Erlebnisbericht: Containern „Warum müsst ihr im Müll wühlen?“

Zwischen Müll und Mahlzeit – Containern gegen die Lebensmittelverschwendung.

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Wir kennen das: Manchmal verbirgt sich hinter dem, was andere nicht mehr wollen, ein ungeahnter Schatz. Und manchmal ist es sogar eine ganze Mahlzeit und mehr. Rund 20 Millionen Tonnen Lebensmittel werden jährlich in Deutschland weggeschmissen. 

Die Menge, die beim Handel auf dem Müll landet, ist hierbei nicht unerheblich. Das konnten wir selbst erfahren, als wir – endlich über dem Zaun eines Discounters – vor einem vollen Abfall-Container standen … und von der Polizei erwischt wurden … Containern bezeichnet den Akt, vor allem Lebensmittel aus Supermärkten zu entwenden. Containern ist in Deutschland illegal, da Weggeworfenes nach Abfallrecht so lange dem Besitzer gehört, bis der Abfall abgeholt wird. In unserem Fall gehörte nun unsere „Ausbeute“ dem Discounter.
Doch nochmal ganz von vorne: Wir trafen uns vorab mit einem Freund, der bereits viel Container-Erfahrung gesammelt hatte. „Das erste Mal habe ich in Australien containert. Das war vor sechs Jahren. Damals war ich in einer Couchsurfing-Unterkunft untergebracht und die Leute haben mich einfach mal mitgenommen. Es war echt erstaunlich, was da alles im vermeintlichen Müll landete! Wir konnten uns durchgängig allein über den Container-Inhalt ernähren. Obst und Gemüse sind eigentlich immer in Containern zu finden. Es gibt witzigerweise auch fast immer dieses fertig eingepackte Sushi. Klar, die Sachen, die abgelaufen sind, müssen sofort weg. Ebenfalls die 500g Obst- oder Gemüsepackung, in der sich eine einzige Frucht zum Schimmeln begibt. Das ist eigentlich ziemlich absurd!“ Das ist es, wird den Konsumenten damit nämlich die ganze Mündigkeit aberkannt, die Qualität des Produktes selbst zu hinterfragen. Doch so sind hier nunmal die Gesetze und deswegen wird ordentlich weggeworfen. In Frankreich wurde dies bereits geändert: Per Gesetz sind dort Supermärkte ab 400m² verpflichtet, nicht verkaufte Ware kostenlos oder billiger abzugeben. Sollten die Lebensmittel bereits ungenießbar sein, können sie auch zu Tierfutter oder Kompost verarbeitet werden.

„18 Kilogramm Lindt-Schokolade konnte ich containern!“

Mit Tüten, Stirnlampe und Gummihandschuhen zogen wir also los. Man solle mindestens bis zu einer Stunde nach Ladenschluss warten, bevor man in das Container-Gelände eindringt. So standen wir pünktlich 23 Uhr vor dem Supermarkt und mussten erstmal einen hohen Zaun mit Zacken und Stacheldraht überwinden. „Konsum, HIT und Rewe sind gute Spots. Lidl und Aldi haben ihre Container komplett verschlossen und bei Kaufland befinden sie sich im Gebäude.“ Nun darf man beim Begriff „Containern“ keinen Buffet-gewordenen Trailerpark erwarten. In den meisten Fällen findet man zwei Mülltonnen vor – bei großen Supermärkten ungefähr sechs. Diese sind so groß wie die konventionellen größeren Mülltonnen für Plastik, Papier und Co. Kaum drin, zogen wir die Handschuhe über (manchmal kann es nämlich ein wenig „matschig“ werden) und selektieren. „Ob ich das eklig finde? Wieso? Ich habe doch Handschuhe an und wasche zu Hause alle Lebensmittel einfach ab. Diese wachsende Abneigung vor der ästhetischen Norm nicht entsprechenden Lebensmitteln ist ohnehin völliger Quatsch. Der Mensch hat sich ja mittlerweile in eine sterile Scheinwelt verkrochen, die ich absolut nicht verstehen kann“.
Doch zurück: Wieder gab es Sushi, Äpfel, Salat und Bananen. Auch über einige Batzen verpackten Gouda konnten wir uns freuen. „Das ist einfach auch saisonabhängig. Wenn gerade Spargelzeit ist, der Spargel aber die schönste Zeit in der Ladentheke bereits erlebt hat, dann findet man eben etliche Kilo Spargel in den Tonnen. Nach Weihnachten vor zwei Jahren gab‘s ein besonderes Schmankerl. 18 Kilogramm Lindt-Schokolade konnte ich containern.“

„Lebensmitteldiebe erwischt!“

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Weniger Schokolade für uns, dafür etwas mehr Blaulicht. Unser nächtlicher Ausflug wurde wohl bemerkt und mittels Hinweis der Polizei übermittelt. Oder wie es die Bild so schön formulierte: „Lebensmitteldiebe erwischt!“ Aber wie! Knapp zehn Polizisten und zwei Hunde kamen mit zwei Fahrzeugen zum Discounter-Gelände. Alles verhielt sich natürlich friedlich, hatten wir schließlich tatsächlich keine bösen Absichten –doch laut Gesetz bleibt unser Containern eben ein schwerer Einbruch sowie in unserem Fall auch versuchter Diebstahl. Seitens der Polizei stießen wir nur auf Unverständnis. Was auch nachvollziehbar ist, handelt es sich schließlich um eine Gesetzeswidrigkeit.
Doch Fragen wie: „Ihr seid doch Studenten, bekommt ihr etwa kein Bafög oder warum müsst ihr im Müll wühlen?“ zeigen, dass das Verständnis in Sachen Lebensmittelverschwendung immer noch gering ist. Oder, sagen wir es so: Es zeigt, dass sich keinen Meter über die Produktionskette unserer Lebensmittel Gedanken gemacht wird. Alles scheint im Reinen damit zu sein, Lebensmittel wegzuwerfen, solange dies gesetzlich als richtig definiert wird. Natürlich ist es schwer, aus seinen konventionellen Rastern von „richtig“ und „falsch“ herauszutreten und abseits der hiesigen Gesetzmäßigkeit zu denken. Tut man dies jedoch, lautet die Antwort auf die Frage, ob es okay ist, als Supermarkt Lebensmittel wegzuwerfen „Nein!“.
Nach einer Vorladung und einer schriftlichen Stellungnahme wurde das Verfahren zum Glück fallen gelassen. Seit dem Vorfall waren wir nicht mehr containern. Doch das Containern ist auch nicht die Lösung zum Problem unserer Verschwendungsgesellschaft; eher ein Mittel, damit umzugehen. Mit dem Finger auf die Supermärkte zu zeigen, ist auch zu simpel – und zwecklos, richten sie sich, wie erwähnt, auch nur nach den deutschen Gesetzmäßigkeiten.
Das Gleiche gilt für die Gesetze (oder Gesetzgeber) an sich, die sich zwar am Beispiel Frankreichs eine große Scheibe abschneiden können, doch auch nicht der alleinige Sündenbock sind. Der Finger sollte sich vielmehr auf die Konsumenten richten – also einmal umdrehen. Wenn erwartet wird, dass immer alles da ist, wie kann da erwartet werden, dass nicht von allem auch immer etwas weggeschmissen werden muss? Denn wenn jede Gurke mit einer kleinen Macke den Sprung in den Salat nicht wert ist – springt sie am Ende eben in den Container. Uns brauch‘s ja nicht zu jucken, am nächsten Morgen liegen sie pünktlich alle wieder genormt in Reih‘ und Glied. Neben der Melone, dem Kohl, der Nektarine, den Khakis und Litschis und jedweden anderen saisonunabhängigen Lebensmitteln.