kosmische (Atmo)Sphären Leipziger Musiker im Fokus #108: Johnny Katharsis

Leipziger Rapper im Fokus: Die vielen Gesichter des Johnny Katharsis und seine Reise mit der Nostromo.

Zuhause im Kreuzfeuer von Hip Hop, Punk und zeitgenössischer Literatur: Die vielen Gesichter des Johnny Katharsis und seine Reise mit der Nostromo. 2021 hat gerade frisch begonnen und schon steht der Leipziger Rapper Johnny Katharsis mit seinem Partner und Beats-Produzent HeMightBe mit der gemeinsamen LP „Nostromo“ in den Startlöchern, die am 29. Januar über „Das Label mit dem Hund“ veröffentlicht wurde.

 

© Alena Sternberg | Susanne Wagner

Nostromo“ ist bereits das zwölfte Album eines Künstlers, dessen Vielseitigkeit in einem einzigen Artikel kaum Tribut gezollt werden kann. Allein die Liste an Kollaborationen auf dem vergangenen Dutzend Longplayer, seine Ursprünge im Punk und Metal, sein Hörstück „Das Haus“, mit dem er beim Leipziger Hörspielsommer gewann sowie sein Studium der Sprachkunst in Wien, das ihn zur Realisierung seines kommenden Buchprojekts „Zone“ inspirierte, sind nur einzelne Stationen im Werdegang des mannigfaltigen Musik– und Wortkünstlers. urbanite wagt dennoch den Versuch, eine Momentaufnahme der aktuellen Album-Veröffentlichung für euch greifbar zu machen, um die Nostromo noch im Augenwinkel zu erhaschen, bevor sie vorbeifliegt, um ein weiteres Kapitel im Tagebuch von Johnny Katharsis zu schließen.

EIN RASTLOSER KREATIVER GEIST 

Johnny geht es gut — auch wenn er eigentlich nie durchatmet, wie er verrät. Denn nach dem Projekt ist vor dem Projekt. In dem Sinne verrät der Rap-Künstler, der den bürgerlichen Namen John Sauter trägt, noch bevor er über den Release-Prozess von „Nostromo“ reflektiert, dass er schon wieder ein komplett neues Album mit Beat-Kollege Pawcut aufgenommen hat. Schnell wird deutlich: Dieser Mann stagniert nicht und geht im Kopf den nächsten Schritt, bevor der vorherige überhaupt getan ist — ein rastloser kreativer Geist im Kreuzfeuer von Musik und Literatur. Doch spulen wir noch einmal zurück und reflektieren über den 12-Track-Longplayer „Nostromo“, dessen Single-Auskopplung „Hunger“ urbanite bereits in der Dezember-Ausgabe vorgestellt hat. Wir erinnern uns: „Hunger“ besticht als ziemlich düsterer Track im Ethno-Gewand mit seiner unerbittlichen Direktheit. Katharsis und HeMightBe nahmen ihn gemeinsam mit Vokalist Chantty Natural auf.

© Alena Sternberg

BEHÄLT DIE NOSTROMO DIESEN KURS BEI?

Es existiert ein analog betitelter Roman des englischen Schriftstellers Joseph Conrad. Nun könnte man meinen, der literaturaffine Rap-Künstler schlägt in der Namensfindung seines aktuellen Albums eine Brücke zwischen jener literarischen Ebene und den jeweiligen Anfängen zweier Jahrhunderte. Tatsächlich jedoch stellt Katharsis den Bezug aus Ridley Scotts Horrorstreifen Alien her, in dem das Alien die Crew des Raumschiffs Nostromo terrorisiert. Seine Assoziation zum dystopischen Science Fiction sieht er in HeMightBes Instrumentalen klar charakterisiert. Durch den synthetischen, metallischen und fremd anmutenden Sound, der besonders in Tracks wie Strommast oder Geisterstadt evident wird, schloss sich für Katharsis der Kreis zur entsprechenden Betitelung. Diese Atmosphäre leitet den Musikkünstler an, seinen eigenen kleinen Kosmos bestehend aus Musik und Büchern aus der eigenen Feder zu kreieren; ein Gesamtkonzept, bei dem es abzuwarten gilt, ob es den Künstler in ähnlich kosmische Sphären verschlagen wird, wie einst die Nostromo — aber hoffentlich ohne Alien!

PERSPEKTIVEN STATT PLATTITÜDEN

Trotz seines Studiums der Sprachkunst an der Wiener Universität für angewandte Kunst, des vorangegangenen Journalistik-Studiums in Leipzig und anschließender redaktioneller Tätigkeit in Hamburg und Berlin hält es Katharsis eher mit dem persönlichen Ausdruck, als mit wissenschaftlicher Arbeit rund ums Zitieren und Fußnoten setzen. Dennoch ist er in der Konsequenz auch der literarischen Welt äußerst zugeneigt, was sich sowohl in der Quantität und nahezu akademischen Qualität seiner wortgewandten Lyrics, als auch in seinem Drang nach autonomen, literarischen Großprojekten manifestiert. „Ich würde jetzt keine Songtexte über meine geilen neuen Schuhe oder meine geile neue Einbauküche machen“, gibt Johnny Katharsis schmunzelnd preis. Mit solchen lyrischen Plattitüden der Rap-Welt könne sich der Künstler, der sein eigenes Genre mit dem Begriff „Punk Rap“ treffend definiert sieht, weniger identifizieren.

Lieber erschafft er offene Orte und Atmosphären, mit denen sich jede:r Hörer:in und Leser:in identifizieren kann. Dabei möchte er nicht zu spezifisch und autobiografisch werden. „So kann man die Leute leichter abholen“, erklärt er. Allein durch die szenischen Songtitel seiner Album-Tracklist erschafft er ein bestimmtes jeweiliges Setting, das zwar bildliche Assozia­tionen im Kopf erschafft, jedoch nicht zu plakativ wirken soll. Vielmehr geht es um den atmosphärischen Rahmen bzw. um dezente Erwähnungen der Songtitel im gesamtlyrischen Ensemble, die letzten Endes auf einer Metaebene fungieren. Die orientalischen Anleihen in den Instrumentalen nimmt HeMightBe übrigens aus den Folgen seines Arabistik-Studiums mit. Laut Katharsis war der Beats-Produzent auf orientalischen Märkten unterwegs, von denen er Platten unbekannter Künstler:innen mitnahm, um einzelne Sequenzen zu samplen. Diese Leidenschaft für arabische Musik fließt in die spürbar rätselhaft-orientalischen Instrumentals ein, die mitunter auch den Klangcharakter von „Nostromo“ prägen. Hunger bildet demzufolge keine Ausnahme.

© Susanne Wagner

BITTE EINSTEIGEN!

Dass diese Formel funktioniert, resümiert Katharsis abschließend aus der bisherigen Resonanz auf das neue Album: Die „Kompaktheit“ komme gut an, so der Künstler. Damit verweist er auf die vierzigminütige Spieldauer. Weiterhin seien Produktion,Atmosphäre und Albumcover besonders positiv hervorgehoben worden. Das collagenhafte Artwork von Grafikkünstler Cornelius Grund komme darüber hinaus als großes LP-Cover besonders gut zur Geltung. Dieses befand sich bereits im Portfolio von Cornelius Grund und wurde anlässlich der Lizenzierung als „Nostromo“-Albumcover einer Frischekur unterzogen. „Dieser collagierte Kopf fängt die Aussage des fantastischen Science-Fiction-Elements super ein, das dem Album innewohnt“, stellt Katharsis fest.

Nun heißt es: Nicht nur betrachten und staunen,sondern auch einsteigen! Denn was bei Stanley Kubrick in 2001: „A Space Odyssee“ noch stumme Theorie auf der Kinoleinwand war, machen Johnny Katharsis und HeMightBe 2021 auf der Reise mit ihrer Nostromo endlich möglich. Wer sich dann immer noch nicht kathartisch gereinigt fühlt, dem sei Johnnys Gedichtband „Zone“ ans Herz gelegt, der noch in diesem Monat bei der Berliner Edition Azur erscheinen soll.

www.johnny-katharsis.de