Im Gespräch mit Renkli-Chef Fatih und Dankbar-Chief Toni Stimmen aus der Gastro: „Die Menschen sind durstig nach Wärme, Herzlichkeit und Bar-Runden!“

Im Gespräch mit Fatih, dem „wandelnden Renkli-Oxymoron“ und Toni, Dankbar-Chief, plauderten wir über Entschlossenheit, Mut, Einfallsreichtum und beispielhaften Zusammenhalt in Zeiten von Corona.

Wochen voller Ungewissheit, Improvisation und Selbsterkenntnissen liegen hinter uns – also hinter jedem von uns: Sowohl hinter denen, die seit Corona selbst am Herd für das Wohl ihrer Liebsten sorgen als auch denen, die unsere Gaumen sonst verwöhnen. Unsere Lieblingsköche und -kellner standen während Corona publikumslos vor ihren Weinen, Kuchen und Menükreationen. Auf die existenzielle Frage, wie es weitergeht, gab es für die Szene trotzdem nur eine geschlossene Antwort: Kämpfen! Im Gespräch mit Fatih, dem „wandelnden Renkli-Oxymoron“ und Toni, Dankbar-Chief, plauderten wir über Entschlossenheit, Mut, Einfallsreichtum und beispielhaften Zusammenhalt.

▶ Renkli über den Durst nach Wärme & Herzlichkeit.

© Robert Strehler

Fatih, wie hast du den Lockdown erlebt? 

Wir haben uns relativ schnell dazu entschlossen, unser Schicksal während der Krise selbst in die Hand zu nehmen – also das in die Tat umzusetzen, was sich im Bereich des Möglichen abspielt: ein stabiles Übergangsgeschäft in Form eines Lieferservices. Die fehlende Kompetenz habe ich mir mit den Jungs und Mädels von We Ride Leipzig ins Haus geholt. Rückblickend eine Idee, die ihren Zweck wahnsinnig gut erfüllt hat und eine Zeit, die ich sowohl menschlich als auch wirtschaftlich gut überstanden habe. Auch, wenn die Erfahrung, mit einem größeren Team zusammenzuarbeiten, für mich neu war und natürlich auch Herausforderungen mit sich brachte. 

Welches Resümee ziehst du nach den ersten Wochen der Lockerungen?

Ich muss wirklich sagen, dass wir aktuell nahezu bei altem Niveau sind. Ich spüre – auch Dank des vergrößerten Freisitzes – kaum einen Unterschied zu Februar. Meine 160 Quadratmeter Fläche erlauben mir, unter Berücksichtigung der Maßnahmen, auch indoor weiterzumachen. Ich kann auch mit Abstand sehr gut wirtschaften und die Leute haben da auch Bock drauf. Mein Resümee ist, dass alle Leute durstig nach Wärme, Herzlichkeit und Bar-Runden sind.

Wie geht es jetzt für dich weiter? Hast du konkrete Wünsche?

Ich möchte am liebsten sofort in mein altes Leben zurücktauchen – einfach weil ich den Kontakt zu meiner Community so unglaublich vermisst habe. Ich möchte gerne wieder 110% Energie und Emotionalität in meine Arbeit stecken, wieder Leute sehen, auch wenn die Erfahrung des monetären Parallelgeschäfts schön war. Und hinsichtlich meines Wunsches würde ich gerne Robert Strehler von We Ride Leipzig paraphrasieren. Robert meinte, es wäre schön, wenn  die gesellschaftlichen Themen, die wir vor Corona diskutiert haben – sei es die Flüchtlingsdebatte oder Umweltfragen – nach der Krise nicht nur weiter besprochen, sondern auch mit unseren neuen Erkenntnissen vermischt werden – mit unserer neu erlangten Sensibilität. Denn wir alle haben uns in dieser Extremsituation, in dieser Isolation, auf eine neue, andere Art kennen lernen dürfen.

Dankbar über Wertschätzung & Zusammenhalt.

© Benjamin Diedering

Toni, wie erreichte dich Corona? 

Mir ist vor allem die erste Woche in Erinnerung geblieben. Bis zum letzten Tag, also den 21. März hatten wir geöffnet und dann folgten die Schließungen. Die Anfangszeit habe ich genutzt, um wichtige Behördengänge zu erledigen, war viel spazieren und bei dem schönen Wetter mit dem Rad unterwegs. Bei einer dieser Touren habe ich dann an der Tankstelle angehalten, um mir einen Kaffee zum Mitnehmen zu holen. Und während ich mit Sicherheitsabstand in der Schlange stand, kam die Frage auf: Was machst du hier eigentlich? Wieso holst du dir einen Tankstellenkaffee, wenn dir eines der schönsten Cafés der Stadt gehört? In diesem Moment fasste ich den Entschluss, die nächstbeste Gelegenheit wahrzunehmen, die Dankbar wiederzueröffnen, um einfach wieder das zu tun, was wir können: Kaffee, Croissants, Franzbrötchen und ‘ne Mötts-Limo zu einem Tagesgericht. Einfach, um wieder wir zu sein.

Nebenbei habt ihr euch an verschiedenen Rettungsaktionen beteiligt. Wie kam es dazu?

Ich wollte meinen Fokus so wenig wie möglich auf das was-hätte-sein-können legen, sondern auf die Frage: Was können wir jetzt machen? Und aus dieser positiven Einstellung heraus haben wir uns an weiteren Aktionen beteiligt. Zum Beispiel an der Kuchenaktion „Be al Local Lion“ oder der #wirgemeinsam-Crowdfunding-Kampagne, initiiert durch Tom Geißler aus dem Franz Morish.

Welches Resümee ziehst du nach den ersten Wochen der Lockerungen?

Anfangs haben wir ein Zögern und eine Unsicherheit gegenüber der Situation gespürt, aber das ist dann von Tag zu Tag besser geworden. Spätestens ab Männertag hat es sich für uns wieder relativ normal angefühlt – also in Bezug auf das Miteinander, nicht auf die Umsätze. Die Zahlen vor der Krise strebe ich gerade nicht an. Ich will, was das angeht, nicht in der Vergangenheit leben. Das ist nicht die richtige He-
rangehensweise. Wir müssen jetzt, mehr denn je, jeden Einzelnen, der die Dankbar betritt, wertschätzen. Der Fokus liegt noch stärker auf dem Wohlbefinden, dem Eindruck des Gastes: Fühlt er sich wohl, sicher und gut aufgehoben?

Wie kommst du mit den neuen Regeln zurecht?

Also die Hygieneregeln gehören ja sowieso zu einem gesunden Standard – 8 von 10 Punkten sind Tagesrealität. Durch die neuen Mindestabstände musste ich sechs Tische einbüßen, aber das finde ich nicht schlimm. Es kam sogar positives Feedback, weil man endlich mal „in Ruhe reden“ kann, ohne das der Nachbar mithört. Ich sehe die Probleme an der Stelle eher bei den großen Gastronomen in der Leipziger Innenstadt, die schwer auf die Situation reagieren können, weil sie zu gefangen in ihrem eng-an-eng-Konzept sind.

Wie geht es jetzt für dich weiter?

Wir stehen vor einer große Aufgabe. Und mit wir meine ich die Gesellschaft – weltweit. Im Februar haben alle noch arrogant China belächelt. Da hat keiner daran gedacht, dass wir alle auf dem gleichen Planeten leben. Für die Zukunft wünsche ich mir einen engeren Austausch mit den Nächsten, den Familien, den Freunden und auch innerhalb der Gastronomie. Umsatz sollte nicht immer über allem stehen, also über dem Wohl der Angestellten und auch nicht über dem des Chefs. Mir ist wichtig, dass der Gast merkt, dass in den zwei Monaten etwas Positives passiert ist. Keiner soll mit traurigen Gesichtenr begrüßt werden.
Fordern möchte ich nichts – weder 7% noch 19%. Ich würde mir stattdessen wünschen, dass ein noch größeres Bewusstsein gegenüber den Themen Qualität und Regionalität aufkommt. Corona kann die Chance auf kleinere Speisekarten sein, in denen noch mehr Liebe und Bewusstsein steckt.

 

🌸 Beitrag aus der „Support your Leipzig“ Juni-Ausgabe von urbanite – 

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