Dokter Renz alias Martin Vandreier über Tage auf dem Land, kritischen Gegenwind und die Liebe. Fettes Brot im Interview: „Man muss sich ein kritisches Umfeld bewahren, damit man nicht im eigenen Sud kocht“

Wir haben mit Dokter Renz alias Martin Vandreier über Tage auf dem Land, kritischen Gegenwind und – natürlich – die Liebe gesprochen.

Wochenlange Proben im „etwas zu luftleeren Studio“, um im Sommer und Herbst die großen Bühnen zu stürmen – im Mai brachten die Hamburger Jungs von Fettes Brot ihr neuntes Album heraus. „Lovestory“ heißt die Platte, die elf Geschichten erzählt von den unterschiedlichsten Facetten der Liebe, von starken und schwachen Gefühlen, von Ängsten und Klischees. Wir haben mit Dokter Renz alias Martin Vandreier über Tage auf dem Land, kritischen Gegenwind und – natürlich – die Liebe gesprochen. 

© Jens Herrndorff

Ihr habt in diesem Sommer einige Festivals bespielt, wart unter anderem beim Deichbrand Festival und beim Highfield dabei. Jetzt geht es auf Tour durch Deutschland.

Dafür sind dann nochmal ein paar Proben angesetzt. Klar, wir übernehmen das Herzstück des Festival-Programms, aber für die Tour denken wir uns noch neuen Kram aus. Da kann man auch nochmal ein bisschen mehr in die Tiefe der Fanherzen vordringen, weil man ja ein Publikum hat, das genau gekommen ist, um Fettes Brot zu sehen. Und da werden dann nochmal ein paar B-Seiten ausgepackt.

Ist das neue Album schon „drin“ oder dauert das noch eine Weile, bis die Songs in Fleisch und Blut übergehen?

Also, ein paar Lieder funktionieren meist direkt auf Anhieb. In andere muss man sich erst mal so richtig reinfühlen und quasi auch die Energie fühlen, die man sich live dann vorstellt. Das ist natürlich dann immer ein bisschen abstrakt. Wir hatten am Anfang des Sommers schon mal so einen kleinen Festival-Appetitshappen, beim „Peace by Peace“-Festival in Berlin. Da haben wir die Live-Premiere von „Denxu?“ gefeiert und gemerkt: das macht Spaß. Die Leute sind begeistert von der neuen Musik, man schaukelt sich so gegenseitig schön hoch. 

Wie seid ihr denn zu eurem Album gekommen? „Lovestory“, da denken viele wahrscheinlich erst mal nicht an Fettes Brot.

Wir haben tatsächlich einfach angefangen, ins Blaue hinein Songs zu schreiben und Demos auszuprobieren. Unserem engsten Kreis haben wir die Sachen vorgespielt und dann war es, glaube ich, eher zufällig, dass ausgerechnet diese Songs dieser Demo-Phase auf die größte Resonanz gestoßen sind. Daraus haben wir die Idee abgeleitet, sich auch mal thematisch auf eine bestimmte Spur zu begeben. Es ist ja nicht so, dass Liebe das abstrakteste wäre, was man machen kann. Ganz viele Songs handeln ja von Liebe, man hat das Gefühl, es ist DAS Thema der Popmusik. Für uns war dann der spannende Ansatz, was man noch alles quasi durch die Brille der Liebe hindurch besprechen kann. Als wir dann gemerkt haben, dass uns das thematisch eigentlich gar nicht einschränkt, sondern einfach neue Perspektiven und Blickwinkel eröffnet, haben wir gedacht, das könnte etwas für uns sein. Diesen Faden haben wir aufgenommen und waren total inspiriert davon und dann war auf einmal der Album-Titel da. Der hat sich auch mehr oder weniger automatisch aufgestellt. Das fühlte sich alles sehr richtig und zu uns und zur Zeit passend an.

Wie viel von euren eigenen Erfahrungen steckt in den Songs?

Wir waren jetzt selbst noch nie verliebt, von daher ist es eher berichterstattend (lacht). Nein, klar sind da Erfahrungen mit drin. Wir haben natürlich unsere eigenen Erlebnisse mit eingebracht, aber schnappen auch Stories aus dem Freundeskreis auf. Wir haben auch recht viel Fantasie – und aus dieser Mischung werden dann die Texte geschrieben. Manchmal weiß man es selbst nicht so genau: „Habe ich das erlebt oder habe ich das nur gehört?“ Das verschwimmt irgendwann ein bisschen. Wichtig ist ja, dass es beim Zuhörer so ankommt, dass es so sein könnte.

  

Du hast erzählt, dass ihr diese Ideen im Freundes- und Vertrautenkreis vorspielt. Wie geht ihr mit Kritik um?

Das Ding ist, man entwickelt ja so Ideen für sich selbst. Der erste Schritt ist ja immer, dass man erst mal seine zwei Bandkollegen von einer Idee überzeugen muss, wenn sie nicht direkt in der Gruppensituation entsteht. Oft ist es ja ein Gedanke, den man beim Fahrrad fahren, Einkaufen oder Serie glotzen hat. Das den anderen vorzuspielen, ist ja schon mal die erste Sollbruchstelle, wo sich dann entscheidet, ob das begeistert aufgenommen und weiter verwendet wird. Oder ob es direkt versandet und man sich diese Vorfreude in eine Enttäuschung umwandeln sieht. Damit muss man umgehen lernen. Wenn wir zu dritt und mit unseren Musikern zusammen etwas geil finden, kommt die nächste Stufe, an der man vorbei muss. Und das sind dann so die Menschen in unserem Umfeld. André (Luth, Anm. d. Red.), der früher Yo Mama Records gemacht hat, spielt da zum Beispiel eine große Rolle. Der begleitet Fettes Brot quasi von Anfang an und ist sehr meinungsstark. Der kann eine von uns stiefmütterlich behandelte Idee zu einer Hitsingle hochjazzen, indem er sich einfach dafür einsetzt. Gleichzeitig kann er aber auch eine von uns heißgeliebte Idee innerhalb von Sekunden zerstören, weil er einfach die richtigen Sachen sagt, die wir uns selbst nicht eingestehen wollten. Das ist schon ein bisschen schmerzhaft – gerade, wenn man sich schon vorgestellt hat, wie man das live performt und wie das dann auf Platte erscheint. Das ist sehr oft aber auch schon sehr positiv unterstützend gewesen. Und ich glaube, das ist etwas, das nicht jeder hat. Manche Künstlerseelen sind so sensibel, dass sie nur noch Ja-Sager in ihrem Umfeld haben, die dann alles Mögliche durchprügeln. Das ist, glaube ich, ein Schritt in die falsche Richtung. Man muss sich ein kritisches Umfeld bewahren, damit man nicht im eigenen Sud kocht.

 

© Jens Herrndorff
Ihr bekommt für einige eurer Songs, wie zum Beispiel „Du driftest nach rechts“ auch starken Gegenwind aus Teilen der Gesellschaft. Wie geht ihr damit um?

Also auf eine Art wollen wir natürlich von allen geliebt werden. Aber gleichzeitig weiß man natürlich auch, dass das dann irgendwann auch an Kontur verliert. Insofern haben wir uns früh mit so einer Position zwischen den Stühlen angefreundet. Die war vielleicht am Anfang noch ein bisschen ungemütlich, aber irgendwann merkt man so, dass das natürlich auch eine Position der Stärke ist – weil man nicht darauf angewiesen ist, immer alle Bedürfnisse zu befriedigen. Man hat sich daran gewöhnt, dass man es bestimmten Leuten auch einfach nicht recht machen kann und Teile der Hip-Hop-Szene einen irgendwie wack finden. Oder dass Rechte einen – zu Recht – als Gegner wahrnehmen. Das ist ja auch irgendwie eine Adelung als etwas, was man als unangenehm empfindet.

Wie ist „Lovestory“ entstanden?

Wir haben uns dieses Mal tatsächlich zurückgezogen. Wir sind weggefahren, um Musik aufzunehmen. Sonst waren wir immer im eigenen Studio in Hamburg. Das hatten wir bei den zwei vorherigen Platten so gemacht. Diesmal hatten wir das Gefühl, wir bräuchten noch einmal neuen Input. Und dann hatte unser Keyboarder den Tipp – es gibt in Niebühl, in Schleswig-Holstein eine ehemalige Dorfschule, die inzwischen seit vielen Jahren als Musikstudio betrieben wird. Dort kann man auch über Nacht bleiben und einfach ein paar Tage zusammen abhängen und Musik machen und kochen und Rotwein trinken. Das klang so, als könnte uns das Spaß machen – und so war es auch. Wir sind dann ein paar Mal mit der ganzen Bagage hingefahren und haben dort zusammen sehr spielerisch Musik entwickelt. Man kann dort auch nach Herzenslust alle möglichen Musikinstrumente ausprobieren. Das war ein sehr verspielter Ansatz, Musik zu machen. Wir hatten natürlich auch den Computer dabei und konnten sozusagen unserer normalen Arbeitsweise irgendwie nachgehen. Gleichzeitig wurde das erweitert durch diese ganzen Instrumente und Möglichkeiten und das hat echt viel Spaß gemacht und die Produktivität in Gang gesetzt. 

Ihr macht seit mehr als 25 Jahren zusammen Musik. Stimmt die Dynamik noch?

Ja, da haben wir Glück gehabt, dass wir ein Dreiergespann sind, dass so lange funktioniert. Das ist ja auch nicht selbstverständlich. Ich glaube, in dieser Erweiterung liegt auf jeden Fall auch ein Schlüssel – dass wir immer offen sind für andere Einflüsse und Lust haben, mit anderen Zeit zu verbringen und so ein wenig den Lager-Koller zu vermeiden. Und natürlich haben wir auch gelernt, dass man den anderen beiden offen und freundlich begegnet, wenn man möchte, dass die eigenen Bedürfnisse berücksichtigt werden und möchte, dass die eigenen Absonderlichkeiten akzeptiert und ausgehalten werden. Ich glaube, das kriegen wir ganz gut hin. 

Hast du einen Favoriten auf der neuen Platte?

Das ist immer sehr schwierig. Das Album ist ja eigentlich schon die Essenz von dem, was wir gemacht haben. Wir haben bestimmt 30 Lieder im Rahmen dieser Aufnahme-Session angefangen. Davon haben wir vielleicht nicht alle zu Ende gebracht, aber da war schon viel gutes Zeug dabei. Und auf der Platte ist jetzt sozusagen das Allerbeste. Deshalb sind für mich alle Songs auf der „Lovestory“ gleichwertig. Wir waren ja auch im Rahmen der Lesereise in diesem Jahr schon in Leipzig im Täubchenthal. Da haben wir schon mal drei Songs „angetestet“. Zwar ohne Liveband, aber das hat auf jeden Fall schon mal viel Spaß gemacht, das zu spielen. 

Was verbindet ihr denn mit der Stadt?

Ich empfinde Leipzig als eine sehr sehr inspirierende Stadt. Ich habe da schon sehr gute Konzert-Erinnerungen gesammelt. Vor allem macht es auch Spaß, in der Stadt herumzulaufen, es gibt viele schöne Ecken. Sie hat ein offenes Gesicht, diese Stadt. Manchmal muss man nur den Tour-Schlendrian überwinden und nicht bis 15 Uhr im Bett liegen und weiterziehen. Aber wir freuen uns schon sehr – wir haben quasi drei Jahre nicht mehr richtig Konzerte gespielt. Wir sind richtig aufgeregt.

FETTES BROT | Lovestory – Die Tournee 2019

4. November 2019, Haus AuenseeEinlass: 18:30 Uhr, Beginn: 20 Uhr

Karten im VVK 41,80€