"Da ist dieser Druck, immer Außergewöhnliches leisten zu müssen" Stefan Kretzschmar über SC DHfK, Korruption und fragwürdiges Wertesystem

Im Interview spricht Stefan Kretzschmar über den möglichen Aufstieg des SC DHfK Leipzig in die 1. Bundesliga, über Emotionalität im Handball, RB Leipzig und der ständigen Suche nach dem Kick.

Der Handball-Zweitligist SC DHfK Leipzig könnte in wenigen Wochen das erreichen, was seit Stefan Kretzschmars Amtsantritt als Aufsichtsratsmitglied ausgerufen wurde: Der Aufstieg in die 1. Bundesliga. Wir haben mit dem Sport1-Kommentatoren und ehemaligen Nationalspieler „Kretzsche“ mal in die Glaskugel geschaut. Außerdem spricht der 42-Jährige über Emotionalität im Handball, RB Leipzig, der ständigen Suche nach dem Kick, ob man ihn irgendwann als Trainer sehen wird und was in unserer Gesellschaft schief läuft.

© SC DHfK Leipzig

In der Glaskugel sehen wir den ersehnten Aufstieg. Was soll und was muss gemacht werden?
Ich weigere mich ja ganz stark, das jetzt schon so zu betrachten. Wir hatten schon mal die Situation, in der wir dachten, wir steigen auf. Und wir haben das dann echt drei, vier Spieltage vor Schluss noch verspielt. Da sind wir auch sehr offensiv an die Öffentlichkeit rangegangen. Am Ende haben wir dafür viel Häme bekommen, was mir persönlich auch sehr weh getan hat. Wir hatten uns taktisch entschieden, noch mal einen Reiz zu setzen und haben gesagt: jetzt Aufstieg. Wenn es dann nicht klappt, wirst du natürlich auch ausgelacht.

War das so?
Sobald du das medial formulierst, lesen das ja auch die anderen Mannschaften und hängen sich das in die Kabine. Das ist für die noch mal eine extra Motivation. Das war taktisch eher unklug. Deswegen: Wir haben zwar einen Vorsprung, aber es sind auch noch einige Punkte zu vergeben. Das sieht relativ komfortabel aus. Aber ich weigere mich eigentlich, darüber zu reden, weil es vielleicht Unglück bringt und ich das halt schon mal hatte. Deswegen ist es schwierig, in diese Glaskugel zu schauen. Natürlich habe ich Träume und Wünsche. Wir sind auch mal angetreten hier in Leipzig, weil wir gesagt haben, wir wollen Bundesliga-Handball machen. Da waren wir noch in der 4. Liga und alle haben uns ausgelacht und nicht ernst genommen. Das große Ziel zu erreichen, ist irgendwie zum Greifen nah, aber es ist halt noch nicht da. 

Aber ihr plant sicherlich.
Ja, und das auch zweigleisig. Wir sprechen mit Spielern, die uns weiterhelfen, egal in welcher Liga wir nächstes Jahr spielen. Wir wissen auch, dass wir für solche Spieler andere ökonomische Mittel bereitstellen müssen. Wir müssen die Mannschaft noch einmal verstärken. Wir müssen Leute holen, die schon mal in der ersten Liga gespielt haben, sich da auskennen und unserer jungen Mannschaft Erfahrungen weitergeben. Die Planung der Mannschaft ist momentan sicherlich die Hauptaufgabe der Geschäftsführung, des Trainers und Managers.
Viele andere Bundesligamannschaften haben das schon längst gemacht. Wir planen jetzt im März und April für die Saison, gucken, was der Markt so hergibt und stimmen uns ab.

Aber es ist sicherlich schon ein Unterschied, wenn ihr auf Spieler zugeht und sagt: Du spielst nächste Saison in der 1. Liga oder vielleicht auch nur 2. Liga.
Viele machen es auch davon abhängig und wollen nur kommen, wenn wir 1. Bundesliga spielen. Das macht die Planung natürlich schwieriger. Im schlimmsten Fall schaffen wir den Aufstieg nicht oder erst ein, zwei Spieltage vor Schluss im Mai oder Juni, sodass man den Jungs, die eventuell in Frage kommen, nicht sagen kann, wo die spielen. Deswegen muss man halt Spieler finden, die so oder so dabei sind und dann vielleicht helfen, den Aufstieg ein Jahr später zu schaffen. Das ist schwierig. Die Spieler möchten natürlich in der 1. Bundesliga spielen. Weniger schwierig ist es, wenn du so viel Geld hast wie z.B. RB Leipzig. Dann kannst du die Leute auch anders überzeugen. 

Das Budget für die 1. Bundesliga soll 2 Mio. € betragen. Reicht das?
Na ja, ich wäre froh, wenn wir das erreichen. Wir haben in der 5. Liga mit 100.000€ angefangen und jetzt, vier Jahre später, sind wir bei 1,4 Mio. €. Das Budget ist schon eine große Leistung. So einen Etat haben nicht viele Zweitligisten. Aber wenn man sieht, dass beispielsweise Magdeburg 4,6 Mio. € hat, als der Verein, der uns geografisch am nächsten ist, dann wissen wir schon, dass wir einiges bewerkstelligen müssen, um annähernd dieses Niveau zu erreichen. Jetzt hat uns Magdeburg natürlich 20 Jahre voraus in der 1. Liga. Das ist eine ganz andere Hausnummer. Wenn du clever bist, deinen Kader taktisch gut zusammenstellst und einen guten Trainer hast, dann können 2 Mio. € reichen. 

Um die Liga zu halten?
Es ist schwer, mich daran zu erinnern, wann es in den letzten Jahren ein Aufsteiger geschafft hat, die Klasse zu halten. Der Sprung von der 2. in die 1. Bundesliga ist extrem groß. Meistens sind die Aufsteiger gleichzeitig auch wieder die Absteiger. Weil man sich gar nicht so gut verstärken kann – weil man auch nicht das Geld hat, sich so zu verstärken. Das heißt, es geht einzig und allein um den Klassenerhalt. Dafür werden auch die Spieler ausgesucht. Das müssen Kämpfer sein. Leute, die sich identifizieren und die Lebenserfahrung mitbringen. Das ist nicht einfach. Erst recht, wenn du eben nicht die hohen Gehälter zahlen kannst.


Was ist deine Aufgabe dabei? Guckst du auch nach Spielern?
Ich mache meinen Einfluss anderen Spielern gegenüber schon geltend, indem ich meinen Namen nutze und ich mich mit denen unterhalte. Aber das passiert natürlich alles in enger Abstimmung mit dem Trainer und dem Geschäftsführer. Der Trainer hat eine Philosophie, wie er Handball spielen möchte und guckt, welche Spieler da reinpassen. Aber es gibt natürlich genügend Spielerberater in dieser Welt, die ihre Spieler permanent jedem Verein anbieten. Dann guckst du ins Portfolio, ob der passen könnte. Aber das stimmen wir alle miteinander ab. 

Woher kommen die 2 Mio. €?
Wir haben zwei große Sponsoren und über 100 kleinere Sponsoren, weswegen sich die wirtschaftliche Basis auf breite Füße stellt.. Das sind vorwiegend lokale Sponsoren. Wir sind eine Sportart, die regional funktioniert. Wir haben jetzt nicht die Strahlkraft, dass jemand aus Stuttgart uns sponsern wollen würde. Handball ist emotional. Handball kann man auch nicht aus marketingtechnischen Gründen erklären, wo man den Leuten die Klickzahlen um die Ohren wirft und sagt, ihr habt so und so viel Medienzeit im Fernsehen. Da finden wir im Gegensatz zu Fußball einfach nicht so statt. Also musst du jemanden finden, der Handball geil findet, der früher vielleicht selber mal gespielt hat, der die Arena und den Verein toll findet und dort werben will. 

Es ist öfter mal die Rede von einer Kooperation zwischen dem SC DHfK Leipzig und RB Leipzig.
Es gibt keine Kooperation, außer dass man sich mag und respektiert. Aber auf wirtschaftlicher Ebene gibt es keine Kooperation. Natürlich ist das immer so ein Traum, den jeder Sportverein hat, einen großen Gönner wie Red Bull zu haben. RB kann aus den Vollen schöpfen. Die leben ja nicht am Existenzminimum und müssen auch nicht bangen. Geld spielt keine Rolle. Das ist bei uns ein bisschen anders (schmunzelt). Wir müssen schon mit Augenmaß wirtschaften.
Das ist auf der einen Seite schwierig, weil du gerne einen großen, starken Partner hättest – das würde vieles leichter machen. Auf der anderen Seite verliert das einen gewissen Charme, wenn du ein Konzernverein bist. Emotional würde mich das jetzt nicht so kicken. Ich bin auch nicht so der riesen RB-Leipzig-Fan – dann schon eher Union Berlin. Aber ich mag das, ich finde es für die Stadt super. Ich gehe gerne ins Stadion und finde es sehr sympathisch, dass auch mal wieder Familien mit Kindern ins Stadion gehen können. Dieser Verein hat mittlerweile eine große Akzeptanz in Leipzig. Es ist ja auch ein großer Tourismusfaktor für die Stadt.
Aber für mich persönlich wäre das eher nix. Ich glaube, dass ich mit dem Projekt SC DHfK Leipzig eine hohe Emotionalität habe, auch durch meine Eltern. Für mich ist es auch wichtig, dass man sich damit identifizieren kann und nicht einfach nur als Job sieht.

Du hast gesagt, dass du, bevor der DHfK nicht in die 1. Bundesliga aufsteigt, nicht gehen wirst. Das kann ja nun bald tatsächlich passieren. Heißt das, wenn sie es schaffen, bist du weg?
Nicht zwangsläufig. Mit Sicherheit werde ich das nächste Jahr noch hier sein. Aber es kann natürlich auch sein, dass das Baby auch ohne mich läuft. Bisher war es nicht unwichtig, dass ich das Projekt begleite, auch medial pushe und bei Sponsoren vorspreche. Aber irgendwann können die auch ohne mich. 

Hast du denn Lust, was anderes zu machen?

© SC DHfK Leipzig
Ach, ich bin immer sehr ruhelos und rastlos. Es gibt immer eine Sehnsucht nach etwas, was ich noch nicht kenne. Ich habe keine Scheuklappen auf. Ich gucke nach rechts und links, was da so passiert. Und dann gibt es sicherlich auch Träume, die ich noch habe, wohin die Reise noch mal gehen könnte. Es kommen Leute so nebenbei in meinem Leben vorbei und werfen mir was zu. Und dann fängt es an zu rattern und es baut sich eine neue Vision auf.
Die Vision Leipzig war ja eigentlich auch nicht zu erklären. Dass ich als Sportdirektor eines Erstligisten einfach mal zu einem Fünftligisten gehe. Viele haben mich gefragt, was das denn soll. Ich hatte auch Angebote von Erstligisten, bei denen ich auch mehr Geld verdient hätte. Ich bin irgendwie immer auf der Suche nach so einem neuen Kick und neuen Herausforderungen. Es gibt gerade viele neue, interessante Sachen, die in der Zukunft passieren können. Kann also sein, dass ich irgendwann auch noch mal weggehe. Aber momentan fühle ich mich einfach in der Stadt sehr wohl und mag das Projekt sehr gerne – und es ist ja auch noch nicht so ganz fertig. Ich bin schon noch gerne eine Weile dabei. Wie lange diese Weile sein wird, weiß ich nicht.

Wäre es möglich, Aufsichtsratsmitglied zu sein und deinen Kommentatoren-Job bei Sport1 parallel auszuführen?
Klar. Es ist ja nun kein administrativer Job. Ich kann mir meine Zeit selbst einteilen.

Und was ist mit der Unbefangenheit beim Kommentieren?
Ich kommentiere dann wahrscheinlich nicht Leipzig. In allen anderen Spielen bin ich ja neutral. Das zu meistern, ist keine große Herausforderung für mich. Der Sender will mich behalten, der hat gar kein Problem damit. Klar könnte man, wenn man möchte, etwas reininterpretieren und sagen, ich sei parteiisch. Aber das machen Fans ja sowieso immer. Wenn du Magdeburg gegen Kiel kommentierst, kriegst du nachher Nachrichten von Magdeburgern, wie Kiel-parteiisch man war und zur selben Zeit kriegst du E-Mails von Kielern, die schreiben, dass ich für Magdeburg war. Du kannst es den Leuten eh nicht recht machen.
Das kann aber auch nicht dein Anspruch sein. Ich habe irgendwann aufgehört, es allen Leuten recht machen zu wollen. Das macht keinen Sinn. Der Kampf ist so aussichtslos. Und macht dich am Ende auch unglaubwürdig.
Ich sehe da überhaupt kein Problem, wenn du in einem Verein engagiert bist und Spiele anderer Vereine kommentierst. Ich bin ja auch kein Stratege, der irgendwas plant, hinter den Kulissen irgendwelche Fäden zieht oder Intrigen einfädelt.
Alles was ich mache, ist emotional und rein aus dem Bauch heraus – das kann auch schon mal ein Nachteil sein. Ich bin ein reiner Gefühlsmensch und bin mir auch oft über viele Konsequenzen nicht bewusst, die Worte von mir auslösen. Ich sage etwas, mache mir vorher nicht so viele Gedanken darüber oder lasse es mir noch mal absegnen. Es ist halt dann so. Dafür kriegt man nahezu eine 100 Prozent-Ehrlichkeit, die auch manchmal wehtut und die auch nicht immer lustig ist. Aber einigen Leuten scheint es zu gefallen. 

Du hast das Angebot abgelehnt, Bundestrainer der Frauen-Handballnationalmannschaft zu werden. Warum? 
Ich hatte keine Lust, einen Job anzufangen, bei dem vor Amtsantritt schon 50 % dagegen sind. Ich habe im Frauenhandball überhaupt keine Reputation. Und ganz ehrlich, diese Führungsriege in der Frauenwelt kapiert gar nicht, was das für eine Chance gewesen wäre für den Frauenhandball. Das wollen die auch nicht kapieren. Wie in so vielen Bereichen im Leben schmort man gerne in seinem eigenen Saft. Und wie in so vielen Bereichen im Leben haben Leute das Sagen, die eigentlich gar nicht das Know-how und wenig Sachverstand haben. Und die haben dann natürlich wiederum Angst um ihren Job oder um ihr Standing. Wenn jemand kommt, der das Licht erst einmal auf sich zieht, sehen die das nicht als Vorteil, sondern als Nachteil, weil ihr eigenes Licht darunter leidet. Das ist manchmal echt schlimm und borniert. Insofern war klar, dass diese Nummer nicht auf große Zustimmung trifft. Die Leute sind nicht kreativ genug, um sich das vorstellen zu können. Ich habe mir das 14 Tage überlegt und gesagt, dass das nicht meins ist. 

Davon abgesehen, hättest du dir das vorstellen können?
Ja, ich glaube, dass man die Mädels ordentlich motiviert kriegt, wenn man ein bisschen Ausstrahlung oder Charisma hat. Das ist eine gute Mannschaft, die auch erfolgreich spielen könnte. Kurzfristig sogar erfolgreich spielen könnte, weil sie viel Talent hat. Aber man hätte sich da reinfuchsen müssen.
Das beraubt mir auch sehr viel meiner Freiheit, wenn ich so einen Trainerjob habe. Ich liebe dieses Leben, was ich zurzeit habe. Ich glaube, es gibt gerade kein schöneres Leben als meins. Und wenn dieses Leben finanzierbar ist für die nächsten 10 Jahre, dann möchte ich das ungerne ändern. Dass man sich neu aufstellt, neu orientiert, immer mal andere Sachen macht, ist ok. Aber mich da jetzt in einen Trainerjob einbringen, wo ich mich kümmern muss, nach Metzingen und Buxtehude fahren muss und mich mit Funktionären auseinanderzusetzen und sogar rumschlage – das ist mir zu anstrengend, da bin ich auch zu alt (lacht). Das will ich nicht von meinem Leben. Ich habe einen anderen Lebensplan. 

Kannst du dir vorstellen, überhaupt mal als Trainer zu arbeiten? Du hast ja auch schon co-trainiert.
Nein. Ich habe aufgehört Handball zu spielen, weil ich das nicht mehr wollte. 16 Jahre Profi heißt immer Druck. Und wenn du der vermeintliche Star deiner Sportart bist, hast du noch mehr Druck, weil die Leute immer ganz besonders viel von dir erwarten. Es ist nicht mal der Druck, sportlich bestehen zu müssen. Sondern da ist dieser Druck, immer Außergewöhnliches leisten zu müssen. Und das hast du die ganze Woche, das lässt dich nicht los. Du lebst immer nur in diesen Phasen und musst dem Druck Stand halten. Dann kommt noch der mediale Druck dazu. Das kannst du gut, solange du der Beste bist, solange du auch weißt, dass du der Beste sein kannst, solange du auch mit den Medien umzugehen weißt und solange du stressresistent bist.
Irgendwann hatte ich keine Lust mehr, um 10 Uhr morgens mit der kurzen Hose in der Turnhalle zu stehen und zu trainieren. Ich dachte, da muss doch auch noch was anderes in meinem Leben passieren. Da muss es doch noch was anderes geben. Ich war mit 34 auch einfach müde und ausgelaugt und dachte: Nee, ich will jetzt eigentlich nicht mehr.
Mache ich einen Trainerjob, habe ich auch wieder diesen Druck. Dein ganzes Leben ist wieder einem Verein ausgeliefert und du wirst fremdbestimmt. Du musst jeden Tag in der Halle sein, musst Videostudien machen, bist am Wochenende unterwegs. Dann ist halt das alte Leben wieder zurück und das in einer Funktion, bei der du nicht mal Teil der Mannschaft bist, sondern der Vorgesetzte.  

Du bist für den Videobeweis im Handball. Würdest du noch mehr reformieren, wenn du könntest?
Ehrlich gesagt finde ich gar nicht, dass unser Sport extrem verändert werden müsste. Ich finde ihn so wie er ist ok. Was mich stört ist, dass die Schiedsrichter zu viel Einflussmöglichkeiten haben. Dass man wirklich extrem davon abhängig ist, was man für Pfiffe bekommt. Dieses Spiel entscheiden manchmal nicht die Mannschaften, sondern die Schiedsrichter – jedenfalls haben sie die Möglichkeit, ein Spiel zu entscheiden. Und das stört. Du weißt, dass du wenn du auswärts spielst, den einen oder anderen Pfiff nicht kriegen wirst. Das ist allen bewusst. Und manchmal ist es ungerecht, weil du vielleicht die bessere Mannschaft bist. Ich habe auch schon Titel nicht gewonnen, wegen der Schiedsrichter. Ein Europameisterschaftstitel ist mir durch die Lappen gegangen, weil die Schiris eine krasse Fehlentscheidung in der letzten Sekunde bewusst gepfiffen haben. Ich wüsste jetzt aber auch nicht, wie man das rauskriegt, wie man unser Spiel ändern könnte, um das zu verhindern. Unser Spiel ist sehr emotional und körperbetont. Da passieren nun mal Sachen, die sehr hart sind. Das finde ich auch gut. Nimmt man das alles raus und macht man den Sport clean wie Basketball, dann wäre es nicht mehr meins. Nicht falsch verstehen, ich gucke auch gerne Basketball, vor allem amerikanischen. Aber ich mag auch die Härte in meinem Sport und dass es auch mal zur Sache geht. Das sind auch die Geschichten, die du später immer wieder erzählen wirst. Wie du z.B. in einem Europapokalspiel angespuckt wurdest. Die Stahlbäder, durch die du gegangen bist. Das macht die ganze Sache auch reizvoll und attraktiv. Ich glaube nicht, dass ich irgendwas an meinem Sport ändern wollen würde, weil ich den gut finde, so wie er ist. Ich rege mich aber auch unfassbar oft über die Schiedsrichterentscheidungen auf, wenn ich Zuschauer bin.

Macht es das auch aus, sich mal richtig aufzuregen und Luft abzulassen?
Das stimmt. Obwohl es da auch Leute gibt, die sich wieder zu viel aufregen (lacht). Das regt mich dann wieder auf, wenn man sich unverhältnismäßig stark aufregt. Fußball ist ja noch schlimmer. Da redet ja jeder mit, weil er denkt, er sei Bundestrainer.

Thema Typen: Wie wichtig sind solche Sportler für eine Sportart?

© Sport1
Das ist ganz wichtig. Häufig definiert sich darüber der Erfolg oder Nichterfolg einer ganzen Sportart. Im Tennis hatten wir Boris Becker, in der Formel 1 Michael Schumacher, im Basketball haben wir Dirk Nowitzki …
Was allerdings in Deutschland auffällt, ist: Es wird ein Held kreiert, um ihn dann wieder runterzureißen. Es muss dann auch immer ein tragisches Schicksal sein. Diese Medienwelt ist ja Wahnsinn. Wenn du denkst, du kannst da mitspielen oder du kannst es kontrollieren – dann hast du verloren. Der Idealzustand ist: Populär zu sein, sich aber unter dem Radar der Boulevardpresse von Bunte und Gala zu befinden. Dann kannst du gut leben. Sobald du versuchst, in diese Boulevardpresse zu kommen und du an so was wie Let’s Dance teilnimmst, dann hast du verloren. Das ist einfach schwer kontrollierbar. Dann ist dein Leben auch nicht mehr attraktiv, weil du nicht mehr frei bist. Prominent sein ist schön, bringt dir viele Vorteile und nutzt dir – aber nur, wenn du unter dem Radar der Großen bleibst. Es ist entscheidend, was du machst und was du ablehnst – Stichwort Promi Dinner, Dschungelcamp …

Wurdest du mal angefragt für sowas?
Klar. 

Auch fürs Dschungelcamp?
Jedes Jahr. Auch Let’s Dance jetzt schon wieder.

Warum machen das so viele ehemalige Sportler?
Geld. Dschungelcamp ist für viele die letzte Ausfahrt – für manchen auch die letzte Einfahrt (lacht). Andere machen es tatsächlich, um bekannt zu werden oder um im Gespräch zu bleiben, weil sie sonst nicht viel Content haben. Die drängen sich überall rein. Es ist ja auch das Management, was anfragt. Ich glaube, wenn das Dschungelcamp durchgängig mit A-Kategorie-Promis wäre, würde ich mir das sogar überlegen. Wenn es wirklich coole Leute wären.

Zum Beispiel?
Til Schweiger, Matthias Schweighöfer, Franzi van Almsick, Klitschko … Wenn das so eine Nummer wäre, dann würde ich es mir vielleicht sogar überlegen. Dann könnte es cool werden. Aber wer da jetzt ist, der hat einfach verloren. Da ist dann Schluss. Da brauche ich dann bei den Stadtwerken Leipzig nicht mehr vorsprechen (lacht).

Aber es schauen ja viele.
Ja, das ist das erfolgreichste Fernsehformat. Aber wenn ich da als Dschungelcamp-König ankomme … das ist ja nicht unbedingt ein positives Attribut. Für mich ist es halt schwer, sowas als Helden meines Landes anzusehen, der ohne Zweifel bei den Kids eine Relevanz hat. Wenn die eine Autogrammstunde machen, kommen 1.000 Leute. Da siehst du aber auch, was unser Land für ein Wertesystem hat. Da ist doch irgendwas schief gelaufen, wenn so jemand in der öffentlichen Wahrnehmung über z.B. einem Klitschko steht, zu dem nur 300 Leute zur Autogrammstunde kommen. Da läuft doch irgendwas ganz furchtbar schief. Aber das ist nun mal leider die Realität. Für mich ist das eine Respektfrage, dass ich Leistung anerkenne und demzufolge mein Wertesystem auch aufbaue. Und da finde ich das schlimm, wer in unserem Land mittlerweile welchen Stellenwert hat. Vor allem: Warum?

Und? Warum?
Weil heute das Motto gilt: Mit wenig Aufwand populär sein. Frag mal 100 Kids, was die werden wollen. Dann antworten 99: irgendwas mit Medien. Das ist unsere Gesellschaft. Nicht mehr hart arbeiten müssen. Warum geht im Sport alles zurück? Warum haben wir in olympischen Sportarten keine Helden mehr? Weil sich keiner mehr großartig quälen will. Bei einem Auftritt bei DSDS oder The Voice kannst du von heute auf morgen ein großer Star sein. Und alle denken, so funktioniert das Leben – dass du über Nacht berühmt wirst. Und Starlets wie Daniela Katzenberger und Melanie Müller machen es denen ja auch noch vor. Ich finde das grenzwertig. Es ist nicht meins. Aber es hat eine Daseinsberechtigung und deswegen will ich es nicht kritisieren. Was der Mensch konsumiert, das hat er auch verdient. Ich finde es halt nur schade, weil ich meiner Tochter erklären muss, dass sich das Wertesystem verschiebt. 

Gerade großes Thema: Doping im Sport, vor allem im Fußball. Macht Doping im Handball Sinn? 
Ich glaube, man hat das zu Ostzeiten mal probiert, aber es hat nicht funktioniert. Soweit ich weiß, hat man das eigentlich dann auch gelassen. Ich glaube, dass es nur Sinn machen würde, wenn man verletzt ist und man schneller zurückkommen will. Ich bin in 16 Jahren Profisport nach der Wende nie damit konfrontiert worden. Klar habe ich vor fast jedem Spiel, seit ich 25 bin, Schmerztabletten genommen. Einfach schon prophylaktisch, um den Schmerz auszuschalten, der dann kommt. 

Werdet ihr kontrolliert?
Ja. Angeblich nach einem Lotterieverfahren. Ich wurde im Jahr 10 Mal getestet, während andere höchstens 3 Mal getestet wurden. Soviel zum Lotterieverfahren. 

Hast du jetzt noch Schmerzen?
Mein Knie ist kaputt. Ich habe es in der Bandscheibe, Schulter … Wenn ich im Supermarkt irgendwas aus dem untersten Regal brauche, wird es schwierig. Aber das ist der Preis. Und auch wenn mir jemand vorher den Preis genannt hätte, ich hätte es gemacht. Das war es mir wert. Ok, wahrscheinlich kriege ich irgendwann ein künstliches Knie. Das ist dann halt so. Ich möchte aber mit niemanden tauschen.
Du hast dir die Schmerzen ja auch erarbeitet und verdient. Es ist jetzt nicht so, dass ich nicht überlebensfähig oder extrem eingeschränkt bin, dass ich sage: Verdammt, dieser Sport hat mich fertig gemacht. Das ist nun mal ein harter Sport, da gehören Verletzungen leider dazu. Ich hatte zum Glück nicht so viele schlimme. Ich kann damit gut leben. Ich empfinde die auch nicht als schlimm. 

Du bist 42. Wie ist das für dich?
Ich finde das Alter echt gut. Es ist manchmal komisch, wenn Frauen mich im Club siezen: „Was machen Sie denn hier?“ (lacht). Aber ich mag dieses Alter, weil ich auch weiß, was es bedeutet. Es ist für einen Mann eigentlich ein ideales Alter. Komischerweise: je älter man wird, ist es immer das ideale Alter, in dem man gerade ist, weil man immer wieder neue Erfahrungen gemacht hat. Man lernt ja auch nicht aus und wird trotzdem nicht klüger (lacht). Irgendwann ist sicherlich die Grenze erreicht, wo das Alter keinen Spaß mehr macht. Zumindest nicht von dem Aktivitätsvolumen, das man jetzt gut findet. Ich habe noch nie so intensiv und bewusst gelebt wie jetzt. Wenn ich mir überlege, wie ich vor sieben Jahren gelebt habe, was mir wichtig war, wofür ich gearbeitet habe, wie ich agiert habe … das will ich mir heute gar nicht mehr vorstellen. Heute sind mir ganz andere Dinge wichtig.
Ich bin natürlich in vielen Sachen abgestumpft, was auch nicht schön ist. Ich habe meine Romantik verloren. Sicherlich ist der Himmel auch nicht mehr rosarot so wie mit 18. Diese Gefühle kommen dir schon abhanden und es ist auch traurig, dass es so ist. Aber dafür hast du das Gefühl, dass du weißt, was du willst und konzentrierst dein Leben aufs Wesentliche, ohne den Blick zu verlieren, was noch passieren könnte. Du hast schon viele Sachen verloren. Und es tut auch weh, sie verloren zu haben, aber trotz allem ist es ein Alter, bei dem du dir denkst, so muss es jetzt sein und das ist gut. Es gibt eigentlich nichts, bei dem du mit 42 sagst, „dafür bin ich jetzt zu alt“ oder „schade, dass ich das jetzt nicht mehr kann“. Das einzige, was mit 40 kommt, ist: Du kannst nicht mehr so viel Party machen. Das geht nicht. Du kannst nicht mehr die Nacht durchmachen und dann gehst du am nächsten Tag zur Arbeit und alles ist gut. Die Kopfschmerzen werden immer mehr (lacht).

Du hast schon öfter von Korruption im Sport gesprochen. Wie sehr wird der Handball von Korruption unterwandert?
Warum soll das gesellschaftliche Phänomen nicht auch im Handball existieren? Der Mensch ist käuflich. Jeder hat seinen Preis. Und das nutzen die Menschen aus. Es ist im Sport, in der Wirtschaft, überall so. Ich finde es scheiße, aber es ist so. Jeder Mensch muss für sich entscheiden, nach welchen Werten er lebt.
Ich kann es dem Menschen auch nicht verdenken. Im Zuge der Katar-WM habe ich mich mit dem Thema auch beschäftigt. Dass auf einmal Montenegriner für Katar spielen und streng gesagt ihr Seele verkaufen. Aber das ist so viel Geld, dass sie die nächsten 20 Jahre ihre Familien ernähren können, ohne jemals wieder ein Problem zu haben. Ich versuche mich in den Menschen hinein zu versetzen. Was passiert da? Auch bei Schiedsrichtern. Menschen sind für Geld nun mal anfällig. Geld regiert nun mal diese verfickte Welt. Demzufolge definieren sich Menschen über ihren ökonomischen Status. Das ist auch der Antrieb für ganz viele Menschen, erfolgreich zu sein. Und die, die es beruflich nicht auf legalem Weg schaffen, die machen es auf illegalem Weg. Der Mensch hat in unserer Gesellschaft eingebläut bekommen, dass er erfolgreich sein muss. Und nur so bekommst du Ansehen. Und erfolgreich heißt nicht, dass du charakterlich erfolgreich sein sollst, sondern finanziell. Und da streben alle hin. 

Und wer daran nicht glaubt, verliert in unserer Gesellschaft?
Es kommt darauf an, über was du dich definierst. Wenn dir, deinem Freundeskreis und deiner Familie das nicht wichtig ist. Wenn du dich null darauf beschränkst, sondern ein gesundes Verhältnis zu dir selbst hast, in dir ruhst und deine Prioritäten so gesetzt hast, dann bist du dafür auch nicht anfällig. Dann reicht dir das. Aber heutzutage strebt doch jeder nach Ruhm und Anerkennung – auch nach der ökonomischen Anerkennung. Das treibt die Menschen nach vorne. Und da kannst nehmen, wen du willst. Jeder Mensch hat seinen Preis – mit wenigen Ausnahmen. Ich nehme mich da nicht aus. 

Wie hast du die Handball-WM in Katar erlebt?
Ich war drei Wochen in Katar und habe meine Meinung über dieses Land komplett revidiert. Ich habe vorher alle meine T-Shirts mit Kreuzen drauf zu Hause gelassen, weil ich dachte, das kannst du nicht machen (schmunzelt). Aber das ist ein ganz weltoffenes Land. Kein Witz! Frauen dürfen wählen, die dürfen gewählt werden, obwohl die unter einer Burka stecken. Die Gastarbeiter, die in den Hotels und Krankenhäusern arbeiten, sind alle freundlich. Die Gastarbeiter, die das Stadion bauen, wo jeden Tag Leute sterben– die siehst du nicht. Das wird dir natürlich nicht gezeigt, oder auch die Unterbringungen und so weiter siehst du nicht. Katar könnte eigentlich ein Exempel statuieren. Die haben ja das Geld, die Arbeiter menschenwürdig unterzubringen. Darüber denken die aber gar nicht nach. Der Horizont der Leute ist da nicht so weit. Für die ist das normal, dass Leute so leben und so arbeiten.
Durch diese Diskussion, ob das Land sowas austragen darf, kann sich aber auch was ändern. Das muss man mal als Chance begreifen, dass man was verändern kann durch ständige Kritik. Indem man sie darauf stößt und indem man sie immer wieder dafür kritisiert, könnten sich die Menschenrechte in diesem Land verändern. Eher als z.B. in Ländern wie Saudi Arabien, wo ja keine Sportveranstaltung stattfindet. Also eigentlich schneiden die sich ja ins eigene Fleisch mit diesen Großsportveranstaltungen, weil sie dadurch immer wieder im Fokus stehen. Da wird ja permanent darauf aufmerksam gemacht. Außerdem finde ich es oft sehr merkwürdig, wie hoch hier nur bei bestimmten Ländern die Menschenrechtsfahne hochgehalten wird.