Nur noch kurz die Welt retten urbanite mittendrin: Studie „Restart-19“

Konzertluft schnuppern, Wissenschaft unterstützen, Welt retten, 9 Stunden Mundschutz tragen – urbanite kann alles …

Ganz urbanite-like haben wir uns am Tag des 22. Augusts zur Studie „Restart-19“ nicht unter die (international besetzte) Presse, sondern unter die Probanden gemischt. Wir waren Teil der fast neunstündigen Studie „Risk prEdiction of indoor SporTs And cultuRe events for the Transmission of COVID-19“.

© Bianca Rositzka
 

08:00 – Es ist C-Day.

Es schüttet wie aus Eimern. Ich hoffe, das steht nicht sinnbildlich für die Zukunftsmusik, die uns hinsichtlich von Großveranstaltungen in geschlossenen Räumen bevorsteht. Heute ist Tag der groß angelegten Studie „Restart-19“ in der QUARTERBACK Immobilien ARENA. Groß angelegt zwar, doch leider hatte sich gerade mal knapp die Hälfte der erwünschten 4.200 Probanden gefunden. Und die mussten ja alle auch noch negativ getestet worden sein. Die Ergebnisse erfuhren wir erst in der Nacht zuvor. „Du gehst zu diesem Bendzko-Konzert? Nee, also auf den hab ich ja keinen Bock. Hast du schon die Tickets?“ Liebe Freunde, nein, ich gehe nicht zu „diesem“ Bendzko-Konzert. Ich mache bei einer Studie mit für die Zukunft der Veranstaltungsbranche. Es ist mir ehrlich gesagt schnurzegal, wer da auftritt. Ich finde außerdem Neues, noch nie Dagewesenes immer spannend. Deswegen gehe ich da heute hin.

10:30 – Troubleshooting.

Der Einlass ging schneller als gedacht und wir finden uns, bewaffnet mit einer FFP2-Maske, Desinfektionsfläschchen und einem blinkenden Transponder um den Hals, in der noch fast leeren Arena wieder. Krass, mal wieder hier zu sein. Da wir aber nun noch etwas Zeit haben, wollen wir vor die Halle, „frische Luft“ schnappen. Sofort werden wir von einem der „Hygiene-Stewards“ darauf hingewiesen, dass wir unsere Masken nicht absetzen oder zumindest auf Mindestabstand gehen sollen. Gut, dann eben keine frische Luft …

Plötzlich herrscht etwas Tumult am Osteingang. Das Hygieneteam baut neue Technik im Innenbereich auf. Es herrscht ein leicht panisches Gefühl von „Was passiert denn jetzt?“ Weil keiner so richtig weiß, was er nun tun soll, ploppen erst mal die Desiflaschen. Wie wir gleich erfahren, haben einige Transponder, die unsere Wege und Kontakte aufzeichnen sollen, beim Einlass nicht funktioniert. Es folgt ein Hin und Her, welches Zelt die falschen Tracer bekommen hat und wer jetzt noch mal wo hin soll. In den Gesichtern der Probanden steht die einstimmige Meinung: „Na, das kann ja noch heiter werden!“ Auch unsere Tracer werden neu gestartet und wir machen uns nun auf zu unseren Plätzen für das erste Szenario. Reihe 3! Dort angekommen, werden wir direkt das nächste Mal vollgemeckert, dieses Mal von einer Probandin: „Euch ist schon klar, dass immer ein Platz frei bleiben muss?!“ Hach, dieses Miteinander. Alles wie immer. Allerdings hatten wir dieses Mal alles richtig gemacht. Bei der zweiten und dritten Simulation wird bestimmt alles besser! Die Desiflaschen ploppen.

© Bianca Rositzka
 

11:00 – Restart? Nostart.

Da es die Probleme mit den Tracern gab, darf der SC DHfK-Hallensprecher Sascha Röser die schlechte Nachricht überbringen: Wir starten eine Stunde später. Eine gute Idee hat er aber auch noch: Es könnten doch alle DHfK-Fans zu Bendzko-Fans werden und andersrum. Das wäre doch ein tolles Ergebnis der Studie. Er gibt wie immer alles, lotst uns als Mannschaft durch den zähen Anfang des Restart-Games. Er holt die Handballjungs Niclas Pieczkowski und Bastian Roscheck auf die Bühne, um uns die Zeit zu verkürzen. Mein Tracer blinkt jetzt nicht mehr, also mache ich mich noch mal auf zum Reset am Osteingang. Ist ja noch Zeit …

12:00 – Pauken, Pullern, Pause.

Es geht endlich los! Dr. Stefan Moritz, Leiter der Infektiologie der Uni Halle und dieser Studie, erklärt uns den Ablauf. In drei Szenarien werden die Kontaktwege aller Probanden verfolgt und u. a. gezählt, wie viele „Ereignisse“ (kritische, also zu lange Kontakte) es dabei gibt. Im ersten sitzen alle dicht an dicht wie bei einem „normalen“ Konzert. Im zweiten wird immer genau ein Stuhl frei bleiben und beim dritten Szenario wird zu allen Seiten zwischen den einzelnen Gruppen ein Abstand von 2,50 Metern eingebaut. Würde man in diesem Muster die Arena füllen, würden nur noch etwa 1.650 statt 8.000 Personen reinpassen … Das klar erklärte Ziel: etwas dazwischen finden! Simuliert werden auch die Pausen, zudem werden wir angehalten, fleißig aufs Klo zu gehen. Dem Desinfektionsmittel, das wir benutzen, ist ein fluoreszierender Stoff beigemischt, damit später alle Kontaktflächen nachgeprüft werden können. Darauf erst mal ein Plopp!

 

© Bianca Rositzka

12:45 – Unter die Haut.

Nach der Einführung durch Moritz werden wir zum Holen unserer Essensmarken geschickt, die wir draußen einlösen können. Gerade wollen wir beherzt ins Brötchen beißen, da ruft SC DHfK-Geschäftsführer Karsten Günther: „Leute, jetzt alle rein, wer die Welt retten will!“ Und wenn Karsten ruft, dann wird gefolgt. Leider gab es wohl ein Kommunikationsproblem und wir hätten noch gar nicht ganz rausgehen sollen. Also alle wieder rein, Bendzko hat bereits angefangen. Wir haben Hunger und grummeln in uns hinein, hatten wir doch schon kein Frühstück mehr bekommen!

Zurück auf unseren Plätzen und mitten im Konzert. Bendzko singt passenderweise Jetzt bin ich ja hier / Alles neu, alles neu / Jetzt wird alles auf den Kopf gestellt / Willkommen in meiner neuen Welt und „Dieses Herz, es schlägt / Dieses Herz schlägt sich alleine durch die Nacht / Dieses Herz weiß nicht mehr, wofür es schlägt / Braucht einen Grund zu leben“ Ich habe Gänsehaut. Was ist denn bitte jetzt los???

Nach dieser ganzen virtuellen Zeit Livemusik zu hören, bringt einen besonderen Moment. Ganz kurz ist vergessen, in welcher Situation wir uns befinden und warum wir eigentlich da sind. Auch von anderen erfahre ich, dass es für sie besonders war. Selbst Cheffen war gerührt! Tim singt Das geht mir unter die Haut / Wie ein warmer Sommerwind / Ich habe es erst nicht geglaubt / Dass ich hier nicht alleine bin
Verdammt, gleich heul ich noch … Als wir das erste Mal unter unseren Masken mitsingen, müssen alle etwas unbeholfen lachen, gleichzeitig sind wir aber irgendwie dankbar. Das Ganze schafft ein verlorengegangenes Gefühl von „Zusammen“. Unser Groll über den bisherigen Ablauf der Studie ist verflogen. Auch Steffen Landschreiber vom DHfK, den wir später draußen treffen, hält fest: „Zukünftige Studien sollen es besser machen. Sollen alle Fehler nehmen, die wir gemacht haben, und sie ausbügeln.“

 

© Bianca Rositzka

14:00 – Warten auf das 2. Szenario.

Die Arena ist in vier Bereiche aufgeteilt, welche man auch nicht verlassen darf. Nur jeder zweite Platz ist besetzt. Gar nicht so schlecht, seinen Kram auf den Platz neben sich zu legen. Die Desiflaschen ploppen. „Schachbrettmuster“ nennt sich diese Versuchsanordnung. Karsten Günther betritt die Bühne und gibt dem Teamspirit neues Feuer. Wir sollen durchhalten, Disziplin zeigen, dem Wetter und Zeitverzug trotzen. Wir fühlen uns original wie in einem sportlichen Wettkampf. Er lobt das Team von Moritz in höchsten Tönen, welches über Monate unter Volldampf an der Verwirklichung dieser Studie gearbeitet hat. Sascha und Karsten hauen ihre Ansprachen raus wie sonst bei den Handballspielen, ein professionelles Moderatorenteam hätte es wohl nicht besser machen können. Der Leipziger Handball ist Emotion, und das bringen die beiden mal eben vor 1.500 Maskierten lebendig auf die Bühne. (Mehr Karsten-Günther-Spirit gibt‘s übrigens im DHfK-Interview ab S. 58.)

Bendzko ist wieder dran:Du kannst das Leben leicht nehmen, auch wenn es das nicht ist / Brauchst nur bisschen Leichtsinn Als hätte er die Songs für genau diesen Tag geschrieben.

16:30 – Einlass zum 3. Szenario.

Wir werden in Pärchen aka. „Infektionseinheiten“ mit 2,5 Metern Abstand gesetzt. Das ist nicht mehr Schach, das ist mehr so große Zahnlücke. Saßen wir vorher in Reihe 3 und 4 (unsere Plätze wechseln nach jeder Simulation) sind diese janz janz hinten. Wir schwitzen, der wenige Sauerstoff über die vielen Stunden macht uns sehr träge, der Atem in der Maske ist nicht mehr der frischeste. Wir tragen den Mund-Nasen-Schutz inzwischen sechseinhalb Stunden mit Pausen. In realen Veranstaltungssituationen würde das Ganze natürlich nicht so lange dauern, was uns (zumindest mental) aufatmen lässt.

Standing Ovations gibt es nach Konzert 3 nicht nur für Tim, der wohl trotz der einzuhaltenden Distanz nie nahbarer war, sondern auch für den bescheidenen Studienleiter, der das Lob nicht nur direkt weitergibt, sondern selbst das Zeug dazu hat, als Co-Moderator auf der Bühne zu stehen. Wir werden als Weltenretter*innen, Geschichtenschreiber*innen, Unterschiedmacher*innen in die Freiheit entlassen.

 

© Bianca Rositzka

18:45 – Durch.

Durchgeschwitzt, mental durch und voller Eindrücke. Als wir die Arena verlassen, haben sich die morgendlichen Regenwolken längst verzogen. Jetzt ist keine Wolke mehr am Himmel. Vielleicht ist das alles, dieser ganze Tag, ja doch ein Lichtblick für die Veranstaltungsbranche und wird als Meilenstein der „Ein Leben mit Corona“-Forschung in die Geschichte eingehen. Erste Ergebnisse werden im Oktober erwartet.