"Mal ehrlich ... ‘land of the free‘? Die Hymne wurde von einem Sklavenhalter geschrieben ..." Patrice über Absurditäten im US-Wahlkampf, Geld und Terrorangst

Patrice hat sein 7. Album „Life’s Blood“ herausgebracht. Mit uns sprach der 37-jährige Musiker über die Wichtigkeit von Verkaufszahlen und warum die US-Präsidentschaftswahl eine „absolute Freakshow“ ist.

© Barron Claiborn
Patrice hat sein 7. Album „Life’s Blood“ herausgebracht. Wie immer liefert er etwas anderes, als man von ihm erwartet. Mit uns sprach der 37-jährige Musiker über die Wichtigkeit von Verkaufszahlen, wie er seinen Kindern zeigen konnte, dass man als schwarzer Mensch nicht nur Basketballer oder Gangster werden kann und warum die US-Präsidentschaftswahl eine „absolute Freakshow“ ist.    

Deine Alben sind musikalisch immer sehr unterschiedlich. Kannst du nachvollziehen, wenn Fans das nicht mögen und lieber das Gewohnte haben wollen?

Ja, das verstehe ich gut. Aber das ist ok. Seitdem ich Musik mache, ist es so, dass mit einem neuen Album sich Menschen vor den Kopf gestoßen fühlen während andere sagen: Endlich! Aber das ist auch das, was ich will. Ich will, dass es polarisiert, lieber eine negative Reaktion als eine laue. Das Ding ist, jeder macht sich ein Bild von einem. Und dann wollen Menschen, dass du auch beim nächsten Mal in dieses Bild passt. Aber um mir treu zu bleiben, muss ich mich verändern. Ich finde auch viele neue Sachen immer wieder gut und probiere mich aus. Alles, was lebt, verändert sich. Ich will nicht nur ein Album machen, bei dem ich von vornherein weiß, dass es sich gut verkauft, nur weil es das ist, was von mir erwartet wird. 

Du sagtest mal, wenn du nicht ein besseres Album im Vergleich zum Vorgänger machst, gilt das neue als schlechter. Du musst dich also immer toppen?

Wenn man bewusst was anderes macht, umgeht man das ja irgendwie. Ich kann „Ancient Spirit“ (Debütalbum, Anm.d.Red.) nicht toppen, weil es einfach das ist, was zu dem Zeitpunkt perfekt war. Und ich will ein neues Album machen, was für den aktuellen Zeitpunkt perfekt ist. So stellt sich gar nicht die Frage, ein Album toppen zu müssen. Ich denke, in der Empfindung der Leute ist es so: Wenn es besser ist, wird es gewertet, als sei es genauso gut wie der Vorgänger. Und wenn es genauso gut ist, wird es als schlechter gewertet. Aber ich denke, wenn jedes Album originell ist, kann man es mit einem anderen nicht vergleichen und somit ist es dann einfach Geschmackssache.

Liest du deinen Erfolg auch an den Verkaufszahlen ab?

Klar, kommerzieller Erfolg ist wichtig, weil es einem die Freiheit gibt, das zu tun, was man will. Würde ich jetzt in den Charts nicht gut performen, hätte ich das Problem, dass ich nicht diese Freiheiten hätte. 

Aber ehrlich gesagt, hänge ich jetzt nicht so hart davon ab. Ich produziere andere Künstler und ich mache auch viel im Ausland – mehr als hier. Ich strebe dem jetzt nicht so nach. Mir geht’s eher darum, mir selbst etwas zu beweisen. Ich bin zufrieden, wenn ich zur Musik allgemein einen Impuls hinzugeben konnte – das ist mir wichtiger, als zu sagen, ich werde jetzt übertrieben reich damit. Wenn ich Geld machen wollte, wäre ich Investmentbanker geworden wie der Rest der Leute, mit denen ich zur Schule gegangen bin. 

Ich bin mit Menschen aufgewachsen, die unglaublich viel Geld haben. Das macht mich nicht so an. Ich will nur die Freiheit haben, das zu machen, was ich möchte. Darauf richte ich jetzt nicht meine Musik aus, aber es ist schon wichtig. Deswegen gucke ich auf die Charts, wenn die Platte rauskommt und wünsche mir, dass die gut ankommt – das macht das Leben viel einfacher. Und wenn nicht, kann ich sagen, dass ich mit bestem Gewissen was gemacht habe, von dem ich überzeugt bin und was ich gut finde. Dass das Leute anders sehen, ist deren Recht, aber ich würde mir keinen Vorwurf machen. 

Du sagtest, nach den Anschlägen in Paris am 13. November 2015, dieser Abend habe Paris und die Menschen dort verändert. Du wohnst zum Teil in Paris – Inwiefern hat der Abend dich verändert?

Paris ist natürlich traumatisiert – auch jetzt noch. Es gibt immer wieder neue Drohungen und eine extreme Militärpräsenz in den Straßen. Und natürlich ist auch unglaublich viel Angst und Misstrauen da. Aber am Ende des Tages geht das Leben weiter und alles nimmt seinen Lauf. 

Es wird von einem verlangt, dass man jetzt sein Leben ändert. Zum Beispiel letztens habe ich ein Vollmond-Konzert geplant – so ein Blitzgig. Ich wollte das vorm Louvre machen. Alle haben mir hart davon abgeraten: Mach das auf keinem Fall, du wirst sofort festgenommen, man darf sich nicht öffentlich versammeln und so weiter. Ich stand vor der Entscheidung, entweder wegen des Terrors mein Freiheitsgefühl einzuschränken und mein Leben zu ändern. Oder zu sagen: Sollen die sich doch ändern. 

Und dann habe ich es einfach gemacht. Ich bin an den Militärs vorbei zum Louvre, an der Pyramide habe ich mich aufgebaut und einfach gespielt. Die Leute haben es genossen. Die Polizei hat kurz geguckt und gesehen, da ist ein guter Vibe und dann war es auch für die ok. Keiner hat eingegriffen und es war ein wunderschöner Moment. Das war für mich die Bestätigung, dass man es genauso machen sollte. Man sollte sich in seinem Leben, diese Freiheit jetzt erst recht nehmen. Weil das auch denen zeigt, die es anders wollen, dass das alles nach hinten losgeht. 

Viele denken, der Weg ist Abgrenzung und Unmenschlichkeit. Aber ich bin überzeugt, dass Menschlichkeit die Möglichkeit hat zu siegen.

Du bist im Juli 2008 für Barack Obama vor 200.000 Menschen in Berlin aufgetreten. Bist du ein Verfechter des Noch-Präsidenten. 

(überlegt) Nicht wirklich Verfechter. Ich habe damals bei seinem Besuch gespielt, weil er auf seiner Auslandsreise so ein unglaublicher Hoffnungsträger war, der erste schwarze Präsident zu werden. Es war total historisch. Allein dass meine Kinder mal einen schwarzen Menschen sehen, der nicht Basketballer, Rapper oder Gangster ist, das ist auch wichtig. Deswegen habe ich auch sofort zugesagt. Er hat auf jeden Fall die richtigen Sachen gesagt – was er am Ende damit gemacht hat, ist einfach das, was Politiker machen. Ich bin kein Anhänger von irgendeinem Politiker.

Du wohnst in Köln, Paris und Brooklyn in New York. Die US-Präsidentschaftswahlen am 8. November 2016 dürften dich also auch interessieren. Wie siehst du die Kandidaten Hillary Clinton und Donald Trump?

© Barron Claiborn
Politik ist halt Zirkus. Brot und Spiele für die Menschen … Es ist einfach absurd, was da läuft – von beiden Seiten. Aber es repräsentiert Amerika. Es ist ein Land, was sich durch Macht und unglaubliche Militärpräsenz als Nummer-1-Nation der Welt darstellt, aber nicht durch besondere Menschenrechte. Es wird so getan, als wären sie auch moralisch die Nummer 1 – aber so ist es ja nicht. Gewalt und Macht legitimieren alles und dadurch ist so ein Trump so weit gekommen. Der repräsentiert tatsächlich so eine gewisse Art von amerikanischen Spirit. Das zeigt im Endeffekt aber auch ein grundlegendes Problem an der Nation. In den USA wird ja auch sehr auf Patriotismus gebaut – die Kinder sollen jeden Morgen die Nationalhymne in der Schule singen. Mal ehrlich … land of the free? Die Hymne wurde von einem Sklavenhalter geschrieben. Es ist alles so unglaublich paradox. In einem Land, in das Europäer einfielen und den Natives alles wegnahmen, will ein Trump eine Mauer gegen Menschen von außerhalb bauen. Aber das ist doch der Punkt an Amerika: Es ist ein Land, das sich aus allen verschiedenen Nationen zusammensetzt. Es ist einfach absurd – das macht hinten und vorne alles keinen Sinn. Eine absolute Freakshow. 

Aber der größte Freak von allen könnte tatsächlich gewinnen. Was ist denn dann?

Das werden wir sehen. Aber dann werden wahrscheinlich wieder abwegige Dinge durchgesetzt wie unter George W. Bush. Das Problem bei so einem Trump ist, dass man es ihm abnimmt, dass er verrückte Sachen auch durchzieht. 

Patrice live 2016 

Berlin: am 15.11.2016 im Postbahnhof Club
Leipzig: 28.11.2016 im Werk 2