Spinnen, Duplikat vs. Individualismus, und Sex Filmkritik: Enemy mit Jake Gyllenhaal

Wir haben uns vorab ins Kino begeben und uns „Enemy“ zu Gemüte geführt. Erfahrt, was euch in dem Film (fernab von Massenkompatibilität) erwartet:

„Enemy“ fordert heraus! Den Intellekt, die Vorstellungskraft und die eigene Psychoanalyse des Zuschauers. Ist es in Filmformaten wie How I Met Your Mother noch witzig, nach dem eigenen Doppelgänger zu suchen und, viel mehr, ihn zu finden, beginnt in „Enemy“ eine tiefe und alptraumartige Reise gekoppelt mit menschlichen Urängsten. Die drängende Frage, ähnlich aufgeworfen in Moon, nach der eigenen Individualität beginnt, immer lauter zu werden und kann doch geschrien werden wie sie will, Antworten liefert uns „Enemy“ wenige. Dies ist keinesfalls negativ zu datieren, erwartet man keinen aalglatten Handlungsverlauf, der mit Logik und Schlüssigkeit befriedigen will. Denn Hollywood winkt nur von weitem und typische Genre-Konventionen in Zeiten der Massenkompatibilität lassen vermissen.

Eine Doppelrolle für Jake Gyllenhaal 

© Screenshot Enemy Trailer

„Enemy“ ist das Werk des Regisseurs Denis Villeneuve (Prisoners; Die Frau, die singt), der die Geschichte auf Grundlage des Romans von José Saramago (Der Doppelgänger, Die Stadt der Blinden) filmisch inszenierte. Mit ins Boot holte er sich Jake Gyllenhaal in einer Doppelrolle als Adam und Anthony, Mélanie Laurent als Adams Freundin Mary und Sarah Gadon als Athonys Eherfrau Helen.

Was passiert, wenn du deinen Doppelgänger triffst? 

Hat man sich den Trailer einmal zu Gemüte geführt, vollendet der Film das aufstrebende Gefühl von Mystik, Beklemmung und Verwunderung vollends. Es heißt, jeder Mensch hat einen Doppelgänger. Irgendwo auf der Welt. Das sagt sich einfach, doch was passiert, wenn du deinen dir exakt gleichenden Doppelgänger zufällig in einem Film mitspielen siehst? Und was passiert, wenn das dringende Verlangen, dieser Sache nachzugehen so dominant wird, dass du es schaffst diesem Duplikat gegenüberzustehen? Mit ihm zu sprechen und festzustellen, dass auch die Stimme haargenau deiner gleicht?

Einzigartigkeit? Kopie? Original? 

© Screenshot Enemy Trailer

Genau das passiert Geschichtsprofessor Adam, der ein abermals, und abermals, und abermals routinierten Alltag führt. Die Beziehung zu seiner attraktiven Freundin Mary lässt zwischenmenschliche Intimität vermissen, lebt sich allerdings in puncto sexueller Intimität aus. Als er dann auf Anthony trifft, steht er sich selber gegenüber, diesmal allerdings als unbedeutender Schauspieler mit einer schwangeren Frau. Nach dem Gegenübertreffen geraten beide Welten aus den Fugen. Kopie? Original? Einzigartigkeit? Spiegelbild? Das komplette „Selbst“ wird geprüft und auf die Probe gestellt.

Subtil, düster und erotisch 

Nachdem die gegenseitige Nachforschung ihrer gegenseitigen Doppelgänger immer obsessiver wird, verknüpfen sich beide Handlungsstränge und beginnen sich ineinander so zu verwirren, dass das erste Zusammentreffen Katalysator für einen verstörenden und tödlichen Ausgang haben wird.

© Screenshot Enemy Trailer

In seinem Ton bleibt der Film immer vage. Es wird wenig geredet. Die Atmosphäre ist stellenweise kaum tragbar. Weder für Adam. Noch für Anthony. Und auch der Zuschauer wird ein losgelöstes Gefühl am Ende des Filmes schmerzlich vermissen. Enemy schafft es, eine Welt mit surrealen und beängstigenden Komponenten zu kreieren und mit Hilfe von Musik und Symbolik (so taucht die Spinne immer und immer wieder auf), sowie graubedeckten Farben, einer subtilen Schauspielleistung und durchgehender Erotik ein Szenario aufzubauen, was Interpretationsmöglichkeiten beinahe unerschöpflich werden lässt.

Viele Fragen für den Zuschauer, wenig Antworten 

© Screenshot Enemy Trailer

Dem Zuschauer bleibt es, ganz individuell die Fragen des Seins, des einzigartigen Seins, bewusst und unbewusster Entscheidungen sowie der sexuellen Komplexität nachzugehen und eigene Antworten zu finden.

Fazit: Ein Denk-Film, der den nach schnellen Antworten suchenden Zuschauer entnervt zurücklassen würde. Nimmt man sich jedoch Zeit und gönnt sich auch postanalytischen Freiraum, brilliert der Film mit atmosphärischer Dichte und tiefgreifender Psychoanalyse.

Lieblingszitat: „The first time as tragedy, the second times as farce.“
Ebenfalls ein Zitat, welches Adam benutzt, um auf Karl Marx’ Werk „Der 18te Brumaire des Louis Napoleon“ einzugehen, in dem es hieß: „Hegel remarks somewhere that all great world-historic facts and personages appear, so to speak, twice. He frogot to add: the first time as tragedy, the second time as farce.“

Deutschlandstart: 22. Mai 2014