Ein Stehldichein mit Anabelle Vorgestellt: Anabelle Stehl

Wir waren mit der Leipziger Autorin und Bloggerin Anabelle Stehl im Gespräch, die gerade ihren zweiten Roman veröffentlicht hat und haben mit ihr über ihre Literatur und romantisierende Vorstellungen über das Bücherschreiben gesprochen.

Literatur hat in Anabelles Leben schon immer eine große Rolle gespielt. Seit sie lesen kann, verschlingt sie Bücher in rauen Mengen und schon als Kind war ihr Spielplatz die Bi­bliothek. Um ihrer Leidenschaft auch beruflich nachzugehen, entschied sie sich nach dem Abi für ein Germanistik-Studium in Leipzig. Heute ist sie Buch-Bloggerin, Influencerin und seit neuestem auch Autorin, die in diesem Monat den zweiten Teil ihrer Debüt-Trilogie veröffentlicht.

© Anabelle Stehl
 

Um ihrem nicht allzu sehr an Literatur interessier­ten Freundeskreis von damals den Fantasy Roman „Der Name des Windes“ von Patrick Rothfuss schmackhaft zu machen, setzte Anabelle sich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion im Februar 2015 an ihren Schreibtisch, verfasste eine Rezension zu dem Buch, erstellte ihren Blog Stehlblueten und war von da an Buch-Bloggerin; damals war sie 21 Jahre alt.

Seitdem hat sich viel getan. Anabelle rezensiert längst nicht mehr nur Bücher, sondern gibt anderweitig vielseitige Buch- und Lifestyle-Tipps oder berichtet online aus ihrem Bloggerinnen-Leben. Mittlerweile ist sie mit Stehlblueten auch auf YouTube, Twitter, Instagram und Facebook unterwegs und versorgt dort ihre mehr als 25.000 Follower:innen mit Content und ist so inzwischen zu einer festen Größe der Buch-Blog-Bubble geworden. Was im Kern als Hilfestellung für lesefaule Bekannte gedacht war, keimte zu einem Sprössling heran und entfaltete im Laufe der vergangenen sechs Jahre eine stattliche (Stehl)Blüte, die viele Leute mit nützlichen Literatur- und Lifestyle-Tipps bestäubt und von deren Früchten Anabelle heute leben kann.

Im November letzten Jahres war es dann soweit: Anabelle veröffentlichte ihren ersten eigenen Roman. Unter dem Titel Breakaway erschien ihr Debüt im LYX Verlag; es ist der erste Band ihrer Away-Trilogie. Seit einigen Wochen erst ist ihr insgesamt drei Bände umfassender und mehr als 1.200 Seiten starker Dreiteiler vollendet. Am 26. März erscheint bereits ihr zweiter Band Fadeaway. Ende Juli folgt dann Runaway – der dritte und letzte Teil. Anabelles Debüt ging regelrecht durch die Decke. Bereits drei Wochen vor der Veröffentlichung im November war ihr Erstlings-Roman vergriffen und landete schließlich auf Platz elf der SPIEGEL Bestsellerliste.

  

„Im Großen und Ganzen kann man das New Adult-Schema als Heilungsprozess bezeichnen“

Anabelles Away-Trilogie gehört zur sogenannten New Adult-Literatur; ein Genre, das seine Wurzeln in den USA hat. Die Stories drehen sich meist um Liebesgeschichten junger Menschen in ihren frühen Zwanzigern, um deren Suche nach sich selbst und um Probleme, die das College-Alter eben so mit sich bringt. Es geht oftmals aber auch um die Aufarbeitung schwieriger Vergangenheiten und letztlich um Selbstfindung. „Im Großen und Ganzen kann man das New Adult-Schema als Heilungsprozess bezeichnen“, erklärt uns Anabelle. Allen New Adult-Büchern gemein ist allerdings, dass sie durchweg in den USA spielen – mit einer Ausnahme. Tatsächlich ist Anabelle die erste Autorin eines großen Publikumsverlages, die die Handlung eines New Adult-Buchs in Deutschland stattfinden lässt. Statt ihre Trilogie an einem College in den USA spielen zu lassen, verlegt sie das Setting ihrer Away-Reihe an die Humboldt-Universität nach Berlin.

Ihr selbst sei es wichtig gewesen, dass ihre eigene Geschichte einen ernsten Kern beinhaltet, so Anabelle. In ihrer Trilogie, die ganz im Stehl, äh Stil, von New Adult konzipiert und geschrieben ist, greift Anabelle deshalb feministische Themen auf und schafft dadurch auch ein politisches Moment in ihrer Literatur.

© Anabelle Stehl
In Anabelles Geschichte geht es um Lia, die diversen Anfeindungen ausgesetzt ist, nachdem sie auf einer Party Sex mit einem Mann hatte. Als sich ihre Kommiliton:innen gegen sie wenden und sie den Campus nicht mehr betreten kann, ohne mitleidige Blicke auf der einen und Beleidigungen so­wie anzügliche Bemerkungen auf der anderen Seite zu hören, bricht für Lia die Hölle auf Erden he­rein. Wochenlang verkriecht sie sich, verpasst ihre Schichten auf der Arbeit und setzt ihre Prüfungen in den Sand. Von dem selbstbewussten, schlagfertigen Mädchen ist kaum noch etwas übrig. Als sie mit Blackout in ihrer letzten Klausur sitzt, packt Lia ihre Sachen und setzt sich in den nächsten Bus nach Berlin. Sie erhofft sich im Trubel der Hauptstadt eine Auszeit von dem Horror an der Uni und wünscht sich nichts sehnlicher, als zu der Person zurückzufinden, die sie vorher war. Mehr wollen wir an dieser Stelle nicht spoilern, also zurück zu Anabelle …

© Anabelle Stehl
Die zündende Idee zu diesem Plot kam ihr während eines Auslandssemesters in Irland. Damals wurde eine 17-Jährige in der Stadt vergewaltigt und, zusätzlich zu der schrecklichen Tatsache Opfer ei-ner Vergewaltigung geworden zu sein, obendrein vor Gericht bloßgestellt. Mehr noch: Das Opfer musste sogar Schuldzuweisungen der Richterin über sich ergehen lassen. Dagegen formierten sich damals Proteste, die sich mit der jungen Frau solidarisierten. Anabelle war dabei, um ein Zeichen gegen Victim blaming, Sexismus und sexuelle Gewalt an Frauen zu setzen. Sie entschied sich daraufhin, diese und ähnliche Ereignisse auf ihre eigene Art und Weise feministisch zu verarbeiten und literarisch aufzugreifen. Seit dem sind zwei Jahre vergangen und Anabelle hat ihr Vorhaben in die Tat umgesetzt. Wer sich jetzt jedoch so ein Autor:innen-Leben immer ganz romantisch ausgemalt hat, wird von Anabelle dieser Illusion beraubt, denn vor allem die letzten Monate waren besonders hart, so die frisch ge­backene Autorin.

„Eine romantische Vorstellung vom Schreiben (…) – das hatte ich nie“

Tagsüber habe ich Vollzeit in einer Marketing-Firma gearbeitet, abends Blog-Kram erledigt und nachts meine Bücher geschrieben, erzählt uns Anabelle. Bücher schreiben kostet eben Zeit, die man erst einmal haben muss. Für das Schreiben ihres dritten Teils Runaway hatte sie nur fünf Wochen. Auf unsere Frage, wann sie geschlafen habe, re­agiert Anabelle mit einem Lächeln, ohne dabei den Eindruck zu machen als habe sie das sonderlich gestresst – vermutlich, weil es nicht nur ein Job, sondern eine Berufung ist und vielleicht auch, weil sie selbst nicht mit einer rosaroten Brille ins Bücherschreiben hineingestolpert ist, wie sie selbst sagt.

Ich habe schon bei der Buchmesse und einem Verlag gearbeitet und habe Spiegel-Bestseller-Autorinnen als Freundinnen, bei denen ich den ganzen Druck und Stress mitbekommen habe. Das hat mich schon vorab abgehärtet. Eine romantische Vorstellung vom Schreiben, wo man ­denkt, man sitzt am Schreibtisch, alles ist toll, man trinkt morgens Kaffee und schreibt dann ein paar Wörter – das hatte ich nie.

Auch wenn Anabelle weniger Zeit hat, seit sie selbst schreibt, ist sie ihren Stehlblueten-Anfängen treu ge­blieben. Sie gibt immer noch Lese-Empfehlungen und rezensiert weiterhin fleißig, „auch wenn es sich manchmal komisch anfühlt, die Bücher von Kolleg:innen zu re­zensieren“, gesteht sie, jetzt, da sie selbst Autorin ist.

© Anabelle Stehl

Erscheinungsdatum Fadeaway: 26.03.2021

Erscheinungsdatum Runaway: 30.07.2021

Übrigens:

Der Blogname „Stehlblueten“ ist eine Wortneuschöpfung aus Anabelles Nachnamen und dem Wort „Stilblüte“. Eine Stilblüte ist ein Fehlgriff in der Wortwahl, der zu ungewollter Komik und Mehrdeutigkeit führt. Wenn man sagt: Anabelle ist eine wahre Konifere ihres Fachs, dann nennt man das eine Stilblüte.

Anabelles Blog findet ihr unter: www.stehlblueten.de