„Die meisten finden es zwar toll, dass sich die Jugend politisiert, sind aber der Meinung, wir sollten das in unserer Freizeit tun“ Leipziger Ortsgruppe Fridays for Future: Gemeinsam kann etwas bewegt werden

Für die einen sind es Schulschwänzer, für die anderen die große Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft – „Fridays for Future“ hat auch in Leipzig Fahrt aufgenommen.

Für die einen sind es Schulschwänzer, für die anderen die große Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft. Seit Monaten gehen freitags überall in Deutschland junge Menschen auf die Straße und fordern die Regierung zum Handeln im Kampf gegen den Klimawandel auf. Sie wollen den Kohle-Ausstieg, sie wollen die Besteuerung von CO2, sie wollen erneuerbare Energien. „Fridays for Future“ hat Fahrt aufgenommen – während Teenies vor ein paar Jahren nach der Schule Playstation zockten, zeigen sie heute den Erwachsenen, wo es langgeht. Wir haben mit Ita Weinrich von der Leipziger Ortsgruppe gesprochen.

© Tobias Möritz
Alles begann mit einer Rundnachricht im Gruppenchat, das war an einem Donnerstagabend im Dezember 2018. Zur ersten Spontanversammlung am Tag darauf kamen gerade einmal 27 Menschen. Nur einen Monat später, am 18. Januar 2019, zogen auf einmal 700 Schüler durch die Leipziger Innenstadt. „Wir hatten mit etwa 300 Teilnehmern gerechnet“, erinnert sich Ita. Seit diesem Tag war klar: Das hier ist etwas Ernstes. Auch die Medien nahmen die Bewegung inzwischen wahr. Und entgegen vieler Zweifel hat sich der Protest nicht nach ein paar Wochen still und heimlich wieder aufgelöst, sondern wird von Woche zu Woche stärker. Bei der Groß-Demonstration am 24. Mai, zwei Tage vor der Europawahl, machte eine Masse von mehreren tausend Menschen ihrem Ärger über die „Klima-Kurzsichtigkeit“ der Regierung Luft. Der Protest vor dem Bundesverwaltungsgericht und in der Innenstadt war Teil eines globalen Klimastreiks, der Jugendliche in ganz Europa von den Schulbänken auf die Straße holte.

WER BRINGT DIE MASSEN IN BEWEGUNG?  

 

Eine kleine Gruppe von sieben bis zehn Jugendlichen im Alter von 15 bis 20 Jahren – das ist der Kern von Fridays for Future in Leipzig. Die Ortsgruppe ist eine von zwölf in ganz Sachsen. Im Rest Deutschlands wäre da mehr los, so Ita. 

Begonnen hatten sie in Leipzig zu dritt. „Es kristallisiert sich relativ schnell heraus, wer die meisten Ambitionen und auch die meiste Zeit hat“, schmunzelt die 17-Jährige. Fast ihr kompletter Alltag dreht sich inzwischen um die Bewegung, abseits von den wöchentlichen Freitags-Demonstrationen steht jeden Tag mindestens ein Gruppentreffen, Plenum oder Orga-Meeting an. „Was viele vergessen ist der ganze Aufwand dahinter.“ Denn bis auf die Streik-Aktionen an Freitagen spielt sich der FFF-Kosmos nach dem Unterricht ab. Oftmals wird dennoch die Kritik geäußert, viele der Jugendlichen nähmen die Demonstrationen nur als Ausrede fürs Schuleschwänzen.

Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer schlug den Schülern vor, nach Unterrichtsschluss und am Wochenende zu streiken. Für die jungen Aktivisten ginge aber genau damit der Punkt der Bewegung verloren. Sie wollen nicht geduldet, sondern ernst genommen werden, auch wenn das bedeutet, sich über Regeln hinwegzusetzen. „Die meisten finden es zwar toll, dass sich die Jugend politisiert, sind aber der Meinung, wir sollten das in unserer Freizeit tun“, erzählt Ita. Dass sich die Schüler die Zeit nehmen, den verpassten Stoff nachzuarbeiten, daran glauben viele Skeptiker nicht. Doch für die Jugendlichen ist der Klima-Kampf kein Hobby, sondern die letzte Chance, ihre Zukunft zu gestalten. Denn wählen dürfen viele der Demonstrierenden (noch) nicht. Auch dafür, das Mindestwahlalter auf 16 Jahre zu senken, setzt sich Fridays for Future ein. „Für uns ist das etwas, das parallel mit der Bewegung einhergeht. Wir finden es unmöglich, dass wir nicht wählen können für eine Politik, die unsere Zukunft bestimmt.“ Viele andere Möglichkeiten, ihrer Meinung Ausdruck zu verleihen, als die Schule zu bestreiken, hätten die Schüler nicht, erklärt Ita.

© Max Leurle
 

Dass aber gerade bei den jungen Menschen in Europa das Thema Klimaschutz ganz oben steht, haben die Wahlen gezeigt. Bei den Wählern zwischen 18 und 29 Jahren waren die Grünen in Deutschland die stärkste Kraft. Statistiken zeigen, dass die größte Angst eines Großteils der Deutschen nicht mehr – wie in den letzten Jahren – Migration, sondern der Klimawandel ist. Und der Rest verschließt die Augen vor dem Thema? Die 17-Jährige sieht die Bequemlichkeit der Menschen als großen Teil des Problems: „Viele leugnen den Klimawandel ja nicht, weil er nicht da ist, sondern einfach, weil er bedeutet, dass sich etwas verändern müsste. Das würde Anstrengungen und Unannehmlichkeiten kosten.“ Und die scheinen vor allem ältere Generationen nicht auf sich nehmen zu wollen. „Viele haben auch das Gefühl, man müsste das jetzt einfach aussitzen.“ Zwar sei das Bewusstsein für die Klimakrise gerade in hochentwickelten Ländern wie Deutschland, den USA oder auch Japan da, doch noch immer würde das Thema einfach zu wenig in den Fokus gerückt. „Ich glaube, dass es in Europa weniger an der Bildung scheitert, als an der wirklichen Umsetzung“, erklärt Ita. Wasser sparen, die Heizung abdrehen und Müll trennen, um danach mit dem SUV an den See zu fahren – viele verbänden das eine bisher noch zu wenig mit dem anderen. Für viele der Schüler ist das ökologische Handeln im Gegensatz dazu bereits in Fleisch und Blut übergegangen. Sie haben kein Interesse am Führerschein, ernähren sich vegetarisch und kaufen Klamotten im Secondhand-Shop. 

GEMEINSAM KANN ETWAS BEWEGT WERDEN

Unterstützung bekommen die Jugendlichen von anderen Netzwerken und Vereinen in Leipzig, die sich für den Umweltschutz engagieren. Inzwischen haben sich auch „Ableger” der Future-Bewegung gegründet, die Schüler stehen im Kontakt mit „Parents for Future”, „Students for Future” und „Scientists for Future”. Sie sind schnell reingewachsen in ihren Rollen. „Als ich zum ersten Mal eine Demonstration angemeldet habe, wusste ich auch nicht, wie alles läuft”, erzählt Ita. Inzwischen ist das Sprechen vor größeren Gruppen, das Netzwerken und Planen keine Hürde mehr. Wichtig für die Organisation ist das gemeinsame Arbeiten; an einem Strang zu ziehen. Die Gruppe sieht sich jeden Tag. Dabei kannten sich ihre Mitglieder bis vor sechs Monaten noch nicht. „Wir sind einfach alle für die gleiche Sache.” Und die Arbeit dafür müsse ständig weitergehen, erklärt Ita.

ABER WIE GEHT ES WEITER? 

Dass ihre Forderungen von der Regierung umgesetzt werden, daran können selbst die Schüler nicht hundertprozentig glauben. Dennoch ist völlig klar, dass sie weiterkämpfen. „Ich glaube, wir haben ein größeres Rückgrat, als die Politik bisher von uns denkt.” Einige Politiker schmückten sich zwar gern damit, diesen „ambitionierten jungen Menschen” die Hand zu schütteln, doch die Politik sei nach Meinung vieler besser den Erwachsenen überlassen. Dass sich aber die „Großen” der Welt nicht einig sind im Klima-Kampf, sorgt zusätzlich für Frustration. So steigt vielleicht in Deutschland das Bewusstsein für den Ernst der Lage, doch was nützt das, wenn mächtige Länder wie die USA dem Pariser Klima-Abkommen den Rücken kehren? Manchmal sei das entmutigend, erzählt die Schülerin, doch was wäre die Alternative? Also dran bleiben.

© Tobias Möritz
In Leipzig wollen die Aktivisten dafür sorgen, dass der Klimanotstand ausgerufen wird. Diese Frage wird nun im Stadtrat diskutiert. „Das würde bedeuten, dass Entscheidungen so getroffen werden müssen, dass Klima- und Umweltschutz vorgehen. Wenn das passiert, wäre das wirklich ein guter Schritt für die Stadt”, macht die 17-Jährige klar. Im Mai entschloss sich Konstanz als erste deutsche Stadt zu diesem Schritt. Zur Zeit arbeitet die Leipziger Ortsgruppe daran, mit anderen Aktivisten in Sachsen konkrete Forderungen an das Bundesland zu formulieren.

Auch von den Medien wünschen sich die Jugendlichen mehr Aufmerksamkeit für das Thema. „Bisher wird beispielsweise die Hitze, die wir schon im letzten Jahr direkt erlebt haben, zu wenig mit dem Klimawandel verbunden. Hier wird es unerträglich heiß, die Seen trocknen aus.” Die Jugendlichen hoffen, dass es die Menschen aufrüttelt, die Konsequenzen der Krise direkt vor der Haustür zu erleben.

Bis dahin werden sie weiterhin demonstrieren, zu Aktionen wie gemeinschaftlichem Müllsammeln und Die-ins aufrufen und sich nicht kleinkriegen lassen. Denn es geht um ihre Zukunft.