Am Abgrund Rezension: Norway.Today im Theater der Jungen Welt

Julie und August treffen sich in einem Chatroom und verabreden sich zum Selbstmord in Norwegen. So heftig und so simpel klingt die Geschichte hinter dem Theaterstück Norway.Today, das unter der Regie von Phillip Oehmel momentan am Theater der Jungen Welt läuft.

Julie und August treffen sich in einem Chatroom und verabreden sich zum Selbstmord in Norwegen. So heftig und so simpel klingt die Geschichte hinter dem Theaterstück Norway.Today, das unter der Regie von Phillip Oehmel momentan am Theater der Jungen Welt läuft. Eineinhalb Stunden nehmen Julie und August den Zuschauer mit auf ihre Reise. Die Sache mit dem Selbstmord scheint wohl doch nicht so „leicht“ zu sein?

Das Licht im Saal geht aus, dann wieder an. Auf dem Fußboden erstreckt sich nun wie der Teppichboden eines Kinderzimmers eine weite Landschaft. Zwei Klippenvorsprünge ragen in dieses Bild, nur verbunden durch ein dünnes Seil. In Springerstiefeln und mit dem obligatorisch-rebellischen Stinkefinger-Shirt kommt Julie auf den Felsen gestampft. Dicht gefolgt von August, der, ein bisschen schusselig und unbeholfen, die Wanderung der beiden mit belanglosem Gequatsche begleitet. Hier sind sie an ihrem Ziel angekommen; hier wollen die beiden ihrem Leben ein Ende setzen. Warum?

© Tom Schulze

„Die einzige Möglichkeit, alles zu haben, ist nichts zu verlangen“, sagt Julie. Und August berichtet über sich: „Ich bin ein Feigling. Ich bin immer dabei, aber nie die Ursache!“ Zwei Aussagen und Meinungen, die erst mal sacken müssen. Das Stück ist ab 14 Jahren frei gegeben, das Buch von Igor Bauersima wird oft und gerne im Unterricht als Lektüre genutzt. Im Saal sitzen viele Jugendliche. 

© Tom Schulze
Und die lachen, wenn Julie flucht und August erst mal ein paar ordentliche Ausdrücke um die Ohren pfeffert. Die Figuren reden umgangssprachlich mit Sätzen, die auch gerne auf dem Schulhof fallen könnten. Das ist authentisch. „Jetzt halt doch mal die Fresse!“, brüllt Julie zum Beispiel, als der schlacksige August während des Aufstiegs einfach nicht die Klappe halten kann. Sie geht mit einer zielgerichteten Ernsthaftigkeit an ihren Selbstmord heran, aber in August scheint sie augenscheinlich nicht den besten Komplizen aus dem Forum für selbstmordgefährdete junge Menschen erwählt zu haben. Schon bald kommt es zum Streit, der die beiden in luftige Höhen über das Seil treibt und beinahe mit einem ungewollten Sturz endet. Kurze Pause für die Selbstmörder. Dann flackert ein Polarlicht über die norwegische Landschaft. „Wenn ich vorhin schon gesprungen wäre, hätte ich das gar nicht gesehen“, stellt da Julie klug fest. Nicht die einzige Einsicht: Was sich neckt, das liebt sich und so müssen sich Julie und August eingestehen, dass sie doch auch mehr füreinander übrig haben als gedacht. Mies, denn: Das bringt den ganzen Plan mit dem Selbstmord ordentlich ins Wackeln. Ständig begleitet werden die beiden von einem Satyr, der in bedeutungsschwangeren Momenten das Mikrophon zückt und Gassenhauer von heute und gestern mit viel Autotune von sich gibt.
© Tom Schulze

Norway.Today ist so minimalistisch wie komplex. Ein Handlungsstrang spannt sich wie das Seil zwischen den beiden Klippen durch die Geschichte. Trotzdem reisen wir in den eineinhalb Stunden nicht nur nach Norwegen, sondern auch in das Innenleben zweier Teenager, die genauso gut mit im Saal sitzen könnten. Der Satyr spielt sein letztes Lied und das Licht geht an. 

Norway.Today 14plus

Termine im November: 27.11. um 11 und 19:30 Uhr, 28.11. um 11 Uhr | Tickets 13€