Bilder von dir überdauern Lese-Empfehlung: Leipzig zum Verweilen

Die handliche Reclam-Lektüre namens „Leipzig zum Verweilen“ führt euch, zusammen mit Dichterinnen und Denkern, durch Leipzigs geschichtsträchtige Straßen.

© Illustration: Reclam | Hrsg.: Eppelt, Marianne, Ill.: Reinke, Katinka
Dass Leipzigs Charme seit jeher Menschen in seinen Bann zieht – man denke nur einmal an Gothes ersten Faust zurück – ist bei genauerer Betrachtung ziemlich beeindruckend. Früher wie heute kreuz(t)en sich in der Stadt die Wege schöner, aber auch schicksalhafter Geschichten, denen wir im Alltag, während wir gestresst von A nach B hetzen, selten Beachtung schenken. Da ist es doch toll, wenn einem ein Büchlein in die Hände fällt, dass voller Poesie daran erinnert, welch geschichtsträchtige Kulissen wir tagtäglich konsumieren.

Klein, praktisch, gut – nach gründlicher Lektüre haben wir festgestellt, dass dieser Slogan nicht nur auf einen kleinen runden Schokoball mit crunchiger Füllung, sondern auch auf die schöne handliche Reclam-Lektüre namens „Leipzig zum Verweilen“, herausgegeben von Marianne Epelt und gestaltet von der Hamburger Künstlerin Katinka Reinke, zutrifft, die zusammen mit Dichterinnen und Denkern, Schriftstellerinnen und Poeten durch Leipzigs geschichtsträchtige Straßen führt. Aber nicht, dass ihr jetzt denkt, es handele sich bei unserer Lese-Empfehlung um einen gewöhnlichen Stadtführer.

Anhand von Romanauszügen, Erzählungen, Gedichten und literarischen Begegnungen gilt es, den vielseitigen Gesichtern dieser Stadt – die der Bücher, Gelehrten, Messen, die der friedlichen Revolution als auch denen der NS-Diktatur – nachzusinnen, um Altbekanntes mit anderen Augen zu sehen, aber auch um Neues zu erleben. Und wer kann schon behaupten, jeden Winkel dieser Stadt zu kennen? Wir wussten jedenfalls nicht, dass der alternative Stadtteil Plagwitz vor rund 150 Jahren noch ein idyllisches Dorf mit kaum 150 Einwohnern war. Und uns war auch neu, dass Leipzigs Kopfbahnhof 1898 ein Ergebnis langwieriger Verhandlungen zwischen der preußischen und sächsischen Bahn war – ein Doppelbahnhof mit zwei Verwaltungen, zwei Wartesälen und zwei Eingangshallen. Die Bahnsteige 1 bis 13 gehörten den Preußen, 14 bis 26 den Sachsen:

„Ja, ja, da links der preußische Bahnsteig, ja, ja, rechts der sächsische Bahnsteig, ja, ja, und ganz rechts noch der Militärbahnsteig, ja, ja, ein Bahnsteig nur für Militärs, das sieht man auf einem Personenbahnhof nicht so oft, das sieht man eigentlich sehr selten […] Und dazwischen, wie Sie sehen, ein Querbahnsteig, der den Sächsischen und den Preußischen und auch den Militärbahnsteig bis heute verbindet und ergänzt. […] Ja, ja, der Bahnhof in Leipzig sollte die Sachsen und Preußen versöhnen …“

Wusstet ihr’s? Uns machte erst der Auszug aus Jaroslav Rudiš Roman „Winterbergs letzte Reise“ auf die Beschilderungen aufmerksam, die noch heute über den beiden großen Ausgangshallen des Hauptbahnhofs einen Hinweis darauf liefern. In Schönefeld hingegen stoßen wir auf ein trauriges Stück Leipziger Geschichte, denn was viele ebenfalls nicht wissen: In der Permoserstraße war einer der größten Ausbeuter des NS-Zwangsarbeitssystems sowie Rüstungsbetriebe Sachsens ansässig, die HASAG. Und so geht es eben nicht nur mit Jaroslav Rudiš zum Hauptbahnhof und mit Egon Erwin Kisch in die Nationalbibliothek, sondern auch mit der ehemaligen Insassin Rena Taubenblatt hinein in die beklemmenden Zustände des HASAG-Lagers, während uns Rainer Maria Rilke durch das Graphische Viertel führt, Hans-Ulrich Treichel ein Loblied auf den Karl-Heine-Kanal singt und Friedrich Schiller ein Glas Gose hebt.

Fazit: Wir empfehlen euch dringend, jede Perspektive, natürlich mit diesem Büchlein im Gepäck, einzunehmen – egal ob flanierend, vom heimischen Lesesessel aus oder, so unser Tipp, an einem gemütlichen Fleckchen direkt am Ort des Lese-Geschehens.

Leipzig zum Verweilen: Hrsg.: Eppelt, Marianne; Ill.: Reinke, Katinka, umfasst 112 Seiten | ISBN: 978-3-15-020565-5, 10 €