Ist gut überhaupt gut? Rezension: „Der gute Mensch von Sezuan“ im Schauspiel Leipzig

Die Inszenierung von Brechts „Der Gute Mensch von Sezuan“ des Schauspiel Kölns ist bis März 2020 im Schauspiel Leipzig zu sehen, hier erhaltet ihr einen Einblick.

Hat Wirtschaften etwas mit „gut Sein“ zu tun? Können die beiden Dinge zusammen funktionieren? Das fragen sich die drei Götter aufgeregt, als sie auf der Erde nach einem guten Menschen suchen. Sie flitzen in Berthold Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“, inszeniert von Moritz Sostmann, so viel über die Bühne, dass sie weniger wie respekteinflößende Meister wirken, sondern viel mehr wie aufgeregte Elfen. Dazu tragen auch ihre kleinen Flügel bei. Trotz der fast albern anmutenden Szenen trifft das Stück einen wunden Punkt nach dem anderen. Bis März 2020 ist die Inszenierung des Schauspiel Kölns im Schauspiel Leipzig zu sehen.

© Rolf Arnold

Das Bühnenbild der Erde von Christan Beck ist eine Art Müllhalde, die Armut und Elend andeuten soll. Darüber zieht sich in roten Neonbuchstaben ein chinesischer Schriftzug, ergänzt von ein bisschen Fabrikhallencharme, umgesetzt in Form eines Paketförderbands. Das Motiv des Mülls zieht sich dann durch das gesamte Stück: Alle Häuser werden in der Form von Müllcontainern dargestellt.

In der verarmten Stadt Sezuan finden die Götter nur die Prostituierte Shen Te, die ihnen Unterschlupf gewährt. Die Götter geben ihr Geld, damit sie es einfacher hat, Gutes zu tun. Shen Te kauft davon einen Tabakladen, bietet dort allen Obdach und speist die Armen. Schnell beginnen diese, sie schamlos auszunutzen. So steht Shen Te wieder vor dem finanziellen Ruin. Sie weiß sich nicht anders zu helfen, als mit der Erfindung des unerbittlichen Vetters Shui Ta. Immer wieder muss sie, als ihr Vetter verkleidet, hart durchgreifen: Die Speisungen rationieren oder finanzielle Verhandlungen führen. Die Botschaft: Wer Gutes tut, wird ausgenutzt. Der einzelne kann in der Gesellschaft Schlechter nicht gut sein und von materiellen Zwängen ist niemand frei.

Die harten Botschaften Brechts von 1940 könnten hoffnungslos stimmen, wenn das Stück nicht in der Leichtigkeit eines Spiels inszeniert wäre. Sostmann versucht keine knallharten Parallelen zur Aktualität und Realität zu ziehen, sondern stellt Spaß und bunte Bilder in den Vordergrund. Man könnte wohl sagen, er nehme den Inhalt des Stückes nicht ernst und erweise Brecht nicht genügend Respekt. Man kann es aber auch großartig finden, mit welcher unaufdringlichen und überspitzten Ironie er das umsetzt. Zum Beispiel weil es eine Metakritikebene eröffnet, wie als die Götter diskutieren, sich nicht zu sehr in „Wirtschaften“ einzumischen, weil sie davon keine Ahnung hätten und man unfreiwillig schmunzelnd an manche halbgare Kapitalismuskritik denken muss. Das ist viel erfrischender, als das Stück in bierernstes Pathos einzubetten.

Faszination und Skurrilität 

© Rolf Arnold
Besonders faszinierend an dem Stück ist, dass die Bühne immer voll wirkt, obwohl dort nur die sechs Schauspieler Johannes Benecke, Andreas Dyszeweski, Daniela Keckeis, Philipp Pleßmann, Madga Lenda Schlott und Brian Völkner zu sehen sind. Ständig wechseln die Rollen, schlüpfen in andere Figuren. Ein besonderes Element dabei: Einige der Fi-guren, anfangs sogar die Hauptfiguren Shen Te und der Wasserverkäufer Wang, werden durch lebensgroße Handpuppen dargestellt. Sie wirken das ganze Stück überraschend lebendig und gleichzeitig skurril. Die Hauptfiguren-Puppen sind lebensechte Nachbildungen, die Nebendarsteller hingegen eher bunt zusammengewürfelte Comicverschnitte. Die Szenen mit den Schnorrern im Tabakladen aka Müllcontainer auf engstem Raum wirken da so absurd, dass man sich zwischendurch einige Momente fühlt wie im Kasperletheater. Eine wackelige Balance zwischen Realität und Farce.

Richtig schwierig wird Shen Tes Situation, als sie sich in den skrupellosen Piloten Yang Sun verliebt. Er nutzt sie immer weiter aus, lange Zeit ohne dass sich Shen Te seinem Bann entziehen kann. „Wie soll man sich von allen Schwächen freimachen, vor allem von der tödlichsten, der Liebe? Sie ist ganz unmöglich“, sagt sie dazu.

Immer häufiger und länger muss Shen Te im Laufe des Stückes zum Vetter Shui Ta werden, denn Gnade allein bringt sie nicht weiter. Bis sie dann ganz verschwindet. Die anderen Figuren beginnen sie erfolglos zu suchen. Erst ganz am Ende taucht sie wieder auf, hochschwanger und verzweifelt. Obwohl sie sich so bemüht hat gut zu sein, lassen sie die Götter im Stich. Man bleibt etwas ratlos zurück; bringen einen etwa alle guten Taten nicht in die Gnade der Götter? Und gibt es überhaupt so etwas wie Gerechtigkeit?

Schauspiel Leipzig, Große Bühne | Kommende Termine: 11.01.2020 / 01.02.2020 / 12.03.2020, jeweils 19:30 Uhr, 09.02.2020 16 Uhr | Karten ab 14€

++ Premieren am Schauspiel im Januar ++

Brennende Erde

17.01.2020, 20 uhr | Diskothek

In dem Projekt „Brennende Erde“ beschäftigt sich das Regieduo Regine Dura und Hans-Werner Kroesinger mit dem Braunkohlerevier rund um Leipzig. Als Hauptenergieträger wurde die Braunkohle über Jahrzehnte kaum in Frage gestellt. Dabei gehen seit jeher eine weiträumige Zerstörung der Umwelt sowie zahlreiche Schicksale von Umsiedlungen auf ihr Konto. Dura und Kroesinger spüren den zahlreichen Erinnerungen einer umgewälzten Landschaft nach und präsentieren mit „Brennende Erde“ erstmals eine Arbeit in Leipzig.

Weitere Vorstellung: 25. Januar 2020 um 20 Uhr

Mein Freund Harvey

18.01.2020, 19:30 Uhr | Große Bühne

Mit „Mein Freund Harvey“ bringt das Schauspiel Leipzig den Welterfolg der amerikanischen Autorin Mary Chase auf die Bühne. Im Mittelpunkt steht Elwood P. Dowd, der eigentlich ein völlig unauffälliges Leben führt, bis Harvey in sein Leben tritt. Harvey ist ein Hase von zwei Meter zehn, sehr höflich und sehr unsichtbar. Niemand außer Elwood hat Harvey je gesehen — auch wenn Elwood seinen Freund jedem vorstellt, der ihm begegnet. Elwoods Familie ist klar: So kann ihr Leben nicht weitergehen. Doch im Sanatorium stellt sich mehr und mehr die Frage, ob es Harvey tatsächlich nicht gibt.

Weitere Vorstellungen: 25. Januar 2020 und 6. Februar 2020, jeweils 19:30 Uhr