„Das Schwierige: Man weiß, dass man eine Situation schafft, die für immer so bleiben könnte.“ Neuanfang: Clueso über Trennungen, Gegenwind und Trotzreaktion

Clueso krempelte sein Leben komplett um, trennte sich von seiner Band, löste sein Label auf, zog aus der WG. Er wollte einen Neuanfang. Wie schwer diese Trennungen waren und was man tun kann, damit man am Ende seines Daseins „Yippi-ya-yeah“ rufen kann, erzählt uns der 36-Jährige im großen Interview.

© Jennifer Stenglein
Bei Clueso lief es. Die Platte „Stadtrandlichter“ platzierte sich in den Charts auf 1, er füllte ausverkaufte Arenen, das Projekt Zughafen inklusive eigenem Label blühte … alles, wonach jeder Künstler so strebt. Doch der Erfurter machte einen Cut. Er krempelte sein Leben komplett um, trennte sich von seiner Band, löste sein Label auf, zog aus der WG. Er wollte einen Neuanfang. Den zog er auch durch. Mit seinem neuem Album namens – ihr ahnt es – „Neuanfang“ begeht Cluesn nun die ersten Schritte. Wie schwer diese Trennungen waren, warum er sie brauchte und was man tun kann, damit man am Ende seines Daseins „Yippi-ya-yeah“ rufen kann, erzählt uns der 36-Jährige im großen Interview.
       

Bei dir hat sich im Leben ziemlich viel verändert. Fass noch mal kurz zusammen, was alles passiert ist.

Wir waren auf Tour und es war irgendwie eine komische Stimmung, weil alle merkten: der Cluesn rückt nicht raus. Sind wir jetzt dabei? Sind wir nicht dabei? Spielen wir live? Wie sehen die nächsten zwei Jahre aus? Viele haben eine Familie – die wollten das natürlich wissen. Die Stimmung war ziemlich scheiße. Ich habe gemerkt, dass ich es irgendwie nicht hinkriege zu sagen: Ich mache das jetzt mal so und so und dann schauen wir. Es gab viele Menschen, die ihr Leben planen wollten und ich wollte auch mal alleine sein. Aber da habe ich es noch nicht gut artikuliert. Ich überlegte mir, was ich eigentlich will: Ich würde gerne mal reisen, gerne weg, und vielleicht einfach mal ein Album machen, was ich klein rausbringe. Aber ich hatte ja ein eigenes Label mit Angestellten, die alle natürlich die ganze Zeit warteten. Also habe ich irgendwann gesagt, dass ich dieses Album ohne Band und Label mache. Ich wollte mich nicht schon festlegen, aber dass es auch sein kann, dass ich vielleicht mit anderen Leuten auf Tour gehe. Ich wollte auch nicht sagen, dass ich zurückkomme, weil: vielleicht finde ich es geil. Und dann war das Band-Ding vorbei. 

Ich kann mir vorstellen, dass man vor diesem Moment, wenn man den Trennungssatz sagen muss, Angst hat.

Genau. Das ist auch die letzte aller Möglichkeiten gewesen, die ich in Betracht gezogen habe. Man ahnt es schon. Man weiß, dass es nur die Möglichkeit gibt. Man schiebt es so lange auf, bis man es seinem besten Freund erzählt. Man sagt: Ich glaube, ich muss mich trennen. Wenn man das gesagt hat, liegt es auf dem Desktop und man muss handeln. Das ist der schwierige Satz. Aber eigentlich sollte es gar nicht so schwierig sein, wenn man sein eigenes Bedürfnis erklärt. Die Schwierigkeit besteht nur darin, dass man weiß, dass man eine Situation schafft, die für immer so bleiben könnte. Man weiß nicht, ob man dahin zurück kann. Aber die meisten Menschen halten sich auch nicht gerade das Positive vor Augen, sondern eher das, was sie alles verlieren könnten. Es war auch echt hart, nach 15 Jahren Band – das sind so viele Erinnerungen. Das war so hart, dass ich eh im Arsch war und dann habe ich einfach weitergemacht, um herauszufinden, wie ich alleine klarkomme. Ich hatte quasi den Stand eines 19-Jährigen, der gerade auszieht. Ich bin damals in die Musik reingerutscht und immer mit Leuten gefahren, die geguckt haben, dass dies und jenes passiert und dass ich das auch hinbekomme. Ich habe mich von meinem Manager getrennt, was mir sehr schwer fiel, weil er wie ein Vater für mich war. Er hatte auch Angst, die Scherben aufzulesen, wenn irgendwas schiefläuft. Ich musste dann auch erst mal eine Weile alleine sein.

Als Labelchef hattest du auch eine große Verantwortung. Deine Mitarbeiter und Angestellten sind ja deine Freunde. Wie haben die denn reagiert?

Die haben alle gespürt, dass die große Vision gefehlt hat. Normalerweise sieht man mir an, dass ich eine Idee habe und mit der zünde ich die Leute dann an – das hat gefehlt. Bei meinem Manager Andreas Welskop genauso: Ich war für Andi quasi das Thermostat seiner Gefühle und wenn ich eine Idee hatte, konnte er in Aktion treten. Wir hatten diese Symbiose. Ich hatte zum damaligen Zeitpunkt einfach wirklich keine Idee, wie es weitergehen soll. Andi auch nicht. Ich glaube, wenn etwas unausgesprochen im Raum steht, tut es allen gut, wenn endlich eine Entscheidung gefällt wird. Deswegen war es ok. 

Klingt so ein bisschen wie in einer Beziehung, in der beide merken, dass es nicht mehr läuft, aber sich keiner traut das anzusprechen.

Ja, es ist genau das gleiche. Es steht im Raum. Es ist da. Es ist die allerletzte aller Möglichkeiten zu sagen, wir gehen getrennte Wege, um a) vielleicht wieder zusammenzukommen oder b) weiter getrennte Wege zu gehen. Ich sagte, ich entscheide mich diesmal für mich – und nicht gegen euch. Das ist der Unterschied. 

Bei unserem letzten Interview vor zwei Jahren haben wir darüber gesprochen, wie es für dich ist, Chef zu sein. Du meintest, dass dir das manchmal schwerfällt, du aber gerne deine Freunde um dich hast – auch als Kollegen. Hast du das als Druck empfunden?

Ich habe natürlich auch viel gelernt. Ich finde es fast schade, dass man in der Schule so was nicht lernt. Kommunikation mit Menschen muss man sich alles selbst beibringen: Wie man was sagt, wie man seine eigenen Bedürfnisse äußert und gleichzeitig den Laden am Laufen hält – war das Schwierige am Chef-sein. 

Wenn man sich kennt, ist gleich ein Feeling da. Irgendwie boxt man sich über die Jahre natürlich durch. Alle wissen dann, es gibt einen Apell an mich, bitte pünktlich zu sein und es gibt einen Apell an die anderen, ihre Handys auszumachen. Aber das sind Kleinigkeiten. 

Der große Druck ist, eine Vision für so viele Menschen zu bilden – und dann noch gut Kunst zu machen. Damit meine ich, im Mindsetting nicht gestört zu werden, auch einfach auf seinem Stuhl zu sitzen, die Wand und das Bild anzugucken und dann irgendwann aufzustehen und anzufangen zu malen. Und in diesem Prozess sollte keiner ins Zimmer und sagen: Wir müssen, wir wollen, wir sollten … Sondern einfach diesen einen Monat auch warten. 

Das ist etwas, was ich mit diesem Album nun hatte. Und das gefällt mir sehr gut. Deswegen empfinde ich es als ein sehr starkes Album: Ich konnte einfach lange, sehr lange, über Dinge nachdenken und konnte das gären lassen. Und dann kam es raus. Das ist so eine Art, ich nenne es mal, Mindsetting für Visionen fürs Leben zu spinnen, um herauszufinden, was man will und was man nicht will. 

Wie haben die Menschen, von denen du dich getrennt hast, auf das Album reagiert? 

Eigentlich gar nicht so viel. Die Leute vom Label finden es stark. Sie merken, dass etwas passiert ist. Sie finden die Songs stark und dass „Neuanfang“ nicht trieft. Es ist jetzt Licht am Ende. Ich hatte auch ein Musikvideo gemacht, was ich wieder beiseite geschoben habe, weil es am Ende zu düster war. Ich wollte den Leuten ja sagen, es ist alles ok mit mir, ich fühle mich wohl. Es geht mir gut, auch wenn es jetzt eine schwierige Situation ist. 

Fühlst du dich jetzt nach so vielen Trennungen (Band, Manager, WG) manchmal einsam?

Nee überhaupt nicht. Das passiert in Erfurt nicht so richtig. Da braucht man nur vor die Tür gehen (lacht). Ich kenne da so viele Menschen. Ich hatte manchmal das Problem vor Jahren, als ich mit den vielen Menschen von der Tour nach Hause kam – da habe ich mich einsamer gefühlt. Weil alle froh waren, mal nicht mit dem Chef abzuhängen (lacht).

Im Song „Achterbahn“ geht es um Erwartungen an dich. Spürst du viel Druck von Familie, Freunden, Arbeitskollegen?

Es sind wohlwollende Ratschläge (lacht). Von mir aus ist es eher so eine kleine Trotzigkeit und eine Lebensbejahung. In manchen Interviews werde ich gefragt, was ich in fünf Jahren mache. Vor einem Jahr hätte ich auch nicht gedacht, dass das passiert, wie es jetzt ist. Insofern ist diese ganze Spekulation einfach hinfällig und ich denke mir: Ich fahre halt immer noch ohne Plan. 

Das war übrigens auch die meistgestellte Frage von allen: Warum machst du das? Was ist dein Plan? Weil die, die mich kennen, wissen, dass es immer auch eine Idee gibt. Aber nee. Es gibt keine Idee. Ich weiß es nicht. 

Achterbahn ist auch eine kleine Trotzreaktion: Eltern, Gesellschaft, 36 Jahre, Sterblichkeit, will ich auch noch Enkel haben, muss ich mich beeilen usw … Fuck it. Wenn ich das mache, dann mache ich es für mich. Wie auch immer und wann auch immer das sein wird. 

Bist du in deiner Umgebung die Ausnahme? Leben die anderen um dich drumherum so, wie es ein 36-Jähriger üblicherweise macht?

© Christoph Koestlin
Viele, aber nicht alle. Ich bin ja in einem Künstlerumfeld zuhause – da ticken die Uhren einfach anders, glaube ich. Aber mit 36 hagelt es Kinder. Die letzten Jahre sind die anderen schon angekommener – im Sinne von Familie und Kinder. Das spricht der Song „Achterbahn“ auch mit an. 

Ich glaube, wir sind eine Generation, die die Jugend anscheinend ausdehnt. Einfach weil wir wissen, dass diese Lebensmodelle, die einem vorgelebt werden, auch nicht unbedingt funktionieren, sei es durch Systemwechsel, Arbeitslosigkeit usw. Wer hat denn heutzutage noch einen Job, bei dem er weiß, dass er den die nächsten sechs Jahre auch behält? Die meisten sind froh, wenn ihnen am Ende des Jahres gesagt wird, dass sie noch ein halbes Jahr bleiben dürfen. Das ist eigentlich der Standard in meinem Umfeld. Ich kenne kaum jemanden, der weiß, was er die nächsten zehn Jahre machen wird. Außer Studieren vielleicht (lacht). Ich glaube, deswegen dehnt man das ganze vielleicht auch so aus. Man will leben. Leben reinlassen. Und versuchen, so viel wie möglich mitzunehmen, so dass man am Ende sagen kann: Yippi-ya-yeah (lacht). 

Das Album „Neuanfang“ landete auf Platz 1. Also alles richtig gemacht?

(überlegt) Ich weiß es nicht. Als das Album fertig war, war es mir auch nicht unwichtig. Aber während ich es schrieb, war es mir scheißegal. Deswegen finde ich, ist es auch eines der privatesten Alben – weil nichts mitschwingt. 

Wenn man sein erstes Album macht, dann will man gehört werden, man will rauskommen, man will, dass die Leute auch den Künstler in mir sehen, mich nicht in ein Schubfach stecken – all diese Sachen. Beim zweiten, dritten Album ist es dann so, dass man dagegen ankämpft, dass immer noch Hip Hopper oder Rapper im CD-Fach draufsteht. Man hat eine Band und will die zum Leuchten bringen. Das sind alles Sachen, die neben dem Zeitdokument Album mitschwingen. Und hier war es so, dass nichts mitschwingt. Ich wollte einfach nur für mich darüber reden. 

Ich bin nach Berlin gefahren, habe einen Produzenten kennengelernt und der hat schlauerweise sofort erkannt: „Cluesn, ich gebe dir nichts mit, du wirst das verhunzen, du lässt das hier in Berlin. Du kommst jetzt hier auf die Couch, schreibst und dann kommst du in ein paar Tagen wieder und schreibst einfach weiter.“ Das war dann so wie in der Schule, wenn du etwas hast, was dir extrem viel Spaß macht – vielleicht ein Sportverein oder so. Irgendwas bei dem du denkst: Ich muss da hin, ich freue mich schon den ganzen Tag darauf. So kam es, dass ich meinen Kram in Erfurt geregelt habe, nach Berlin gedüst bin und einfach nur erzählt habe. Deswegen gibt es auf „Neuanfang“ auch nicht diese wahnsinnig ausgefeilten großen Melodien, sondern viel Sprachgesang, viel mehr Rhythmik wie in „Achterbahn“, „Anderssein“ und „Neuanfang“. Das sind alles Sachen, die mussten erzählt und nicht schön gesungen werden. Deswegen finde ich es so privat. Es schwingt nichts mit. Ich wollte es nur erzählen. 

Und gegen Ende merkt man dann so: Ups, hier habe ich ein ganz schön großes Album, jedenfalls fühlt es sich so an. Jetzt will ich auch, dass es rockt.

Und jetzt finde ich es schön. Es wäre schade gewesen, wenn es die Leute nicht erkannt hätten. Ich habe jetzt am Ende doch gefühlt, dass das ein Album ist, was ich noch lange spielen werde.

Gab es überhaupt mal Zweifel von jemandem, dass es nicht funktionieren könnte?

Ja, na klar. Viele Leute haben schon kritisch geguckt. Ich habe auch Gegenwind bekommen. Bei „Stadtrandlichter“ meinten einige, dass ein paar Songs ein bisschen in Schönheit sterben. Sie sind gut, aber in der Musik ist eine Menge los, viel Gebimmel auch. 

Mein Bruder meinte auch, es müsste mal wieder etwas kommen, was aufm Punkt ist. Dass ich mal wieder erzählen und nicht so viel drumherum reden soll. Und ich glaube, dass Fans auch spüren, ob da jemand ist, der sich in irgendeiner Art und Weise neu erfinden kann, oder nicht. 

Apropos Fanwelt: Auf deiner Facebook-Seite wirst du immer noch als „süßer Boy“ bezeichnet. Man könnte meinen, dass dieses Mädchenschwarm-Image mit spätestens Mitte 30 aufhört.

(lacht) Das ist aber auch ein Netzphänomen. Ich glaube, dass Mädels schneller in die Tastatur reinhacken, dass die einen cool finden als Jungs. Wenn ich jetzt zu einem Konzert gehen würde und es wären nur verknallte Ladies dort würde ich Reißaus nehmen. Aber zum Glück ist es dann doch ein Event, wo ganze Familien kommen und es sich die Waage hält. Im Netz geht es ganz schön ab – auf jeden Fall. Ist aber auch kein schlechtes Alter. Also ich finde 36 cool (lacht). 

  

Clueso live:

Im Februar 2017 spielt Clueso im lange ausverkauften Täubchenthal. Im Oktober setzt er dann seine „Neuanfang“-Tour in größeren Locations fort. Am 6. Oktober 2017 kommt er ins Haus Auensee. Tickets bekommt ihr hier im VVK ab ca. 44,65 €.

In Berlin im Tempodrom spielt Clueso am 5. Oktober 2016