Motorsport muss nicht stinken Im Gespräch mit Profirennfahrer Jan Seyffarth

Seit 2011 ist Profirennfahrer Jan Seyffarth einer von rund 600.000 Messestadtbewohnern und macht unter Leipziger Kennzeichen die Straßen unsicher. Wir sprachen mit ihm über die Formel, den anstehenden E-Prix in Berlin und das Leben außerhalb seines Rennfahrer-Daseins.

Seit 2011 ist Profirennfahrer Jan Seyffarth einer von rund 600.000 Messestadtbewohnern und macht unter Leipziger Kennzeichen die Straßen unsicher. So richtig aufs Gas drückt er aber nur auf der Rennstrecke – bevorzugt auf der Nordschleife des Nürburgrings (seine unangefochtene Lieblingspiste). Sein Super-Mario-Gen offenbarte sich an anderer Stelle: Im Alter von 12 Jahren fuhr der kleine Jan in seinem ersten Gokart-Rennen direkt auf Platz 2. Mit dieser Leistung überzeugte er selbst die größten Kritiker – seine Eltern. Seitdem sind Autos sein Leben. Und wenn er nicht gerade auf der Strecke unterwegs ist, füttert der Motorsportexperte das Eurosport-Publikum bei Formel-E-Rennen oder auf seinem YouTube-Kanal mit seinem vierrädrigen Fachwissen. 

© Jan Seyffarth

Jan, uns ist zu Ohren gekommen, dass deine Sportbegeisterung auch über das Lenkrad hinaus reicht und du häufig im Stadion anzutreffen bist. Ein Rennfahrer im RB-Fanblock? Das wollen wir genauer wissen.

Ich war eigentlich nie richtiger Fußballfan und hatte – bis mich mal eine Freundin mitgenommen hat – nie ein Stadion von innen gesehen. (lacht) Die Atmosphäre hat mich dann schlichtweg überwältigt. Und dass eine Mannschaft durch einen Gönner unterstützt wird, stört mich nicht. Ich komme aus einem Sport, in dem Sponsoring komplett normal ist. Ich weiß, viele Fußballfans sehen das völlig anders und schwören auf Tradition. Schwachsinn: Es geht um Sport! Tradition kann neu beginnen. Und den Anteilseignern und Sponsoren, die hinter anderen Vereinen stehen, geht es genauso um Profit. Aus diesem Grund kann ich die Diskussion nicht nachvollziehen und schätze RB Leipzig stattdessen als einen familienfreundlichen Verein. Anfang des Jahres bin ich auch dem Fanclub beigetreten. Ich sag immer: mit Stimme rein und ohne Stimme raus. 

Deine Eltern hätten dir sicher auch lieber beim Fußballspielen zugesehen anstatt beim Runden drehen?

Meine Eltern wollten tatsächlich lange Zeit nicht, dass ich Autorennen fahre. Das liegt daran, dass es eine Menge Zeit und vor allem viel Geld kostet. Es ist einfach nicht so ein Hobby wie Fußball- oder Tennisspielen. Bitte nicht falsch verstehen: Das sind auch tolle Hobbys, aber wenn man Rennen fahren will, dann richtig. Im Alter von 12 Jahren – also relativ spät – konnte ich meine Eltern dann zum Glück überzeugen, weil ich in meinem erste Gokart-Rennen direkt auf Pole Position gefahren und am Ende Zweiter geworden bin. Dafür, dass ich keine Ahnung hatte, wie das funktioniert, ein echt gutes Ergebnis. Innerhalb von drei Jahren (2002) bin ich dann in ein etwas größeres Formel-Auto umgestiegen, bis das Werk Porsche auf mich aufmerksam wurde und mich als Junior-Fahrer verpflichtete. Heute fahre ich überwiegend Langstreckenrennen im Namen von Mercedes-AMG – also sitze in Rennautos, die rein von der Hülle an Sportwagen erinnern, die man von der Straße kennt. Im Inneren sieht es natürlich komplett anders aus: Ein Sitz, kein Radio, keine Fußmatten.

Zu welcher Art Fahrer gehörst du, wenn du im öffentlich Straßenverkehr unterwegs bist?

(lacht) Ich muss ehrlich zugeben: Ich habe einen Punkt in Flensburg, weil ich tatsächlich einmal zu schnell gefahren bin. Grundsätzlich bin ich aber ein harmloser Fahrer, der sich – entgegen aller Erwartungen, was Geschwindigkeit anbelangt – lieber auf der Rennstrecke austobt und nicht auf der Straße. Da kommt nämlich Gegenverkehr und da stehen Bäume rechts und links.

Auf welchen Strecken drückst du lieber aufs Gas?

Lieblingsstrecken unterteilen sich bei mir in Strecken, die ich mag, weil ich dort Erfolge gefeiert habe, und in Strecken, die mir gefallen, weil sie anspruchsvoll sind. Die Formel-1-Strecke von Barcelona finde ich absolut langweilig. Ich mag sie aber trotzdem, weil ich dort meinen ersten Porsche-Sieg eingefahren habe. Die gefährlichste, längste und – für mich – die schönste Rennstrecke der Welt ist die Nordschleife des Nürburgrings. Eine Runde hat hier 25 Kilometer und dauert etwa acht Minuten. Nur zum Vergleich: In dieser Zeit hat man auf einer normalen Rennstrecke schon vier bis fünf Runden hinter sich.

© Florian Lein

Das erfordert sicher eine unheimliche Ausdauer und Konzentration?

Auf jeden Fall. Eine Strecke wie die Nürburgring-Nordschleife setzt eine enorme physische Ausdauer voraus. Um Rennen dieser Art zu meistern, muss nicht nur der Körper fit sein, sondern auch der Geist. Das Fahren an sich ist da fast nebensächlich. Viel anstrengender ist das Drumherum: Neben meinem Auto befinden sich rund 200 weitere auf der Strecke – das erfordert eine enorme Konzentration und Antizipation. Beide Fähigkeiten lassen sich aber nur schwer trainieren. Rennfahrer können – allein in Gedanken – eine Rennrunde zurücklegen und dabei bis auf eine halbe Sekunde genau auf die echte Streckenzeit rankommen, also die Zeit, die sie in Wirklichkeit brauchen, um die Strecke zu absolvieren. Das ist echt gute Kopfarbeit! Ich glaube, so exakt und so bildlich können sonst nur Skifahrer und Rodler denken.

Aber du bist längst nicht nur auf Rennstrecken unterwegs. Woran liegt das?

Naja, heute verdient man einfach nicht mehr genug Geld mit dem Fahren allein, deshalb muss man sich weiterentwickeln. Ich teste zum Beispiel nebenher Autos, bin als Host für „GRIP – Das Motormagazin“ auf RTL II unterwegs oder übernehme für Menschen, die auch mal auf einer Rennstrecke fahren wollen, die Rolle des Fahrinstruktors. Hinzu kommt, dass es mich nie komplett ausgefüllt hat, fünf bis zehn Rennen pro Jahr zu fahren und den Rest der Zeit auf der faulen Haut zu liegen. Dank meines Experten-Jobs bei Eurosport, der mir die Gelegenheit bietet, Wettkämpfe wie das 24-Stunden-Rennen von Le Mans oder die Formel E zu kommentieren, bin ich zum Glück viel unterwegs. Als nächstes steht der E-Prix in Berlin an, der ein großes Ereignis für den deutschen Motorsport ist, und den ich zwar nicht am Mikrofon analysiere, dafür aber an der Rennstrecke begleite. 

Glaubst du, dass der vollelektrische Motorsport der Formel 1 irgendwann den Rang abläuft?

Was das angeht bin ich etwas zwiegespalten. Also ich glaube nicht, dass in naher Zukunft alles auf Batterie umgestellt wird. Allein weil vollelektrischer Motorsport einfach zu teuer ist und die Produktion von Batterien auch nicht unbedenklich ist. Trotzdem sind die Schritte, welche die Formel E gemacht hat, gut – auch wenn die Meisten Motorsport nach wie vor mit Verbrennungsmotoren verbinden. Aber die Formel 1 ist in den letzten Jahren einfach zu unnahbar geworden. Wer bekommt auf der Rennstrecke denn noch einen Fahrer zu Gesicht? Davon profitiert wiederum die Popularität der Formel E. Dort gibt es beispielsweise die E-Zone, die Fan-Zone, in der alle Fahrer für Interviews und Autogramme bereitstehen. Und ein Auto muss keinen Krach machen und stinken, um cool zu sein.

Ein drittes Arbeitsfeld ist dein YouTube-Kanal, auf dem du dich als Schnittstelle zwischen dem realen Motorsport und dem Simracing, also dem virtuellen Motorsport verstehst. Wie lässt sich das vereinbaren? 

Motorsport ist für mich der Zweikampf zwischen zwei Autos – also Mensch gegen Mensch. Und an dieser Stelle ist es für mich egal, ob dieser Kampf auf einer realen oder einer virtuellen Ebene stattfindet. Der Kampfgeist am Simulator ist derselbe wie der, den ich im richtigen Rennauto spüre. Und da ich aus dem richtigen Motorsport komme und mich mittlerweile in die SIMRacing-Szene eingearbeitet habe, kann ich mich in beide Welten hineinversetzen. Ein Vorteil des virtuellen Sports: Die Anschaffungskosten mit maximal 2.000€ sind verhältnismäßig gering. Mein echtes Rennauto hat einen Wert von 400.000€. Wenn ich das gegen die Leitplanke fahre und beschädige, ist das echt schmerzhaft. Auf der virtuellen Rennstrecke drücke ich einfach die Escape-Taste und es geht von vorne los.  

Schaut mal ins Web unter www.jan-seyffarth.de

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Das Rennen startet am Samstag um 13 Uhr und wird im Ersten und auf Eurosport live übertragen.