Sarah Kuttner im Interview: „Manchmal bin ich verwirrt, dass so ein Fass aufgemacht wird“ Sarah Kuttner über total egale Tweets und Kritik, die nur verletzen soll

Sarah Kuttner im Interview über schlechte Kritiken zu ihrem Buch, wie wegen eines Tweets eine Lawine ausgelöst wird und warum sie keine schönen Selfies macht.

© Erik Weiss
Sarah Kuttner kommt am 27. Oktober 2016 ins ausverkaufte Werk 2 und liest aus ihrem neuen Buch „180° Meer“. Wir sprachen mit der 37-Jährigen über schlechte Kritiken zu ihrem Buch, warum sie sich immer noch kein dickes Fell zugelegt hat, wie wegen eines Tweets eine Lawine ausgelöst wird und warum sie keine schönen Selfies macht.

Du betonst immer, dass deine Bücher nicht autobiografisch sind. Die Leute können aber trotzdem nicht aufhören, nach dir in den Büchern zu suchen … 
Aber ich betone das auch nur, weil nicht aufgehört wird, danach zu fragen. Wenn jemand halbwegs bekannt ist, haben Leute ein Interesse daran, aus so einem Buch etwas Privates rauslesen zu wollen. Und dann fragen sie danach. Je interessanter das Thema, wie Depressionen bei meinem ersten Buch „Mängelexemplar“, desto mehr Bock haben natürlich alle Journalisten auf die Antwort, dass ich selber schwer depressiv war und unter Angststörungen litt – weil sich das eben gut verkaufen lässt. Und ich weigere mich, den Leuten das zu geben. 
Natürlich könnte es auch sein, dass ich lüge, dass alle drei Romane hardcore autobiografisch sind. Dass mir eins zu eins alles so selber passiert ist. Aber selbst wenn es so wäre, würde ich das nie im Leben irgend jemanden sagen, weil es halt niemanden etwas angeht. 

Verstehst du denn das Bedürfnis?
Ja, ich lese ja auch Klatschzeitungen und will wissen, ob sich Britney Spears wieder die Haare abgeschnitten hat und wer mit wem anbändelt. Ich kann das schon verstehen. Als Beispiel: Charlottes Roches Buch las sich auch gleich viel aufregender, weil man wusste, wie viel davon ihr passiert ist und wie viel nicht. Sie geht damit sehr offen um. Dieses Interesse ist vermutlich nur natürlich, aber gleichzeitig widerlich. Daher weigere ich mich, das zu bedienen. *

Die Kritiken zu „180° Meer“ sind geteilt …
(Unterbricht) … ich sage dir gleich, ich habe keine gelesen. Ich bin dann immer kurz erschüttert, wenn mir Journalisten aus schlechten Buchrezensionen zitieren. Ich denke mir immer: Bitte nicht, bitte nicht. Ich habe sie doch extra nicht gelesen. 

… gut, dann werde ich nicht zitieren. Aber wie gehst du mit der Kritik um?
Genau so. Ich lese die einfach nicht. Ich kann es ja eh nicht ändern. Es würde mir überhaupt nichts bringen, außer dass es mich verletzen würde. Auch nach all den Jahren habe ich kein dickes Fell. Es gibt auch niemanden, der in der Öffentlichkeit steht, der ernsthaft ein dickes Fell haben kann. Also lese ich einfach keine Kritiken. Immer wenn ich ein Buch schreibe, begehe ich den gleichen Fehler und denke: Dieses Buch ist so toll und ich bin so stolz – das müssen ja jetzt alle auf der Welt so sehen (lacht). Deswegen lese ich die erste Rezension und meistens gibt es darin schon direkt aufs Maul. Und dann denke ich mir: Ach stimmt ja, das wollte ich doch nicht. Wie gesagt, ich kann da auch nichts für mich rausholen oder die Kritik verwenden, um besser zu werden. Es werden ganz oft Sachen kritisiert, die in meiner Wahrnehmung totaler Quatsch sind. Zum Beispiel mein Ton und meine Sprache. Die finde ich aber genau richtig so. Das ist nun mal mein Ton und meine Sprache. Das kann und will ich also nicht ändern. Wenn jemand einen inhaltlichen Fehler im Buch fände, dann könnte man sagen, man hätte das anders machen können. Aber darum geht es den Leuten ja auch nicht. Es geht entweder ums Kritisieren an sich oder nicht. Davon habe ich ja keinerlei Mehrwert, außer einer Verletzung. 

Allgemein schaffst du mit deinen Aussagen oft Kontroversen – egal ob es um das übliche Familienkonzept Frau muss Mann, Haus und Kind haben oder das immer noch vorherrschende Bild einer perfekten Frau mit Hochhackigen, die lieb und ruhig ist. Denkst du dir manchmal hinterher, du hättest dir lieber auf die Lippen beißen sollen?

© Erik Weiss
Das klingt, als würde ich die Fahne hochhaltend durch die Straße skandieren. Das mache ich ja nicht. Ich habe kein Problem mit Vater, Mutter, Kind. Ich habe auch kein Problem mit Frauen, die ruhig sind und hohe Schuhe tragen – ich bin nur anders. Ich zeige nur, dass ich anders bin. Und das noch nicht mal mit einem Bildungsauftrag, sondern weil ich nicht anders kann. 
Ich mag die Eitelkeit nicht, die auch in mir wachsen könnte, wenn ich z.B. viele Selfies machen würde. Ich finde es natürlich super, wenn es schöne Fotos von mir gibt. Aber da ich auf Fotos einfach oft doof aussehe und ich mich auch nicht wohlfühle, wenn ich fotografiert werde, gibt es davon nicht so wahnsinnig viele. Klar, hätte ich das mit einem Selfie selber in der Hand. Aber dann würde ich 20 bis 25 Fotos von mir machen, müsste mich also unfassbar viel mit meinem Aussehen beschäftigen und würde so vermutlich nur unzufriedener mit meinem Äußeren werden. Und deshalb mache ich das nicht. Das ist aber nichts, was ich von anderen erwarte. Ich sage nicht: Hört auf, schöne Fotos zu machen. Sondern ich biete nur auch mal nicht so schöne oder selbstironische Fotos von mir an, weil das eben auch dazugehört. Das folgt also gar keinem Auftrag. Ich bin halt so und fertig. 
Wenn ich sage, dass ich Eltern, die ihre Kinder zum Pinkeln direkt vor einem Café halten, oll finde, ist das keine Petition zum Verbot, die alle unterschreiben sollen. Ich sage nur: Nein danke, mir gefällt das nicht. Manchmal bin ich verwirrt, dass auf einmal ein Fass aufgemacht wird, was ich so nicht vorhatte. Da muss ich halt durch. 

Du polarisierst mit solchen Aussagen und die werden gerne schnell und hitzig aufgenommen.
Im Grunde polarisiert ja jeder und immer. Nenn mir irgendeine Meinung oder irgendein Thema, bei dem sich alle einig sind. Das gibt es nicht. Sei es z.B. dass Gurken lecker sind oder jeder wählen gehen sollte oder, dass Nazis scheiße sind – es wird immer Leute geben, die das anders sehen. Im Grunde polarisiert doch jede Aussage. Der einzige Unterschied ist, dass manche in der Öffentlichkeit stehen und man dadurch bei der Polarisierung besser zugucken kann. Wenn mir bei Twitter und Facebook jeweils 150.000 Leute folgen, gibt es einfach immer jemanden, der anderer Meinung ist. 

Bist du manchmal überrascht, wie heftig auf manche deiner Aussagen reagiert wird?
Wenn das so richtig eskaliert, sitze ich auch mit hochroten Ohren da und denke: Was ist denn hier los? Man denkt sich einerseits, wenn ich diesen Post nicht abgesetzt hätte, hätte ich mir den ganzen Hass erspart, andererseits muss es doch möglich sein, einen total egalen Tweet zu posten. Und wie gesagt, ich habe nicht zum Töten von Welpen aufgerufen, wo man damit rechnet, dass es jetzt ordentlich Ärger dafür geben wird. Das war eine durchschnittliche Meinung zu einem durchschnittlichen Thema. Aber wenn grad Sommerloch ist und manchen Medien langweilig wird … Bevor die das zu einer Meldung machten, war komplett Ruhe. Dann kommen die Medien und berichten über viele Dinge auch falsch. Das ist dann so eine Lawine, die man gar nicht mehr in der Hand hat. Manchmal denkt man sich, es wäre besser gewesen, es nicht gemacht zu haben, aber nur damit man nicht so viel Stress hat. Aber eigentlich finde ich auch: Nö, es muss möglich sein, so was zu sagen. Und wenn es dafür dann Ärger gibt, muss ich mir halt eine Woche lang einen Sack übern Kopf ziehen und so tun, als wenn ich das alles nicht sehe – dann ist es wieder gut. 

Du bist schon seit 15 Jahren in der Fernsehbranche – was nervt daran und was genießt du?
Die Branche ist ja tendenziell eher das, was sich hinter den Kulissen abspielt, womit ich gar nicht so viel zu tun habe. Natürlich mag ich das Ergebnis Fernsehen, was dann später zu sehen ist. Ich mag es, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, etwas darzustellen, dass man die gleichen Sachen auf verschiedene Art und Weise machen kann, dass ich interessante Menschen treffe und dass ich albern sein kann. Es ist halt einfach mein Job. Den mag ich schon gerne. Ich habe irgendein grundsätzliches Talent und das darf ich da mehr oder weniger erfolgreich machen und kriege dafür Geld – das fetzt schon.
Hinter den Kulissen ist Fernsehen aber eben auch Wirtschaft. Für einen Kreativen eher unattraktiv, aber dafür habe ich ja eine Agentur. Die kümmern sich um das Olle, und ich darf das machen, was ich vor der Kamera gut kann.

Wenn du Sendungen machst, dann meistens für Kulturkanäle wie 3Sat oder ZDFneo. Ist dir das wichtig?
Nö. Aber ich bin ja auch keine 20:15-Uhr-RTL-Frau. Ich finde es gut, weil ich diese Kultur-Sender mag und merke, dass die einen Ticken mehr Bock auf Innovationen haben, auch ein bisschen mehr Mut und auch ein bisschen mehr Atem. Diese Sender brauchen zwar auch Erfolg, aber die stehen nicht so in der Öffentlichkeit. Das kommt mir schon entgegen, weil ich doch eher recht speziell bin und ich nicht alles machen will. Aber grundsätzlich würde ich bei jedem Sender arbeiten, wenn ich machen dürfte, was ich kann.

Aber bei solch kleinen Sendern ist die Wahrscheinlichkeit relativ gering, dass ein großes Publikum darauf aufmerksam wird. Ist dir das wurscht?
Ja, das ist mir tatsächlich wurscht. Ich habe eh gar kein Gespür dafür, wer da davorsitzt. Ich verstehe bis heute Quoten nicht. Ich kokettiere gar nicht damit, ich verstehe es einfach nicht. Wenn jemand sagt, so und soviel Prozent Marktanteil, weiß ich nicht, wie viel oder wie wenig das ist. Mir ist sowas einfach nicht so wichtig. Mit Mehr Publikum kommt oft auch mehr Druck und damit fehlende Leichtigkeit. Ich mag die Nische, in der ich arbeite daher ganz gern. Vielleicht ist das auch nur feige, aber solange ich machen kann was ich gut finde und damit mein Leben finanzieren kann, brauche ich kein großes Publikum. 

Gibt es denn Pläne oder Ideen für eine neue Sendung?
Ja, die habe ich, aber das ist in dem Stadium, wo man nicht drüber reden kann. Die Mühlen mahlen beim Fernsehen tatsächlich eher langsam. Ich mache jetzt erst mal meine Lesetour im Herbst und im Winter. Und dann mal schauen.