Der Berliner Fotograf und Türsteher im Interview Interview mit Sven Marquardt:„Kein Bock mehr auf dieses Ost-West-Ding“

Der authentische Berliner wird seinen dritten Bildband „Wild verschlossen“ im März zur LitPop vorstellen. Warum es sich lohnt, da mal vorbeizuschauen, lest ihr hier im Interview!

Der Berliner Partymensch kennt ihn zunächst als Türsteher des Berghains, denn er fällt auf und polarisiert. Jedoch sollte man Sven Marquardt auch oder vor allem als Fotografen kennenlernen, denn auch von seinen Porträts ist der Blick so schnell nicht wieder zu lösen. Warum das so ist und wie Sven Marquardt Club- und Subkultur verbindet, erfahrt ihr im Interview.

© Mitteldeutscher Verlag
Du bist 1962 in Berlin geboren, hast sicher viel gesehen und erlebt. Wie bist du zur Fotografie gekommen?
Ich habe in Ostberlin eine ganz klassische Ausbildung gemacht, damals beim Fernsehen. Die Ausbildung war ziemlich cool, aber so richtig leidenschaftlich angezeckt hat mich das erst später, ich fand in dem erlernten Handwerk ein Stil- und Ausdrucksmittel meines Lebensgefühls. Ich habe dann Anfang der 80er angefangen, in meinem Freundeskreis zu fotografieren. So begann alles.

War für dich immer klar, dass du in Berlin leben und arbeiten möchtest oder hat es dich auch mal weggezogen?
Berlin als Arbeitsplatz und Heimat für länger zu verlassen, den Wunsch hatte ich nie. Aber derzeit oder seit ein paar Jahren zieht es mich immer weiter weg immer im Zusammenhang mit meinen Bildern. Das kommt oft auch automatisch durch Ausstellungseinladungen oder Events. Den Traum, mit meinen Bildern zu reisen, hatte ich tatsächlich schon Mitte der 80er Jahre, als noch gar nicht daran zu denken war, jemals reisen zu dürfen. Wir hatten damals nun mal eine geteilte Stadt, Kontakte in den Westen und wir konnten nicht weg, so war auch das Lebensgefühl. 

Nach der Wende hast du mehr oder weniger bis 2003 eine Pause eingelegt. Siehst du die Zeit der DDR als deine Hochzeit? 
Nee. Die DDR-Zeit, Ostberlin-Zeit war eine wichtige Zeit, weil die mit meinem Erwachsenwerden zu tun hat. Aber ich glaube, ich empfinde die letzten zehn Jahre mehr als Hochzeit. Für mich waren die 90er Jahre des Nichtfotografierens auch ne total tolle Zeit, ich habe ja in der Zeit schon als Türsteher gearbeitet und war in der Clubszene Berlins unterwegs. Aber fotografisch habe ich erst später wieder dort angeknüpft, wo ich aufgehört hatte. Ich glaube, dass die 90er in vielen Bereichen so bisschen undefiniert waren, fast anarchistisch, da wurde einem erst bewusst, was alles noch möglich ist. Da fällt mir ein, meine letzte Ausstellung in Leipzig war 2009 und das kam mir dann vor wie Berlin in den 90ern, noch nicht so vollgepackt. Fand ich toll!

Du sollst sehr exzessiv gelebt haben, quasi nichts ausgelassen haben. Bereust du etwas? 
Gar nichts (lacht). Es ist ja nicht so, dass ich aus Kummer meine Kamera weggelegt habe. Ich habe tatsächlich diese neue Zeit sehr genossen  und auch sehr exzessiv gelebt, ja. Habe ich bestimmt vorher auch, aber dann durch die Clubkultur nochmal anders geprägt. Nein, ich bereue gar nix.


Deine Bilder haben etwas sehr Spezielles, sie sind düster und provozierend, die Menschen auf ihnen zeigen viel Haut. Wie sind die Reaktionen?
Ausstellungen und Bildbände sind immer gut reflektiert, ich glaube, die Leute halten sich zurück. Aber ich sehe das auch als Kompliment, denn die Bilder haben eine Intensität und einen Blick, mit dem man sich vielleicht nicht immer in seiner Nähe oder seiner Wohnung konfrontieren möchte. Das Buch macht man zu und aus der Ausstellung geht man wieder raus, hat man aber so ein Bild bei sich, sind diese Blicke manchmal auch sehr nah und haben was von Melancholie, Stärke, Kraft oder Ablehnung. Das mag schon sein, dass das auf Dauer manch einem Betrachter auch zu viel ist. Aber egal, in welche Richtung ein Foto berührt, die Hauptsache ist, es berührt. 

Wer sind die Menschen auf deinen Bildern? 
Die Frauenbilder sind nah aus meinem Umfeld, keine Auftragsarbeiten. Die hatte ich sowieso selten zu Ostzeiten. Es waren Leute, die mich auch so in meinem Leben begleitet haben. Bei den Männerbildern mischt sich das. Seit ein paar Jahren fotografiere ich meine Türkollegen nebenbei, mache Musikerportäts. Im Berghain sitzt ja auch das Ostgut-Booking, bei dem ich als einziger Fotograf zwischen Musikern unter Vertrag bin, und mit vielen von denen arbeite ich regelmäßig zusammen. Am Rande dieser Zusammenarbeit entsteht im besten Fall auch mal ein Bild, das bei mir im Bildband landet. Und da sind dann manchmal auch Leute dabei, die mir nicht so nah sind, die ich aber als Musiker sehr schätze. 

Sind die Bilder ein auch Spiegelbild von dir, deinem Inneren? 
Auch. Im besten Fall reflektiert es natürlich beide. Ich sitze mit den Leuten gern im Gespräch und schaue ihnen ins Gesicht. Beiderseitiges Vertrauen ist natürlich wichtig. Da spricht man das auch durch, was man sich vorstellt. Es ergibt sich dann beim Shooting, dass man verschiedene Outfits probiert und somit verschiedene Posen. Es ist gut, wenn sich jemand richtig einlässt, Ich finde aber auch ganz gut, wenn jemand `ne Distanz hat, dann zerstör ich die auch nicht. Kann sehr reizvoll für den Betrachter sein, der später mal das Bild sieht.  

© Mitteldeutscher Verlag
Im März erscheint ja dein dritter Bildband „Wild verschlossen“. Was unterscheidet ihn von den bisherigen?
Der erste war tatsächlich chronologisch von `82 bis 2001, ist ein Klassiker, den ich bei Ausstellungen immer mit anbiete. Danach drei künstlerische Projekte von 2007 bis 2009. Der dritte hatte mal den Arbeitstitel „East Side Girls and West Side Boys“. Mir ist aufgefallen, dass ich zu Ostberlin-Zeiten hauptsächlich Frauen fotografiert habe und in den letzten zehn Jahren fast nur noch Männer. Alles, was jetzt in dem dritten Bildband eher jüngere Frauen sind, sind Fotos aus den 80ern. Erst sollten vorne die Frauen, in den hinteren Teil die Männer kommen, jetzt haben wir das aber so gemischt, dass man nicht mehr weiß, wann die Bilder entstanden sind. Ich hatte auch die Schnauze voll, schon wieder so ein Ost-West-Ding in meinem Bildband zu packen, und wollte einfach nur Fotos aus drei Jahrzehnten zeigen. Und deswegen ist es jetzt `ne Mischung aus Männern und Frauen. 

Du wirst deinen Bildband dann auf der Buchmesse bzw. LitPop 2015 in Leipzig vorstellen. Was erwartest du, was können wir erwarten?
Ich weiß bisher noch nicht wirklich etwas. Ich weiß, dass ich das erste Mal auf `ner Buchmesse live vertreten sein werde, worauf ich mich freue. Gespräche in der Öffentlichkeit, Publikum mit Fragen einbezogen, das mag ich. Hoffe auf einen tollen Gesprächspartner und natürlich Gäste, die sich dafür interessieren. Ich kenne diese Veranstaltungsreihe noch nicht. Freu mich über die Einladung!

Einen Eindruck von Sven Marquardts Arbeit erhaltet ihr HIER

Die LitPop 2015 findet am 14. März 2015 ab 18 Uhr im Neuen Rathaus statt. Euch erwarten mehr als 30 Autoren und Slammer, DJs und Konzert-Acts.