„Es wird eine heile Welt vorgegaukelt“ Interview: Leipziger Podcast „Deine Homegirls“

Im Interview mit Helen Fares und Josi Miller sprachen wi über Probleme im Hip Hop und was sie drumherum bewegt.

Lange galt Hip Hop als eher männliche Domäne, viele Rap-Texte sind geprägt von Sexismus, Homophobie und Gewalt. Ist es deshalb zu Zeiten von #metoo umso wichtiger, ein genaueres Auge auf die Strömung zu werfen? Was ist Kunst und was geht an die Grenzen von „erlaubt”? Alle zwei Wochen diskutieren „Deine Homegirls”, das sind die Leipzigerinnen Helen Fares (24), die als Journalistin und Moderatorin arbeitet, und DJ und Produzentin Josi Miller (30), über Probleme im Hip Hop und was sie drumherum bewegt. Dazu holen sie sich Gäste aus der Szene, wie Miss Platnum, Morlockk Dilemma oder Fatoni.

© Jan Kraus
Ihr erreicht mit eurem Podcast tausende Hörer. Zählt ihr euch inzwischen zur Sparte der Influencer?

Helen: Ich glaube, dadurch, dass wir einfach tun, was wir tun und sagen, was wir sagen und das in der Öffentlichkeit stattfindet, ist es per se wohl ein Influencer-Dasein. Ich persönlich sehe mich als Journalistin und im Hinterzimmerchen Musikerin. Josi ist ja auch Produzentin und DJ. Und wir reden einfach über alles, was uns bewegt. Wenn man das Influencer nennen will, okay, wahrscheinlich ist es die Funktion, die wir erfüllen. Aber das ist nichts, womit wir uns bezeichnen würden.

Wie kam es zur Idee „Deine Homegirls”?

Josi: Es war eher eine konkrete Idee, die wir verfolgt haben. Das war zu der Zeit, als ich noch im Nachtcafe aufgelegt habe. Ich glaube, vor vier Jahren fing das an. Das war so, dass es abends eine Sendezeit gab, die mit trashigen DJ-Mixes gefüllt war. Und ich habe gedacht: Mann, in der freien Zeit abends könnte man doch was Geiles mit Inhalt machen. Da waren Podcasts auch noch gar nicht so am Start. Und ich wollte irgendetwas mit anspruchsvoller Musik und guten Erzählungen dazu machen und habe Helen als den journalistischen Part angefragt, ob sie nicht Lust hätte, das mit mir umzusetzen. Und dann haben wir das auf immer mehr Portale hochgeladen und das hat gut funktioniert. Dazu kamen immer mehr Hörer und immer mehr Gäste. Das ist ganz organisch gewachsen.

Helen: Und vorher haben wir uns eigentlich nie wirklich unterhalten.

Josi: Also, wir kannten uns schon – aber so, wie man sich in Leipzig eben über Hip Hop kennt. Aber wir hatten nicht viel Kontakt. Wir sind uns komischerweise nicht so oft bei irgendwelchen Projekten über den Weg gelaufen, das hat sich dann erst entwickelt.

Was ist eure Haupt-Motivation? Was wolltet ihr erreichen, als ihr den Podcast gestartet habt?

Helen: Fame (lacht)! Nein, ich glaube, die Hauptmotivation ist jetzt im Moment, dass wir uns viel aufgebaut haben und da auch dranbleiben wollen. Die Motivation am Anfang war auf jeden Fall, dass wir unsere Meinungen nach außen bringen und unsere eigene Plattform aufbauen wollten. Wir wollten Menschen Musik zeigen und ihnen etwas über Musik erzählen, das sie vielleicht noch nicht unbedingt wussten. Es war uns wichtig, ein Sprachrohr zu haben, um relevante Inhalte zu besprechen – sei es auf politischer und musikalischer Ebene.

Josi: Es ist auch immer noch mein Anspruch, gute Musik an die Leute zu bringen, die noch nicht überall relevant ist. Dafür gibt’s auch eine Extra-Playlist. Ich sehe das aus DJ-Sicht und fische da gern auch in anderen Sphären und anderen Ländern. Klar – für wen Hip Hop jetzt gar nichts ist, der wird sich die Playlist nicht anhören.

In aktueller Debatte schauen wir auch, dass wir Musik spreaden, die vielleicht politisch korrekter ist, als es noch vor zehn Jahren der Fall war. Dass man da Künstler*innen supportet.

Haben sich Hip Hop und Rap in Zeiten von political correctness eurer Meinung nach verändert oder wird er einfach nur anders wahrgenommen?

Helen: Ich würde auf jeden Fall sagen, dass es vermehrt politisch korrekten Rap gibt. Einfach, weil es jetzt ein neues Bewusstsein, bessere Ausdrücke und Worte gibt. Nichtsdestotrotz würde ich sagen, dass es sich in 95 Prozent des Hip-Hop-Gefildes immer noch nicht geändert hat. Aus dem einfachen Grund, dass dieses politisch Korrekte ja eine Bubble-Geschichte ist, sogar eher eine links-intellektuelle Bubble-Geschichte. Und Hip Hop kommt ja eigentlich nicht ursprünglich aus diesen Milieus.

Josi: Ich glaube tatsächlich, dass wir in dieser Conscious-Welle, die wir dieses Jahr hatten, neue Hip-Hop-Hörer, oder eher -Fans, dazugewinnen konnten, weil es eine breitere Masse gibt, die sich mit diesen Themen identifizieren kann. Ich denke, dass man sich als durchschnittlicher Musik-Hörer zum Einstieg nicht direkt für Straßen-Rap begeistern kann, weil das natürlich eine ganz andere Lebenswirklichkeit widerspiegelt. Deshalb glaube ich, dass man mit politisch korrekteren Texten und mehr Bewusstsein eine größere Zuhörerschaft hat. Das kann am Ende auch dazu führen, dass es zu einem größeren Diskurs kommt.

Wir reden auch oft darüber, dass es natürlich Lebensrealitäten gibt, über die gerappt wird, in die ich mich gar nicht hineinversetzen kann, weil ich ganz anders aufgewachsen bin. Und wir wollen denen das ja auch nicht zum Vorwurf machen. Man muss es eher über den Diskurs und eine musikalische Vielfalt erreichen.

 

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Werdet ihr auch angefeindet dafür, dass ihr den Hip Hop „auseinandernehmt”?

Helen: Also, ich erlebe das relativ wenig. Allerdings kommt es schon vor, dass gesagt wird: „Lasst Hip Hop einfach Hip Hop sein. Es hat nichts mehr mit Hip Hop zu tun, wenn man das analysiert und so darüber spricht.” Das ist aber auch aus meiner Sicht eine sehr valide Meinung – dass man sagt, wenn etwas von der Straße kommt, sollte man aufhören, das übertrieben tot zu quatschen.

Josi: Das ist natürlich auch der Erfolg von Hip Hop, das sind Sachen, die über den normalen Gesellschafts-Konsens hinausgehen. Sei es nur mit Worten, die nicht der Norm entsprechen. Wenn man jetzt so in die Aggro-Zeiten schaut. Das ist ja auch das Spannende daran und viele wollen das ja auch hören. Ich glaube nicht, dass alle Menschen politisch korrekten Hip Hop hören wollen. Deshalb gibt es auch Meinungen, die sagen „Lasst Rap da, wo er hergekommen ist.” Man muss ja auch sehen, dass zum Beispiel große Label-Bosse das alles tolerieren um des Erfolges Willen.
Helen: Das ist Purismus. Man will die Dinge nicht ändern. Lasst uns in Ruhe und in unserer Welt. Und das ist auch okay. Ich finde, diese Meinung hat ihre völlige Daseins-Berechtigung. Ich glaube schon, dass es Sinn ergibt, das am direkten Beispiel Rap zu diskutieren. Aber das sind ja schon Probleme in der Gesellschaft, sei es Frauenfeindlichkeit oder Homophobie, eine krasse Neigung zum Kapitalismus. Da muss man schon in der Erziehung und im sozialen Umfeld schauen, dass Themen angesprochen werden. Und nicht erst jetzt, wo Rap ist, wie er ist, zu sagen, dass das falsch ist.

Sind das alleinig Probleme vom Hip Hop?

Helen: Ich glaube zum Beispiel, dass das in anderen Strömungen, wie Schlager, hinter den Kulissen passiert – Feindlichkeit gegenüber Frauen oder Trans-Persönlichkeiten, Homophobie.

Du hast ja da so eine homogene Masse, dass ja auch alles andere nicht zugelassen oder nicht supportet wird. Das ist kein reines Problem vom Hip Hop. Es wird eine heile Welt vorgegaukelt.

Seht ihr euch als Vorbilder, die mit gutem Beispiel vorangehen sollten?

Helen: Klar, die ganze Zeit. Wir haben ja total viel Verantwortung. Vor allem, weil wir ja immer die ersten sind – ich noch mehr als Josi –, die darauf hinweisen, dass man bestimmte Dinge so nicht sagen kann. Dass etwas nicht korrekt ist. Da müssen wir schon ganz doll aufpassen.

Josi: Mich nervt das auch manchmal, dass man so viel Rücksicht nehmen muss. Ich würde lieber öfter politisch unkorrekte Dinge sagen, ohne dafür angefeindet zu werden.

Helen: Also mich stört das eigentlich nicht. Wenn ich noch einen Fehler mache und darauf hingewiesen werde, freue ich mich eher, weil ich noch etwas dazulernen kann. Zum Beispiel eine Sache, von der ich nicht dachte, dass sie verletzend sei. Dann kann ich einfach mehr darauf achten. Ich denke, du musst dich eigentlich generell in deinem Leben darauf einstellen, dass Lernen eine schöne Sache ist.

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