Authentizität, Familienzusammenhalt und ein besoffenes Telefonat Provinz im Interview

Provinz im Interview über Authentizität, Familienzusammenhalt und ein besoffenes Telefonat.

Vincent, Robin, Moritz und Leon. Eine klassische Bandbesetzung mit Themen rund um den aktuellen jugendlichen Zeitgeist. Nicht mehr und nicht weniger braucht es bei den vier Jungs von Provinz, um vom baden-württembergischen Vogt aus seit nunmehr drei Jahren ganz Deutschland zu erobern. Mit Hits wie Wenn die Party vorbei ist und Diego Maradona schnappten sie sich letztes Jahr einen Plattenvertrag bei Warner. Von der Provinz in die Großstadt – und der Zenit ist längst nicht erreicht! Nun performte die Band zum ersten Mal nach der Corona-Pause am 7. August 2020 im Rahmen der Picknick-Konzerte auf der Leipziger Agra. Wir trafen sie einen Tag später zum Interview.      

© Max Menning
Hey, ihr Lieben! Na, wie war‘s, wieder auf der Bühne zu stehen?

Vincent: Der Auftritt hat sich so gut angefühlt! Den haben wir auch bis 2 Uhr in der Nacht gefeiert. Wir hatten davor sechs Monate nicht gespielt und waren nur locker im Proberaum zu Gange. Die Leute waren zwar ein bisschen verteilt, aber das ist für uns auf jeden Fall in der Form die beste Alternative. Wir wollten nie solche Autokonzerte spielen, weil wir das einfach so ein bisschen „unsexy“ finden, von 200 Autos angeschaut zu werden. Aber so ist es echt schön.

Und gab es für euch eigentlich konkrete Anweisungen bezüglich Corona-Beschränkungen?

Leon: Am Anfang des Konzerts werden für die Fans jetzt immer die Corona-Vorschriften eingeblendet. Für uns auf der Bühne war’s relativ frei. Da sind wir sowieso mit unserer Crew zu Gange, mit denen wir auch sonst unterwegs sind.  Wir durften aber leider keinen direkten Fan-Kontakt haben — zum Beispiel für gemeinsame Bilder am Merch-Stand. Ein paar Fans sind an die Bühne gekommen, als wir abgebaut haben. Da ist das Security-Personal direkt laut geworden und hat alle weggeschickt. Das ist dann schon sehr komisch, gerade bei dem Hochgefühl nach dem Auftritt.

Robin: Im Laufe des Konzerts sind die Leute alle aufgestanden. Da hatte ich dann gar kein Gefühl von Beschränkungen mehr. Klar gab es trotzdem Lücken, aber dennoch hatte man das Gefühl, man stünde vor einer großen Menschenmenge, die Spaß hat und tanzt.

So könnt ihr also doch noch den Konzertsommer genießen — ganz im Vibe eures aktuellen Albums. Wo wir gerade dabei sind: Beim Betrachten von Wir bauten uns Amerika kommen mir direkt Roadtrip-Assoziationen — nach dem Motto: „Die Straße gehört uns!“ War das die Intention dahinter?

Vincent: Ich glaube, diese Straße ist generell wichtig. Gerade in der Provinz. Wir wollten den Anschluss symbolisieren. So fühlen wir uns immer noch: Dass wir uns auf einem Weg befinden. Auf einer Straße, die irgendwo hinführt, um vielleicht mal wer weiß wo anzukommen.

Leon: Dass wir das Album so genannt haben, hat verschiedene Gründe. Aber was wir u. a. spannend fanden, war die große Diskrepanz zwischen der Provinz und Amerika. Auf dem Cover stehen wir auf einer einsamen Straße und das passt für uns einfach zu diesem Gegensatz. Das EP-Cover hatten wir damals im Wald geshootet und wir wollten jetzt quasi den Weg fortführen. Aus dem Wald heraus auf die Straße in Richtung Republik; in die Großstadt.

Seid ihr euch da einig, wohin es gehen soll?

Robin: Es gab mal ‘ne Zeit, in der wir uns da nicht so einig waren. Da waren Berlin und Hamburg im Lostopf. Mittlerweile tendieren wir alle in Richtung Hamburg. Berlin würde sich für das Musikbusiness natürlich anbieten. Da ist man super connected. Aber Hamburg finden wir einfach als Stadt schöner und gemütlicher.

Was macht für euch den Unterschied der Berliner und Hamburger Musikszene aus?

Moritz: Beatles!

Leon: Hamburg hat auf jeden Fall eine musikkulturelle Geschichte. Unser Label Warner sitzt ja auch dort. Da wohnen viele aus unserem unmittelbaren Umfeld. Deshalb ist die Stadt für uns persönlich sogar praktischer, was solche Strukturen angeht.

Habt ihr auch eine Affinität zum Meer? Inspiriert es euch für eure Kunst?

Vincent: Jedes Mal, wenn wir den Hafen sehen, ist das eine neue Inspiration. Das ist Hamburgs großer Pluspunkt. Den hat Berlin einfach nicht. Am Meer zu sein ist auch eine riesige Sache und definitiv etwas Besonderes. Wir sind ja nicht am Meer aufgewachsen. Deswegen bin ich immer davon fasziniert. Das Meer versetzt mich schon in eine Stimmung. Aber direkten Einfluss auf unsere Musik hat es jetzt nicht. Das Album handelt eher von Themen, die einen als jungen Menschen beim Heranwachsen beschäftigen. Da ist eigentlich die Lebenserfahrung selbst die größte Inspiration. Das müssen nicht immer große Probleme sein, aber einfach das persönlich Erlebte. 

Persönliche Erfahrungen, so so … Und wo kommt dann Diego Maradona her?

(lachen und überlegen kurz)

Vincent: Den hab ich tatsächlich getroffen. 2016 … Nee, Spaß! Ich arbeite in Ravensburg im Kino. Als Vorführer. Da kam dann die Doku „Der Goldjunge“ über Diego Maradona raus. Und ich fand ihn als Person irgendwie cool und witzig. Den muss man mögen! Dann hab’ ich gemerkt, dass es da noch keinen passenden Song gibt, sodass ich dachte, ich schreib’ einfach selbst einen.

Vincent, Robin und Moritz: Ihr seid ja drei Cousins. Kriegst du da manchmal den geballten Familienzusammenhalt zu spüren, Leon?

Leon: Das werd ich sogar oft gefragt. Aber ich werde eigentlich nicht anders behandelt. Wir sind jetzt seit drei Jahren zusammen unterwegs und verbringen so viel Zeit miteinander. Klar … die drei sind miteinander aufgewachsen. Das ist schon eine besondere Art der Verbindung. Aber alles in allem bin ich sehr gut integriert worden.

Vincent: Nö! Leon, bitte raus aus dem Backstage! 

© Max Menning

Konntet ihr denn trotz Corona bisher auch ein paar physische Exemplare eures Albums verkaufen?

Robin: Momentan ist es etwas schwierig. So ein Album zur Corona-Zeit rauszubringen ist ja auch komplettes Neuland. Da gibt es keine Erfahrungswerte. Deswegen wussten wir natürlich auch nicht so richtig, was wir erwarten dürfen. Dass wir dann nach der ersten Woche auf Platz 4 der Albumcharts waren, hätte keiner gedacht. 

Wie sieht es eigentlich für jeden von euch aus, das persönliche Amerika?

Robin: Mein Vater hat in den USA gelebt. Für ihn war es für lange Zeit das Paradies. Jedes Jahr ist er dorthin geflogen. Das hat er mir mit auf den Weg gegeben. Mein Vater ist mittlerweile schon etwas älter. Früher konnte er sich dort ein Stück weit verwirklichen. Heute sieht das ein bisschen anders aus. Und diesen Vergänglichkeitsgedanken verbinde ich damit.

Vincent: Für mich ist der Bau des eigenen Amerikas gleichbedeutend mit dem Traum, den man sich erbaut und verwirklichen will. Für uns ist es in dem Fall das Album gewesen. Provinz — Amerika. Diesen Gegensatz hatten wir ja schon angesprochen.

Leon: Es geht auch um diese alte Illusion des glorreichen Amerikas, in dem man seine Träume verwirklichen kann. Das hat offensichtlich nichts mit dem heutigen Amerika zu tun. Aber so habe ich es damals zum Beispiel in Filmen kennengelernt. Diese Naivität passt aber wiederum zu uns als junger Band.

Moritz: Auch für mich war der Bau Amerikas gleichbedeutend mit dem Ziel, ein eigenes Album in der Hand halten zu können. Gerade als Vinyl. Es gibt eigentlich kein besseres Gefühl.

Und fühlt sich das erreichte Ziel jetzt so intensiv an, wie man es sich vorher erhofft hat?

Moritz: (zweifelnd) Ja, das ist immer so eine Sache. Wenn man es dann erreicht hat, will man im gleichen Moment direkt wieder mehr.

Vincent und Robin: (zustimmend) Der Weg ist wohl das Ziel!

Leon: Gestern war auf jeden Fall wieder so ein Moment, in dem man gefühlt hat, was gerade eigentlich passiert. Unser letztes Konzert fand vor einem Jahr in Dresden vor 100 Leuten statt. Gestern dann das erste Konzert nach der langen Pause und das direkt vor 1.000 Leuten. Das war ein Moment, in dem wir realisiert haben, dass wir einen weiteren Schritt auf dem Weg erreicht haben.

Gibt es denn bisher vielleicht auch negative Aspekte eures Erfolgs?

Robin: (theatralisch) Die Schattenseiten… Nö! Alles wunderbar! (Alle lachen.)

Vincent: Na ja, aber mal ehrlich. Der Produktionsprozess des Albums war schon stressig. Ich weiß noch, dass ich da mal in einer Drucksituation war, die ich so noch nie erlebt hatte. Alle hatten nach der guten Resonanz auf die EP erwartet, dass da jetzt ein krasses Album folgt. Und ich habe gesagt, ich will aber alles selber machen. Das würde ich im Nachhinein nicht mehr so machen. Daraus muss ich lernen. Aber sonst …

Ihr kommt ja aus dem Bandpool der Pop-Akademie Baden-Württemberg, einem anderthalbjährigem Coaching für Newcomer-Bands. Wie kamt ihr dorthin?

Robin: Witzige Story! Wir haben uns da drei Jahre hintereinander beworben. Im ersten Jahr fanden sie die Musik scheiße, im zweiten Jahr war die Musik okay, aber Moritz hat besoffen mit den Leuten dort telefoniert. Deshalb kamen wir nicht in die dritte Runde. Im dritten Jahr war die Musik immer noch okay und da habe ich dann telefoniert — und zwar nüchtern. Daraufhin haben wir in Mannheim vor Leuten aus der Branche vorgespielt, sodass sie dann auf uns aufmerksam wurden.

Was denkt ihr, welches Potenzial sie in euch gesehen haben?

Vincent: Echtheit. Authentizität.

Leon: In der Feedback-Runde haben sie gesagt, dass Vincents Darbietung emotional total fesselnd war. Er habe sie angesteckt mit dem, was er erzählt hat.

Moritz: Ich spiele übrigens erst seit drei Jahren Bass. Der Auftritt beim Bandpool war glaube ich mein allererster.

Dann folgen ja hoffentlich noch viele weitere Jahre des Bassspielens! Wir dürfen gespannt sein, wohin eure Reise hinaus aus der Provinz und hinein in die große Welt der Musikkarriere als nächstes führt. Vielen Dank fürs Interview und eure Zeit!

Reinhören auf: provinzband.com