Wenn der Horizont so groß ist wie ein Gartenzaun Gentleman über Reggae, Straßenrap und Kommerz

Gentleman kommt auf Unplugged-Tour. Im Interview verrät der noch 39-Jährige, was es gerade für Probleme im Reggae gibt, was er als „weißes Middle Class Kid“ so vorm Spiegel trieb und an öffentlichen Diskussionen bezüglich Rap scheinheilig findet.

Tilmann Otto ist Gentleman. Und Gentleman ist der erfolgreichste Reggae-Künstler, den Deutschland zu bieten hat, sogar international respektiert wird. Ihm wurde die Ehre zuteil, bei MTV Unplugged zu zeigen, was man im Reggae so unverstöpselt anstellen kann. Dabei holte er sich Gäste wie Shaggy, Tanya Stephens, Milky Chance, Marlon Roudette, Campino und Ky-Mani Marley dazu. Im Interview verrät der noch 39-Jährige, was es gerade für Probleme im Reggae gibt, wessen Horizont gerade mal so groß ist wie ein Gartenzaun, was er als „weißes Middle Class Kid“ so vorm Spiegel trieb und was er an öffentlichen Diskussionen bezüglich Rap scheinheilig findet.

© Pascal Buenning

Wie kam es zu dem Angebot von MTV Unplugged?
Ich war Gast bei Max Herres MTV Unplugged und habe dort die MTV-Leute getroffen. Da gab es schon mal ein Interesse ihrerseits, weil die sich das gut vorstellen konnten. Dann ging es darum, einen Zeitpunkt zu finden. Das ging dann irgendwie doch schneller, als ich gedacht habe. Das war alles mitten in der Festivalsaison, also relativ kurzfristig.

Das hört sich ziemlich unkompliziert und easy an.
Yoah, easy ist irgendwie anders (lacht). Ich bin da auch ein bisschen blauäugig rangegangen. Ich habe bei Max schon gesehen, dass das ein komplexes, sehr aufwendiges Produkt ist – je nachdem wie man es auch macht. Mein Lieblingsalbum von Unplugged ist das von Lauryn Hill – sie sitzt nur mit der Klampfe da – so kann man es auch machen. Und trotzdem muss man sich die Frage stellen, wie man es selbst will. Bei Max war es ziemlich groß und aufwendig. Ich glaube, ich habe so ein Zwischending gefunden. Ich habe von den Instrumenten her schon viel Auswahl, aber in einem sehr intimen Rahmen. Es waren ca. 35 Leute im Publikum und ungefähr 20 Musiker auf der Bühne.

Was die Songs angeht, war es sehr aufwendig, weil man sie teilweise komplett umarrangieren musste. Unplugged heißt nicht, dass man da einfach nur mit der Klampfe sitzt, sondern es heißt unverstärkt – also dass die Instrumente alle natürlich sind. Es gibt keine Verstärker, keine Effekte, keine Plug-ins, keinen elektronischen Bass, sondern z.B. einen Kontrabass, es gibt keine Synthesizer-Sounds, sondern acht Streicher. Das war einfach eine ganz andere Art Musik zu machen.

Beim Umarrangieren deiner Songs brauchst du doch bestimmt viel Fantasie?
Man braucht ganz klar eine Vision, eine Vorstellung. Und man braucht vor allem ein gutes Team. Man braucht Leute um sich herum, die diese Vision teilen. Das ist für mich die Voraussetzung gewesen, überhaupt das Projekt machen zu können, weil ich ein Teamplayer bin. Ich mache das nicht alleine, ich habe auch nicht die Songs komplett alleine arrangiert. Ich bin am Ende oft das Zünglein an der Waage, das sagt, wie es werden soll.
Aber bei uns in der Band lief es schon immer sehr demokratisch ab. Jeder bringt sich ein und jeder ist auf seinem Feld was ganz Besonderes. Ich glaube, da liegt die Kunst drin: Wer ist in diesem Projekt involviert und was bringt er von sich mit? Und das hat unglaublich gut geklappt. Das war eine ganz tolle Erfahrung. Wir haben zusätzlich zu unserer Band noch Musiker aus Jamaica eingeladen. Wir hatten diese acht Streicher noch dabei, einen zusätzlichen Pianisten und einen zusätzlichen Gitarristen. Dadurch hatten wir musikalisch einfach ganz viele Möglichkeiten. Und das hat unglaublichen Spaß gemacht. 

Wie hast du deine Gesangspartner auf der Bühne ausgesucht? Welche Kriterien gab’s da?
Es gibt bestimmte Vorgaben von MTV. Es muss z.B. immer eine Coverversion geben. Ich habe dann zu MTV gesagt, dass ich noch nie eine Coverversion gemacht habe. Ich habe da eigentlich auch keinen Bock drauf (lacht) – schließlich habe ich so viele eigene Songs. Aber das ist eine Vorgabe und dann überlegt man sich, was man covern könnte. Und da ich sowieso „Redemption Song“ als Schlusslied a cappella auf meinen Konzerten singe, dachte ich mir, das wäre schon was. Aber wenn, dann mit Ky-Mani Marley, dem Sohn von Bob, den ich schon öfter getroffen hatte. Den schätze ich menschlich und musikalisch sehr. Das heißt, ich habe einfach mein Telefonbuch geöffnet und durchgeguckt, wen ich gerne dabei hätte. Und er hat sofort zugesagt. Genauso wie auch Shaggy.
Ich wollte zum einen Leute haben, mit denen ich so auch noch nicht zusammengearbeitet habe und dann wollte ich alte Bekannte wie Christopher Martin, Martin Jondo und Tamika, meine Frau, dabeihaben. Auch Tanya Stephens – die kenne ich schon ganz lange. Aber wir haben noch nie diesen Song „Another Melody“ zusammen performt. Ich wollte auch etwas haben, was man nicht erwartet wie Milky Chance, Campino und Marlon Roudette. Das ist, glaube ich, einfach eine sehr gute Mischung geworden. 

Wie hast du vor, das Ganze live auf die Bühne zu bringen?
Keine Ahnung (lacht)! Super Plan … oder?! Na ja, wir wollen das so nah wie möglich an die Aufnahme ranbringen. Das ist natürlich von der Produktion und der Bühnenplanung her nicht ganz so einfach möglich. Aber von den Musikern sind schon fast alle dabei. Wir gehen jetzt nicht mit den acht Streichern auf Tour, sondern bloß mit vier. Ansonsten ist die Besetzung, was die Musiker angeht, eigentlich identisch. Mit den Gästen ist es natürlich schwierig. Das sind alles Künstler, die unglaublich beschäftigt sind, die alle gerade ihr Programm spielen und in der Welt rumturnen. Da kann ich jetzt nicht jemanden für einen Song auf die Tour mitnehmen. Aber der eine oder andere Künstler kommt mit auf Tour. 

Ist das dann spontan, wer das sein wird?
Nein, das ist schon konkret. Aber das ist jetzt natürlich noch top secret (lacht).

Du hast dein Leben quasi dem Reggae gewidmet. Du bist seit über 20 Jahren dabei. Was ist das Magische für dich an Reggae? 
Es ist eher eine unbequeme Musik, was den Content angeht. Es ist ein bisschen vergleichbar mit Punk früher. Es ist eine Musik, die sich auch immer gegen Ungerechtigkeiten gestemmt hat. Die diese Kraft der Musik genutzt hat, um über das Entertainment hinaus zu gehen und immer auch gegen das Establishment war. Reggae hat auch immer Sachen kritisch hinterfragt und ist trotzdem nicht mit erhobenem Zeigefinger dahergekommen. Es ist einfach eine Musik, die mich textlich extrem anspricht und auch extrem breit gefächert ist: z.B. die Texte von Bob Marley, Dennis Brown und Peter Tosh. Es gibt so viele tolle Lieder, die damals geschrieben wurden. Auch wenn man sich Texte von Bob Marley anhört – die sind so aktuell wie nie zuvor. Die scheinen zeitlos: die Kombination aus dem hypnotisierenden und spirituellen Zusammenspiel von Schlagzeug und Bass und die universelle Sprache dieser Musik. Es kommen da viele Aspekte zusammen.

Du kommst richtig ins Schwärmen …
Ja, manchmal weiß man es ja selber nicht. Man sucht sich nicht die Musik aus, die man lieben wird. Das passiert einfach. Und dann kriegt man solche Fragen gestellt – und erst dann macht man sich darüber Gedanken (lacht).

Kann dich denn Reggae noch überraschen nach so vielen Jahren in der Szene?
Es gibt immer wieder ganz tolle Künstler, die leider im Moment nicht so öffentlich stattfinden, weil Reggae gerade leider durch eine Durststrecke geht und viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommt. Ich denke und hoffe und bin auch überzeugt davon, dass das auch irgendwann wieder in eine andere Richtung geht. AberReggae findet gerade so gut wie gar nicht stattbesonders auch in unseren Breitengraden.

© Pascal Buenning
Es gibt so viele neue, tolle, frische Künstler aus Jamaica und auf der ganzen Welt, die kaum Beachtung finden. Und wenn man bei iTunes auf die Genres guckt, findet man R’n’B, Pop, Hip Hop, Soul, Schlager, Folk und so weiter – aber kein Reggae. Es ist keine eigene Sparte. Wenn du dir die großen Festivals anguckst, dann sind alle Musikstile vertreten und Reggae irgendwie so gut wie nie.
Im Radio läuft auch ganz selten mal ein Reggae-Song. Es ist eine Musik, die oft missverstanden und belächelt wird, weil es immer noch mit dem Klischee Kiffer-Image zu kämpfen hat. Das ist auch, was mich ein bisschen stört an dem ganzen Ding. Dabei gibt es dauernd Überraschungen, was neue Künstler angeht.

Für mich ist Reggae so tief verwurzelt – es gehört für mich zum Alltag dazu. Es gibt mir Kraft, Hoffnung und Motivation – es macht das Leben erträglicher. 

Vor ein paar Jahren fand Reggae schon in Deutschland statt. Hast du eine Erklärung dafür, warum das jetzt nicht mehr so ist?
Ich glaube, es gibt immer so einzelne Songs, die die große Ausnahme sind. Sean Paul z.B., der jetzt vielleicht in eine Richtung geht, die nicht mehr Reggae ist. Aber der hatte damals auch seine Dancehall-Hits, die sich in den Charts platzierten. Aber das sind immer nur einzelne Songs.

Ich hatte das Gefühl, in der Zeit so Mitte der 90er waren die Medien interessiert und da brodelte etwas. Da haben die gemerkt, dassReggae nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen und rauchende Hippies mit Rastazöpfen ist. Dass da mehr dahinter steckt. Man hat Mitte der 90er gedacht: „Oh guck mal, das ist jetzt DAS neue Ding.“ Es gab auch die Symbiose Reggae mit Hip Hop: Collabos wie Bounty Killer mit Fugees oder das Freundeskreis-Ding. Es gab viele Hip Hopper, die auch zu Reggaepartys gegangen sind und umgekehrt. Das war so eine Zeit, wo man dachte, da passiert gerade was. Und dann ist es aber irgendwie, aus welchem Grund auch immer, nicht passiert. Reggae ist nun mal eine Spartenmusik, es ist zu speziell.

Obwohl du ja ganz erfolgreich damit bist.
Ich sage ja, einzelne Musiker. Aber es gibt so viele Künstler, die es so viel mehr verdient hätten als ich. Die wirklich den ganzen Tag in den Studios abhängen und viel bessere Sänger sind als ich und auch textlich viel schneller auf dem Punkt kommen – aber sie schaffen es nicht. Es gibt einen Patrice, es gibt einen Gentleman und es gibt auch Seeed. Dann hört es aber auch irgendwann auf. 

Jahcoustix noch.
Ja, aber der hätte es auch verdient, noch mehr gehört zu werden und auch im Mainstream zu sein. Und das meine ich jetzt gar nicht negativ. Das ist ja das, was man eigentlich will. Wenn man sich nicht verbiegt und bei seiner Message bleibt, ist es wunderbar im Mainstream zu sein. Man erreicht da einfach mehr Menschen. Diese Sätze: „Aww jetzt wird es aber kommerziell“ oder „Früher war alles besser“ und so was fallen ja oft. Man soll also am besten immer wieder denselben Song machen. Da ist der Horizont so groß wie ein Gartenzaun. Das ist oft das Problem. Wenn Künstler im Underground sind, sagen alle, die müssen gehört werden. Und wenn sie dann im Mainstream sind, dann ist es auf einmal kommerziell und nicht mehr cool. Das ist hier so ein bisschen die Tendenz.

Das ist hier die Krux.
Ja, und das ist in anderen Ländern ein bisschen anders. Da freut man sich, wenn es ein Künstler aus dem Underground geschafft ist, da auszubrechen, ohne sich zu verbiegen, bei seiner Message bleibt und viele Menschen erreichen kann. 

Obwohl Reggae und Dancehall schon eine Zeit im Fokus des Mainstreams war. Besonders wegen der Homophobie-Debatte. Man könnte sich bei dem Thema zurzeit auch gerne auf Rap stürzen. Wird aber irgendwie nicht. Ist das nicht scheinheilig, dass es scheinbar in diesem Genre bezüglich frauenfeindlicher und homophober Texte nicht so einen großen Aufschrei gibt?
Das ist ein bisschen Not gegen Elend. Das eine macht das andere ja nicht weniger schlimm. Im Hip Hop gab es auch schon immer frauenfeindliche und homophobe Texte. Aber das macht es nicht weniger schlimm, dass es das im Reggae auch gibt. Die Öffentlichkeit hat sich damals auch zu Recht auf bestimmte jamaikanische Künstler gestürzt. Und ich fand ja auch gut, dass die Diskussion endlich mal stattgefunden hat. Aber irgendwann ist es in eine Richtung gegangen, wo es nicht mehr differenziert war. Es hat sich auf jeden Fall, und da bin ich auch sehr froh darüber, was getan. Es gibt heute extrem viel weniger homophobe Songs, als es damals noch der Fall war, weil einfach ein Umdenken stattgefunden hat. Und weil die jamaikanischen Künstler gemerkt haben, dass sie mit ihrer eingeschränkten Sichtweise auch international nicht weit kommen.
Ich bin anders erzogen worden, ich bin anders aufgewachsen. Ich habe schwule Freunde. Ich kann das nicht nachvollziehen. In Jamaica ist es einfach ein komplett anderes Ding. Das ist leider so tief verwurzelt. Aber es passiert was, auch wenn es noch immer zu langsam ist.

Aber natürlich ist es richtig, wenn du das Wort scheinheilig benutzt, wenn manche Hip-Hop-Künstler in Talkshows eingeladen werden und in der Öffentlichkeit ganz okay dastehen, aber Texte haben, bei denen einem schlecht wird. Da sehe ich keine Balance. 

Gerade der Straßenrap ist wieder ganz groß. Sogar der Boulevard feiert das und keiner berichtet wirklich kritisch darüber, was da gesagt wird.
Ja, das sehe ich genauso. Natürlich muss man als Jugendlicher rebellieren. Ich habe damals als 14-Jähriger auch N.W.A geil gefunden oder EazyEund Ice Cube. Und ich habe dann vorm Spiegel die Texte mitgerappt als weißes Middle Class Kid – das ist ja eigentlich auch extrem albern (lacht). Aber man braucht diese Rebellion. Man kann Jugendliche dafür nicht blamen. Das ist auch zum großen Teil eine Sache der Medien, auch differenzierter zu sein und zu gucken, wie kritisiere ich was und was eben nicht.

Magst du noch Hip Hop?
Ja. Aber nicht sooo viel. Ich habe jetzt gerade eher Ethio Jazz, also ganz andere Geschichten, für mich entdeckt. Ich höre unglaublich gerne ganz alte Soul- und Funkplatten im Moment. Ich bin jetzt 40 Jahre, ja (lacht). Ich gehe jetzt nicht mehr so hey-yo-what’s-up-mäßig ab. Kendrick Lamar hat mich unglaublich geflasht. Es gibt ja auch richtig guten, intelligent gemachten Hip Hop. Es gibt viele Parallelen zum Reggae von früher. Ich mag auch Damian Marley gerne. Deutschsprachiger Gangster Rap ist jetzt nicht so mein Ding, aber es gibt im Hip Hop wirklich gute Platten. 

Du wist am 19. April 2015 40 Jahre. Da bist du im Haus Auensee in Leipzig. Das ist dein letztes Konzert auf der Unplugged-Tour.
Echt? Stimmt. Aber ich bin nicht so der Geburtstagstyp. Ich habe es mit Zahlen nicht so. 

Dass du ein neues Jahrzehnt beginnst, lässt dich also nicht zurückblicken?
Ich weiß es gar nicht. Wenn ich mir überlege, wie schnell die letzten zehn Jahre rumgegangen sind, dann ist das schon was, wo ich sage, dass ich noch mehr lernen will, bewusster zu leben und auch Momente bewusster aufzusaugen. Es geht einfach unglaublich schnell. Der Tod nimmt sich einen Tag nach dem anderen (lacht). Es ist ein absolutes Geschenk, hier zu sein und es ist schon so, dass ich überrascht bin, dass so viele Sachen zehn Jahre her sind. Sowas wird mir immer klarer. 

Was meinst du mit bewusster leben?
Ich glaube, ganz wichtig ist, sich Zeit zu nehmen und zu reflektieren, zu entschleunigen, runterzukommen und zu gucken: Wo stehe ich, wo bin ich, wo will ich hin? Ich glaube, dass man das nur hinbekommt, wenn man runterschaltet. Ich gehe super gerne auch mal in den Wald. Oder setze mich auf einen Stuhl und gucke eine Stunde aus dem Fenster und höre nur meinem Atem zu. Das sind Dinge, die einem extrem gut tun und die man viel zu selten macht. Ich habe das Gefühl – auch gerade Leute in meinem Alter (lacht) – man steht morgens auf und fängt an, gegen die Uhr zu rennen. Diese Geschwindigkeit, dieses Abliefern müssen, dieser Konkurrenzkampf, dieses ewige Rackern, dieses Nichtabschalten, gerade in der Zeit des ganzen Internet- und Smartphone-Gedöns – es hängt alles miteinander zusammen. Es ist eine neue Herausforderung, die wir haben. Ich habe den Eindruck, wir machen so viel und kriegen am Ende so wenig mit.

Kann man sich dem entziehen?
Ich glaube schon. Zumindest ein Stück weit, indem man sich das bewusst macht und sich täglich ein bisschen Zeit nimmt zu reflektieren. Und nicht hier einen Coffee to go, da unterwegs was essen, alle zwei Minuten Emails checken … Dass man versucht, einen bestimmten Rhythmus beizubehalten. Das wird, glaube ich, immer wichtiger.

Du hast in unserem letzten Gespräch gesagt, du magst Leipzig, weil da was passiert. Du hast sicherlich mitbekommen, was grad bei uns so abgeht: Legida/Pegida. Was sagst du dazu? Du warst ja auch im Januar 2015 beim Montags-Konzert gegen Ausländerfeindlichkeit in Dresden.

© Pascal Buenning
Ich bin immer so: Lass mal gucken, was positiv ist. Was ich an diesem ganzen Pegida-Gedöns positiv finde ist, dass auf einmal auch auf dem Schulhof über so etwas geredet wird – das sehe ich an meinem 14-jährigen Sohn. Es findet eine Diskussion statt. Sprich, die Jugend wird politischer. Und ich finde, das ist eine gute Entwicklung. Natürlich sind viele Aussagen, die gefallen sind, teilweise auch beängstigend. Aber ich bin immer der festen Überzeugung: Da wo eine Krise ist, ist auch eine Chance. Und es brodelt gerade und es passiert was.

Das andere ist: Allein wenn man sich mal das Wort vor Augen hält PEGIDA. Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes. Das ist schon echt so, wo ich denke: meine Fresse … Im Osten gibt es null Komma irgendwas Prozent Moslems. Da kann man ja nicht von einer Islamisierung sprechen – das ist ja ein Witz.

Ich finde es ganz wichtig, dass man seinen Unmut gegenüber der Politik äußert. Das machen ja viele, die da mitlaufen. Da sind nicht alle radikal – das unterstelle ich denen ja gar nicht. Nur sollte sich jeder, der da mitläuft, unbedingt bewusst machen, wer da links und rechts neben ihm mitläuft – im wahrsten Sinne des Wortes. Das eine ist der Unmut gegenüber der Politik, aber den Buhmann in der Religion zu finden, das ist sowas von unsensibel. Ich sehe besonders darin die Gefahr. Denn die Probleme, die die Menschen haben, haben doch nichts mit der Religion zu tun. Dieser berühmte Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ ist richtig. Er ist einfach ein Teil davon und die Mehrzahl der Gläubigen lebt ihre Religion ganz friedlich aus. Daher ist die Diskussion völlig undifferenziert und sehr populistisch. 

Wie siehst du die Flüchtlings-Diskussion?
Ich bin immer für ein buntes Miteinander und für einen Austausch von Kulturen. Gerade jetzt. Wir sind doch in der Pflicht, Flüchtlinge aufzunehmen. Wir leben auf dieser Erde zusammen und ich war in ganz vielen Ländern und Städten und war in New York und habe gesehen, dass es funktioniert. Es können verschiedene Menschen miteinander leben, auch wenn sie verschiedene Religionen haben. Dieses „Was ich glaube, musst du auch glauben“ – das ist natürlich die Wurzel der ganzen Kacke, die in der Welt passiert. Es macht einem schon auch Sorgen.

Was sollte man machen?
Ein wichtiger Punkt ist, dass bei vielen auch die Bildung und der Austausch fehlt. Wenn jemand die Bildung oder diesen Weitblick nicht hat, dann hat der sich das ja nicht ausgesucht. Da sind wir auch gefragt. Ich bin grundsätzlich für Dialog. Mit Rechten will ich selber nicht sprechen und mit bestimmten Leuten will ich keinen Dialog führen, weil es nicht auf einer Augenhöhe ist. Man kommt gegen Ignoranz nun mal nicht an. Aber ich finde es wichtig, dass Politiker diesen Dialog führen. Dafür sind sie da. Und wir als Musiker haben unglaublich schöne Mittel, durch Musik auch zu mobilisieren und zu sensibilisieren und das sollten wir auf jeden Fall nutzen. Deswegen fand ich das Konzert in Dresden auch gut. Natürlich war uns klar, dass da auch viele von der Pegida sind. Auch wenn die das so ausgelegt haben, dass sie die Demo einen Tag vorher gemacht haben, um dann kostenlos zum Konzert gehen zu können. Na ja was soll’s! Dann feiern wir halt alle zusammen. 

Was: Gentleman Unplugged 2015
Wann: 19. April 2015 um 20 Uhr
Wo: Haus Auensee

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