut. Und das wird tatsächlich bei denen, die ich da im Kopf habe, mit internationaler Bekanntheit belohnt. Das mag ich. Es wird ja immer so beklagt, dass nach den Prinzen nichts mehr gekommen sei, aber das stimmt so nicht. Es gibt wirklich Leute, die außergewöhnlich gute Musik machen, damit in aller Welt unterwegs sind und auch gutes Geld damit verdienen. Die aber keiner kennt und das ist der Idealzustand für jeden Künstler, der nicht ruhmsüchtig ist. 

Verrätst du uns Namen?
Ich denke da z.B. an Lake People im Elektronik-Bereich, der hundert Mal im Jahr irgendwo live spielt, auf einem sehr hohen Niveau, auf fünf Kontinenten. 

© Presse / analogsoul
Im Mai ist der Dokumentarfilm „Freiheit, Freiheit, Wirklichkeit“ erschienen, bei dem ihr mitgewirkt habt. Wie findet man denn als Musiker den Bogen zwischen Freiheit und Wirklichkeit?
Im Film geht es ja um die Problematik des selbstständigen Musikers, der natürlich die gleichen Probleme hat wie jeder andere Selbstständige auch: Krankenversicherung zahlen, kein regelmäßiges Einkommen haben und außerdem in einem Feld arbeiten, das sehr produktionslastig, also mit hohen Investitionen verbunden ist. Heute kann zwar jeder bis zu einem gewissen Level erstmal eine Platte aufnehmen, die es dann bei Itunes und Co. gibt. Aber wenn man bestimmte Sachen will, z.B. ein tolles Schlagzeug, ein Streichquartett im Studio, eine Vinylpressung, Werbung, … ist man immernoch bei den gleichen Kosten, wie das auch in den 80ern oder 90ern der Fall war. Darum geht es in dem Film: Wie kommt man klar, wo holt man sich sein positives Feedback ab, das einen weitermachen lässt, wenn man das nicht von seinem Konto kriegt. Am Ende ist es so, dass die Gewissheit, seine Miete zahlen zu können, sich etwas leisten zu können oder die nächste Platte produzieren zu können essentiell dafür ist, früh überhaupt aufzustehen. Da muss man sich sein Feedback woanders holen, und das ist ja auch legitim. Wir arbeiten ja nicht für unser Konto, sondern im ersten Schritt als Künstler für eine Vision.

Wo soll es hingehen mit dem Label, habt ihr euch Ziele gesteckt?
Wir sagen immer, dass wir organisch wachsen wollen. Und das ist schon ein ziemlich hochgestecktes Ziel, weil das auch heißt, dass bei uns ein Jahr, in dem nicht viel passiert ist, wo Stillstand war, schon ein Rückschritt ist. Wir wollen nicht das Riesenlabel werden, wollen nicht ins Fernsehen, aber wir wollen natürlich nicht nur die Musik veröffentlichen, sondern dass der Künstler langfristig auch so gefestigt mit seinen Projekten dasteht, dass er davon leben kann. 

Vielen Dank! Und zu guter letzt …

ZEIT FÜR ENTSCHEIDUNGEN


Analog oder digital 

Risiko oder Sicherheit

Party oder Konzert

Fortschritt oder Rückbesinnung 

Karaokebattle oder Luftgitarrenwettbewerb