Sänger Ole Specht steht Rede und Antwort „Plötzlich war alles sehr laut um uns herum“ – Tonbandgerät im Interview

Eine nach Woche nach Veröffentlichung des dritten Studioalbums „Zwischen all dem Lärm“ stand uns Geburtstagskind Ole Specht Rede und Antwort.

In dem Augenblick, in dem die Geschwister Isa und Sophia Poppensieker ihre Gitarren um die Schulter legen, Ole Specht an das Mikro tritt und Jakob Sudau seinen Platz am Schlagzeug einnimmt, beginnt der Tonabend mit Tonbandgerät, der sympathischen Band aus dem hohen Norden. Deutlich holpriger startete unser Interview mit Sänger Ole, dessen 30. Geburtstag wir absolut nicht auf dem Schirm hatten. Zum Glück hatte der Poprock-Fan bis zu diesem Tag selber Bammel vor seinem Ehrentag, sodass er unsere neugieren Fragen zum neuen Album auch ohne Geburtstagsständchen beantwortete.

© Dennis Dirksen
Vor knapp einem Monat habt ihr euer drittes Studioalbum „Zwischen all dem Lärm“  veröffentlicht. Sicher eine spannende Zeit und ein aufregender Moment, wenn Freunde, Familien und Fans endlich in die neue Platte reinhören dürfen?

Oh ja, es macht gerade richtig Spaß, vor allem weil die Entstehung des dritten Albums so lange gedauert hat. Daher genießen wir diese Veröffentlichungsphase gerade richtig.

Wie ist das Feedback bislang und wie viel Wert legt ihr auf Chart-Platzierungen?

Chart-Platzierungen sind natürlich nicht alles, aber grundsätzlich schon ein schöner Fingerzeig, der uns signalisiert wie unsere Musik ankommt. Aber wir sind mittlerweile in unserem elften Band-Jahr und stellen fest, dass sich die Musikbranche seit der Veröffentlichung unseres Debütalbums stark verändert hat. Damals haben wir alle gespannt darauf geguckt, wie viele CDs in der ersten Woche verkauft werden. Die Platzierung war uns super super wichtig. Durch Spotify oder ähnliche Musikanbieter ist der Prozess beziehungsweise der Zeitraum, in dem wir Platten verkaufen, viel langgezogener geworden. Es konzentriert sich nicht mehr alles auf die Erscheinungswoche – das finde ich eigentlich ganz schön. Unabhängig davon bleiben die schärfsten Kritiker unsere Freunde und Familien. Deshalb ist es immer ein ganz besonderer Moment, wenn wir sie endlich in das Album einweihen dürfen.

Zwischen der aktuellen Platte und dem zuletzt erschienen Album „Wenn das letzte Feuerwerk landet“, das 2015 erschien, liegen knapp drei Jahre. Was habt ihr in dieser Zeit getrieben?

In der Musikbranche fühlen sich drei Jahre wie Jahrzehnte an. Dabei haben wir für das dritte Album „nur“ ein Jahr länger gebraucht als für die ersten beiden Platten. Aber tatsächlich war es dieses Mal ein schwierigerer Prozess. Wir wollten etwas verändern und haben uns nach Sankt Peter-Ording zurückgezogen, um zum ersten Mal in unserer Bandhistorie gemeinsam Songs zu schreiben. 13 Lieder später haben wir uns darüber gefreut, wie schnell das ging. Nur unsere Plattenfirma hat diese Begeisterung nicht geteilt. Also haben wir von vorne begonnen – mit dem gleichen Resultat. Diese Ablehnung war eine Erfahrung, die wir nicht kannten und sie hat uns natürlich verunsichert. Ein Gefühl, mit dem wir erst lernen mussten umzugehen. Am Ende haben wir uns von der Plattenfirma getrennt und in dieser ganzen Zeit, in diesem Hin und Her, diesem Zustand der Schwebe ohne Ende Songs geschrieben – 60 bis 70 Demos sind entstanden.

Mit „Zwischen all dem Lärm“ habt ihr letztendlich auch einen Albumtitel gewählt, der jetzt nicht direkt nach Friede, Freude Eierkuchen klingt. Ist der Titel eine Anspielung auf diese Unruhe, die ihr zuletzt durchlebt habt?

Naja, ein wenig schon. Nachdem wir uns endgültig für zwölf Lieder entschieden hatten, ist uns aufgefallen, dass die neue Platte – unbeabsichtigt, da es ja kein Konzeptalbum werden sollte – trotzdem einen krassen roten Faden hat. Der größte Teil der Songs ist eben in dieser Zeit der Schwebe entstanden, in der wir in der Luft hingen, Menschen von allen Seiten auf uns einredeten und uns Ratschläge erteilten. Plötzlich war es sehr laut um uns herum. Dementsprechend bildet das neue Album auch eine Phase ab, in der sich Veränderungen anbahnten und die wir genutzt haben, um zurückzuschauen. Deswegen dachten wir, „Zwischen all dem Lärm“ passt als Klammer, die sich um das Album legt, sehr gut, wobei Lärm nicht nur Negatives meint. Wir haben in den drei Jahren auch sehr viel positiven „Lärm“ erfahren und durften beispielsweise Andreas Bourani auf seiner großen Arena-Tour begleiten.  

Nun habt ihr ja erstmals alle vier an der Entstehung der Texte mitgewirkt. Hilft euch die Abgeschiedenheit eines anderen Ortes wie Sankt Peter-Ording dabei, kreativ zu sein?

Ach, das ist eigentlich egal. Ich kann mich überall inspirieren lassen. Viel entscheidender als der Ort sind die Ideen, um welche die Songs letztendlich gebaut werden und die entstehen im Alltag – beim Lesen eines Buches oder so. Ich persönlich tippe in bestimmten Momenten dann einfach Wortfetzen in mein Handy ein. Es geht also, egal wohin, immer mit reichlich Ideen oder Sophias Notizheft-Sammlung. Denn das Schöne ist, wenn wir irgendwo zusammen hinfahren, dann haben wir keine Ablenkung und können uns komplett auf das Songwriting konzentrieren.

Welche Rolle spielt eure Heimat Hamburg in den Geschichten, die um diese Ideen gesponnen werden? Es wirkt als seien die Elbbrücken nicht nur in euren Texten, sondern auch in euren Herzen sehr verankert.

Ich realisiere vor allem in Abschnitten, in denen wir viel unterwegs sind, was Zuhause für mich bedeutet. Wir haben in den letzten drei Jahren natürlich nicht nur Texte geschrieben, sondern sind weiterhin mit unserer Musik auf Tour gewesen. Nach solchen Phasen ist es ein schönes Gefühl, wenn wir von der Autobahn zurück über die Elbbrücken nach Hamburg fahren und einen Blick auf den Hafen werfen können. Natürlich machen die Dinge, die um uns passieren, etwas mit uns. Und dieses Ding ist eben über Jahre Hamburg gewesen. Das Gefühl wieder Zuhause zu sein, geben mir aber vor allem die Menschen selbst.

Anfang 2017 hattet ihr die Chance, ein Konzert in der Elbphilharmonie zu spielen. Ist die Akustik wirklich so unbeschreiblich einzigartig wie alle sagen?

Das lässt sich schwierig in Worte fassen. Wir waren auf jeden Fall super aufgeregt und noch dazu eine der ersten Pop-Bands, die in der Elbphilharmonie spielen durften, da die Akustik eher auf den Klang klassischer Konzerte ausgerichtet ist. Tatsächlich mussten wir unser Set auch extrem umstellen, weil die lauten und rockigen Elemente einfach nicht mit dem Klang harmonierten. Jakob, der am Schlagzeug sitzt, war gezwungen etwas reduzierter zu spielen und wir haben uns für den Abend zusätzlich Streicher organsiert. Einen Song sangen wir ohne Verstärkung, komplett ohne Mikro, zu viert und nur von einer Akustikgitarre begleitet – das war schon ein magischer Moment.  

© Dennis Dirksen
 

Aufgrund eures Musikerdaseins seid ihr natürlich auch viel in anderen Städten unterwegs. Beim Durchhören des neuen Albums wird man den Eindruck nicht los, dass ihr viele Gedanken dem Ankommen und gleichzeitig dem Gefühl des Fortgehens widmet. Ist da ein innerer Konflikt zwischen dem Unterwegssein und Heimkommen?

Ach nein, Konflikt würde ich es nicht nennen. Es ist eher so ein Grundgefühl, dass sich bei uns über die Jahre aufgebaut hat, weil wir so viel live unterwegs waren. Am Ende kennt dieses Gefühl aber jeder, der mal auf eine längere Reise gegangen ist. Das Erlebte verändert einen oft so sehr, dass man sich nach seiner Rückkehr im eigenen Zuhause fremd fühlt. Dieses Gefühl haben wir sehr oft und deshalb kreisen schon sehr viele Gedanken um dieses Thema. Ich würde mich beispielsweise gerne häufiger mit meinen Freunden verabreden oder einem Sportverein beitreten, aber da ich nie regelmäßig in Hamburg bin, gestaltet sich das schwierig. Es sind Kleinigkeiten, die daraus resultieren, dass wir einfach keinen Alltag haben. Das ist ganz oft toll, aber manchmal auch echt nervig.

Auf eurem neuen Album widmet ihr viel Zeit eurer Vergangenheit, dem Älterwerden, alten Hobbies und was ihr als Kinder glaubtet heute zu sein: Was hat euch dazu veranlasst, euer früheres Ich zu reflektieren?

Nach unserem ersten Plattenvertrag ging alles so schnell. Wir sind unmittelbar nach den Studioaufnahmen auf Tour gegangen und haben erste große Konzerte auf Festivals gespielt. Da hatten wir keine Gelegenheit zurückzublicken. Wir lebten im Hier und Jetzt, waren euphorisch und regelrecht im Rausch. In der Zeit nach der Veröffentlichung des zweiten Albums, in der wir ja irgendwie in der Luft hingen, hatten wir das erste Mal in unserer Bandgeschichte die Gelegenheit unsere Musik zu reflektieren und auf das Erlebte der letzten Jahre zurückzuschauen. Das war sehr wichtig für uns und ich glaube, dass dieses Gefühl auch in einigen Songs steckt. Und manches haben wir uns früher einfach anders vorgestellt. Ich hatte zum Beispiel immer Bammel vor meinem 30sten Geburtstag, weil das ja schon irgendwie so eine Zäsur ist, in der man schaut, wo man gerade steht. Deshalb wollte ich auch erst gar nicht feiern, aber zum Glück hat mich meine Freundin dann doch noch dazu überredet.

Im Song „Der letzte der Nacht“ beschreibt ihr einen Augenblick, den wahrscheinlich auch jeder kennt, nämlich den, wenn man von einer langen Partynacht beflügelt nach Hause spaziert und sich leicht und unbeschwert fühlt. „Jetzt kann ich nichts oder alles sein“ heißt es im Song. Wann habt ihr einen solchen Moment zuletzt erlebt?

„Der letzte der Nacht“ war der erste Song, den Sophia und ich zusammen geschrieben haben. Ich hatte mir diese Zeile mal aufgeschrieben, nachdem ich nach einer lauten Party zu Fuß nach Hause spaziert bin, obwohl ich einen Weg von 40 Minuten vor mir hatte. Plötzlich war alles so ruhig um mich herum. Ich erinnere mich sehr gut an diesen Abend, obwohl er schon acht Jahre her ist. Seitdem trage ich diese Zeile mit mir herum. Aber ich genieße solche Augenblicke auch heute noch. Zum einen um auszukatern (lacht), aber auch weil ich es toll finde, wenn man in einer so großen Stadt wie Hamburg plötzlich das Gefühl hat, der Letzte oder eben der Erste zu sein. Dieser Moment hat etwas mit mir gemacht und deshalb habe ich mir diese Zeile aufgeschrieben.

Neben der konkreten haben eure Lieder – wie die meisten Songs – auch eine universelle Seite. Ihr redet nicht gerne über die Geschichten hinter euren Texten, weil am Ende jeder selbst entscheiden soll, was das Gesagte in ihm auslöst. Aber gibt es trotzdem eine Botschaft, die ihr auf eurem aktuellen Album loswerden wolltet?

Eine konkrete Botschaft würde ich nicht sagen. Es ist eher ein Zeitzeugnis – so aus persönlicher Sicht. Ich weiß ganz genau, wenn ich mir das Album in vielen Jahren wieder anhöre, wie es uns in dieser Zeit gegangen ist. Eine anstrengende Phase – positiv wie negativ –, aus welcher heraus Songs entstanden sind, an denen unser Herzblut klebt und auf die ich echt stolz bin. Deshalb haben wir der Veröffentlichung des Albums auch echt entgegengefiebert. Denn das, was jetzt passiert – nämlich, dass uns die Leute jeden Tag schreiben, welche Songs sie wann und wo hören – genau danach haben wir uns die ganze Zeit gesehnt. Und manchmal macht es tatsächlich Dinge kaputt, wenn man darüber redet. Ich finde das beste Beispiel dafür ist der Song „Why Does It Always Rain On Me?“. In meinen Augen ein unfassbar schöner Hit, zu dem ich die größten Gedanken hatte. Aber dann habe ich ein Interview gelesen, in dem Travis erzählt hat, wie er das Lied im Urlaub geschrieben hat während es regnete. Diese Vorstellung hat mir den Song komplett versaut.

Auf eurem neuen Album habt ihr erstmals auch ein Feature mit Jan Windmeier, dem Sänger der Punkband Turbostaat aufgenommen. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Ich glaube, alle von uns haben mit etwa 15/16 angefangen, Turbostaat zu hören. Isa und Sophia waren ja früher auch selbst in einer Punkband. Bei dem Song „Reisegruppe Angst und Bange“ hatten wir von Beginn an das Gefühl, dass die Stimme von Jan perfekt zum Refrain passen würde, weil sie einfach ein geiler Kontrast zu meiner tendenziell weichen Stimme ist. Allerdings hatten wir nie persönlichen Kontakt und haben uns deshalb erst gar nicht getraut zu fragen. Glücklicherweise hat unser Produzent an den letzten Turbostaat-Platten mitgewirkt und Jan dann einfach für uns angerufen. Er hat Ja gesagt. (lacht)

Wer sollte euch unbedingt mal anrufen um zu fragen, ob ihr gemeinsam einen Song produzieren wollt?

Eindeutig Noel Gallagher – um sich zu erkundigen, ob ich auf der neuen Oasis-Platte mitsingen möchte. (lacht) Ist natürlich völlig utopisch.

Trotz dieser neuen Erfahrungen habt ihr euren persönlichen musikalischen Klang im Großen und Ganzen nicht so stark verändert – In Anbetracht der drei Jahre, die zwischen diesem und dem letzten Album liegen und in Hinblick auf andere Künstler, die sich in so einer Phase manchmal komplett neu erfinden. Stimmst du mir da zu?

Uhh! – Das ist schwierig zu sagen. Aus unserer Sicht haben wir schon extrem viel ausprobiert und Sachen gespielt, die wir auf den anderen Platten nicht gemacht haben. Deshalb fühlt sich das Album für mich komplett anders an. Aber ich weiß was du meinst. Wir sind zum Beispiel nicht auf den elektronischen Sound aufgesprungen, nur weil er im Radio gerade angesagt ist. Das stimmt schon und das war auch eine sehr bewusste Entscheidung. Wir machen jetzt seit elf Jahren gemeinsam Musik und versuchen seitdem, unseren Sound zu finden. Ich war sehr glücklich mit dem Sprung vom ersten zum zweiten Album, als der Klang durch mehr Gitarreneinsatz breiter wurde. Und auch beim dritten Album wollten wir daran weiterarbeiten und dabei bleiben. Wir versuchen die Musik zu machen, die wir am besten finden und die uns am besten widerspiegelt. Da wäre so eine 180-Grad-Drehung einfach nicht hilfreich gewesen. 

Was hat sich aus deiner Sicht trotzdem verändert?

Wir haben zum Beispiel endlich mal unsere große Liebe zum 80’s Pop gezeigt und den Sound in unsere Songs gepackt. Im Lied „Meine kleine Schwester“ haben wir uns diesbezüglich mal richtig schön ausgetobt.

Ende 2018 geht ihr dann endlich auf „RECORD NIE PAUSE“ Tour und beehrt die Leipziger mit einem Konzert in der Moritzbastei. Euer erstes Konzert habe ich allerdings vor schätzungsweise fünf oder sechs Jahren in einem anderen Studentenclub in Greifswald gesehen. Erinnert ihr euch an erste Auftritte?

Auf jeden Fall! Ich kann mich sogar richtig gut an diesen Abend erinnern. Einige Tage vor diesem Auftritt lief erstmals ein Song von uns im Radio. Kurz darauf spielten wir das Konzert in Greifswald und das Publikum konnte das erste Mal Lieder von uns mitsingen. Ein mega wichtiger Auftritt, der sehr lange her ist, aber ein magischer und unvergesslicher Moment bleibt.

Verfolgt ihr, was die Nachwuchsbands von heute so treiben? 

Auf jeden Fall. Wir sind ja alle auch Musiker geworden, weil wir musikbegeistert sind. Es ist spannend, was in diesem Bereich international, aber vor allem auch in Deutschland passiert. Hinzu kommt, dass man sich natürlich auch auf den verschiedenen Festivals kennenlernt.  Dieses Jahr fand ich persönlich RIKAS sehr spannend und das neue Album der Kölner Indie-Band NEUFUNDLAND.

Live erleben könnt ihr Tonbandgerät am 14. November 2018 in der Moritzbastei | Tickets für das Konzert erhaltet ihr über Eventim oder auf www.musikvomband.de