Realität oder Fiktion? Reality – Virtual Reality

Können wir unseren Augen noch trauen? Im Museum der bildenden Künste riskierten wir einen Blick in die futuristische Welt der Künstler McCarthy & Lemmerz.

Realität oder Fiktion? Können wir unseren Augen noch trauen? Im Museum der bildenden Künste riskierten wir einen zaghaften Blick durch die futuristisch aussehenden Brillen, die uns ein von den Künstlern McCarthy & Lemmerz kreiertes Universum eröffnen. Was uns dort erwartet, ist irgendwo zwischen Science-Fiction-Movie und gruseligem Psychothriller einzuordnen.

© Presse MdbK

Goldener Bodybuilder-Jesus im Weltraum

Wir stehen in einem vakuumartigen schwarzen Raum, in den sich nur ein paar einzelne Lichtpigmente verirrt haben. Vor uns schwebt ein imposanter golden-stählerner Jesus, der sich allmählich seiner ohnmächtigen Hängeposition hingibt. Während er seinen muskulösen Körper langsam windet, fließt aus seinen auseinanderklaffenden Wunden dickflüssiges, goldenes Blut. Obwohl die Skulptur aufgrund der übernatürlich goldscheinenden Farbgebung so offensichtliche Fiktion ist, hauchen ihm die langsamen qualvollen Bewegungen und die Kombination aus mystischem Stöhnen und berauschendem Weltraumlärm einen sich real anfühlenden Lebensatem ein. Der emphatische Zuschauer bleibt mit einem Gefühl von Ehrfurcht und dem Ohnmachtsgefühl des ausweglosen Leidens Jesu zurück. Wie eine Ikone, wie ein Superstar wirkt die muskelbepackte goldene Figur im Hintergrund des Nichts. Was möchte uns Lemmerz damit sagen? Der goldene Jesus wirkt wie eine Parodie auf religiöse Fanatik, kombiniert mit gesellschaftlicher Kritik an unserem exzessiven Körperkult. Lemmerz ist bekannt dafür, tabubesetzte Bilder aus Vergangenheit und Gegenwart neu aufzuziehen und auch die Bronze- und Marmorskulptur folgt deutlich seiner künstlerischen Handschrift.

Heile Welt oder Horrotrip?

Wir erblicken „Mary“ und „Eve“ in gefühlt tausendfacher Ausführung: Sie wandern an der Decke, sie kauern am Boden, sie spazieren mühelos durch uns hindurch, sie nehmen den ganzen Raum ein, sodass wir gar nicht wissen, wohin wir zuerst gucken sollen. Es handelt sich bei den zwei Ladies um virtuelle puppenartige Charaktere, die uns zunächst mit ihrer märchenhafter Robe an Disney-Prinzessinnen erinnern. Etwas orientierungslos stolpern wir durch den Raum, blicken in ihre zum Fürchten real wirkenden Puppengesichter und beobachten sie bei ihrem merkwürdigen Treiben. Doch allmählich schwankt die Stimmung, der Raum verfärbt sich in ein warnendes, kühles Blau, das anfängliche Gemurmel verdichtet sich zu einem Geschreie, einem öffentlichen Konflikt, der schließlich in einer gewaltsamen Orgie endet, aus der es kein Entkommen gibt. Unfreiwillig ist man der Voyeur, der mit dieser durchaus sehr unangenehmen Situation konfrontiert wird. Der leise Gedanke, dass dies nur eine konstruierte Realität ist, verschwimmt mit jeder Sekunde im McCarthy-Universum zunehmend und man beginnt allmählich, selbst eine der wütenden, ausfallenden Personen zu werden.

Zwar ist die eigene Rolle in diesem Horrorszenario ein rein fiktives Gedankenkonstrukt des Künstlers, diese Tatsache mindert das Gefühl von Demütigung, Hilflosigkeit und taubstummer Ohnmacht jedoch nicht, das sich schleichend ins Unerträgliche steigert. Beim Absetzen der Brille fühlen wir uns, als wären wir aus einem bösen Albtraum erwacht. Paul McCarthy, der vorher für Plastikbau und seine Skulpturen bekannt war, hat mit seiner Installation „CSSC VR Experiment Mary and Eve“ ganz schön ins Schwarze getroffen. Inspiriert von den Figuren aus John Fords Western „Stagecoach“ (zu Deutsch „Ringo“) hat er einen siebenminütigen Film produziert, der eine Atmosphäre vollständiger Überwachung schafft und dem Zuschauer ein unerwartetes bösartiges Mind-Game suggeriert.

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Kunst als Ganzkörpererfahrung

Gänsehautfeeling inklusive! Nach unserem Museumsbesuch sind wir etwas aufgewühlt, aber vor allem überrascht und wahnsinnig inspiriert. Alfred Weidinger, der Museumsdirektor des MdbK, erklärt uns, dass Virtual Reality der Kunstwelt ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Zwar steckt hinter einer Produktion wie „CSSC VR Experiment“ aktuell noch ziemlich viel Geld, es ist jedoch zu erwarten, dass sich das ändert und in Zukunft auch Nachwuchskünstler die Möglichkeit haben, ihre Kunst für eine breite Masse hautnah erlebbar zu machen, um die Zuschauer in ihr kreiertes Universum eintauchen zu lassen.

 
Durch die vollkommene Vereinnahmung der visuellen und akustischen Sinne und das Erschaffen eines neuen fiktiven Raums, in dem es weder den eigenen Körper noch andere menschliche Kreaturen gibt, ist das VR-Erlebnis für jeden etwas ganz Persönliches. Keine andere Kunstform hat es bisher geschafft, den Betrachter auf so eine umfassende Art und Weise einzunehmen. Das Erlebte wird auf eine so intensive Art und Weise wahrgenommen, dass die Kunst auf jeden Fall einen bleibenden Eindruck hinterlässt und wir nach unserem Besuch eine kleine Weile brauchen, bis wir wieder in der Fiktion, äh, Realität, ankommen.

INFO Ab sofort bis zum 26. August 2018 im MdbK | geöffnet Di & Do-So 10-18 Uhr, Mi 12-20 Uhr | Freier Eintritt am 1. Mittwoch des Monats