25. Wave-Gotik-Treffen 2016 WGT 2016: Abkehr vom Massengeschmack, Konservatismus und Toleranz

WGT-Pressesprecher Cornelius Brach spricht mit uns über das Besondere am Wave-Gotik-Treffen, der Schwarzen Szene, deren Ideale und missverständliche Outfits.

© Gerd Lehmann
Angefangen im Kleinen pilgerten von Jahr zu Jahr immer mehr Anhänger der Schwarzen Szene zum Pfingsttreffen nach Leipzig. Dabei hat das WGT eine bewegte Vergangenheit, die im Jahr 2000 darin gipfelte, dass kein Geld mehr in den Kassen war und Bands und Festivalmitarbeiter vorzeitig ihre Zelte abbrachen. Besucher regelten den Ablauf damals selbst und alles blieb friedlich. Pressesprecher Cornelius Brach spricht mit uns über das Besondere an der Szene und missverständliche Outfits.     

Steckbrief

Start: 1992

Besucher: ca. 20.000

Termin: 2016:13. bis 16. Mai 

Web: www.wave-gotik-treffen.de

Was hat sich in den letzten 25 Jahren beim WGT verändert? 

© Katharina Hahn
Die gravierendsten Veränderungen waren in den ersten Jahren. Das WGT hat ganz klein angefangen und ist in den 90ern überraschend schnell gewachsen. Das Gesamtkonzept, dass es über die ganze Stadt verteilt ist, gibt es ja nun schon länger. Allerdings hat die Gesamtanzahl der Veranstaltungsorte in den letzten Jahren noch mal zugenommen und auch die Zahl der Bands und das kulturelle Programm außerhalb der Szene-Konzerte hat sich vergrößert.


Was ist dein Highlight beim diesjährigen WGT?

Schwierig, aber insgesamt ragt Peter Murphy schon etwas raus, weil er einfach eine Legende ist, der mit seiner Band Bauhaus das Genre des Gothic-Rock sozusagen mit geschaffen und ganz stark geprägt hat. Das ist schon was Besonderes, so jemanden mal wieder dabei zu haben. 
Ansonsten freue ich mich immer über neue Kontakte und neue Menschen, die ich kennenlerne. Wir verstehen das nicht als Festival, sondern, wie der Name schon sagt, als Treffen. Und das ist für viele nicht nur eine hohle Phrase, sondern dass man Gleichgesinnte aus aller Welt hier kennenlernen und auch Leute wiedertreffen kann. Zu sehen, zu schwatzen und ein Bier zu trinken – das macht bei der Atmosphäre schon viel aus. Das steht für viele im Vordergrund, und das ist für mich ein schöner Faktor, den ich über die Jahre wirklich sehr zu schätzen gelernt habe. 

Wie kommt es, dass besonders der Osten Deutschlands bzw. Leipzig so szeneverliebt scheint und der Szene auch so treu bleibt?

Vielleicht liegt es daran, dass – auch was die Veranstaltungen betrifft – gerade hier in Leipzig und Berlin noch ein bisschen mehr los ist. Gar nicht nur in Bezug auf Konzerte und Größe der Veranstaltungen, sondern auch kleinere Partyreihen von Leuten, die eben wirklich aus Idealismus und an Interesse der Szene kleinere Sachen veranstalten. Zum Beispiel gibt es hier in Leipzig so eine kleine Runde, die sich die Blaue Stunde nennt, die alle paar Monate an wechselnden Orten Partys veranstaltet im kleinerem Rahmen und in eher familiärer Atmosphäre. Das kostet meistens keinen Eintritt und die Leute bringen selber was zu trinken und zu essen mit. Das geht auch so ein bisschen zurück zu den Wurzeln der Szene, die ja doch mal unkommerzieller war. Es wird auch anders organisiert – vielleicht weniger professionell wie es heute ist. Die Tendenz geht wieder ein bisschen dahin zurück.
Ich kann mit vorstellen, dass es vielleicht auch ein bisschen daran liegt, dass nach der Wende hier noch mehr Bedarf an dieser Art von Subkultur bestand. Im Westen gab es das schon länger. Im Osten gab es auch Grufties, aber das war natürlich im Vergleich eine sehr kleine Gruppe. Und da galt es, ein bisschen was nachzuholen, was man vorher nicht konnte. Es gab ja nicht mal Tonträger, die musste man schwarz irgendwo herbeiziehen. Es war auch schwierig, sich Klamotten zu fertigen und zu besorgen und sich passend zu kreieren. Das war im Osten Deutschlands deutlich schwieriger. Vielleicht hat es auch ein bisschen da seine Wurzeln.

© Sven Stöckig

Es ist keine reine Jugendkultur mehr – für viele ist das Lebensinhalt und Lebensstil

Was unterscheidet die Schwarze Szene von anderen Subkulturen?

In erster Linie ist es keine kurzlebige Szene. Leute, die einmal den Weg in die Schwarze Szene gefunden haben, bleiben im Normalfall auch ziemlich lange dabei – oft für ihr ganzes Leben. Und beim WGT sieht man das ziemlich augenscheinlich. Es gibt viele Besucher, die ihre Jugend schon lange hinter sich gelassen haben. Es ist also keine reine Jugendkultur mehr. Für viele ist das Lebensinhalt und Lebensstil.

Außerdem ist es eine ziemlich konservative Szene – konservativ im positiven Sinne. Das heißt, dass sich viele Leute noch mit alten Werte, Gedanken und Idealen, die in der Anfangszeit der Szene eine Rolle spielten, verbunden fühlen. 


Was für Ideale sind das?

Zum Beispiel die Abkehr vom Massengeschmack und Massenkonsum. Und dass sich das Ganze nicht auf ein bisschen Outfit und Ausgehen am Wochenende beschränkt – das gibt’s auch, das ist auch nicht schlimm. Aber für viele hängt da auch noch ein bisschen mehr dran, nämlich: die verschiedensten kulturellen Interessen und ein Hang für das zum Teil Abseitige. Und eben auch dieses gewisse Zusammengehörigkeitsgefühl – dass man, obwohl die Szene sehr vielfältig ist, das Gefühl hat, dass es einen Konsens gibt. Viele sagen auch zum WGT, dass es eine Art Familientreffen ist. Sie bezeichnen es als die große schwarze Familie.

Auch was die Musik betrifft: Ganz viel wird auch heute noch auf Partys gespielt, das ca. 20, 30 Jahre alt ist. Es gibt auch noch etliche Leute, die sich noch genauso stylen wie es Ende der 80er oder Anfang der 90er Jahre Mode in der Szene war – diese Old-School-Goth-Schiene. Das ist auch immer noch sehr beliebt.


Findest du, dass das Fotografieren und Flanieren mittlerweile ausartet? 

Es ist allgemein bekannt, dass es gewisse Bereiche gibt, wo das wirklich sehr ausgeprägt ist und man quasi umlagert ist von oftmals auch szenefremden Fotografen.  Es gibt Leute, die sich gerne präsentieren und sich ablichten lassen, die sich zum Teil bewusst auch an diese Orte begeben, zum Beispiel beim Viktorianischen Picknick oder beim agra-Gelände dieser Weg bei den Hallen, der auch als Laufsteg von manchen abschätzig betitelt wird. Da gehen manche halt den halben Tag auf und ab, um fotografiert zu werden, weil sie sich so spektakulär gestylt haben. Aber es gibt auch genügend Orte, die komplett davon verschont bleiben. 

© Sven Stöckig

Das schöne am WGT und der Vielzahl an Veranstaltungsorten ist, dass man immer die Auswahl hat: Will man eine bekannte Band sehen mit großem Rummel in der Halle und vielen Leuten oder mag man eher den gemütlichen Club, wo man vielleicht auch mal eine Band sieht, die man gar nicht kennt und wo dieser Fotografenrummel komplett vorbeigeht.

Kein politisches Podium, für irgendeine Richtung


Innerhalb der Szene werden Strömungen wie z.B. Cybergoth kritisiert. Kannst du das verstehen?

© Julia May
Ja, ein Stück weit kann ich das verstehen. Es gibt so ein paar Bewegungen, wie Cybergoth, die eher bunt und modern daherkommen, die den konservativen Szenegängern und Traditionalisten irgendwie ein Dorn im Auge sind. Die Musik, die damit einhergeht, erinnert stark an Techno – das halten viele für unpassend. Aber wir sind da relativ entspannt, weil unser Credo ist, dass wir wirklich alle Strömungen der Szene beim WGT einbeziehen wollen und sich im Programm auch alle Strömungen wiederfinden sollen – völlig unabhängig davon, ob uns das persönlich gefällt oder nicht. Das WGT versucht ein Abbild der Szene zu sein und alle Szeneinteressen und Strömungen mit einzubauen und zu bedienen. Man muss aber auch sagen, dass bei den meisten Szeneleuten eine große Toleranz hinsichtlich jeglicher optischen Ausprägung herrscht. Es ist erlaubt, was gefällt. Natürlich wird vielleicht hier und da mal gelächelt über ein besonders schräges Outfit. Aber mir ist bis jetzt nie zu Ohren gekommen, dass Leute aggressiv attackiert oder beschimpft wurden. Das Schöne ist, jeder kann sein Ding machen – sei es noch so schräg, morbide oder sexy. Man kann das beim WGT wirklich ausleben und das ist ja auch eine Besonderheit: dass viele auf einer normalen Veranstaltung niemals so rumlaufen würden, weil sie wüssten, dass sie da wahrscheinlich nicht nur belächelt, sondern möglicherweise richtig Ärger bekämen. Die Leute wissen, beim WGT kann man das tragen. Dass man sich ausleben kann, ist schon ein wichtiger Faktor beim WGT. 


Ihr sagt immer, ihr seid unpolitisch. Aber ist das überhaupt möglich? 

Wir verstehen uns als ein reines Kulturfestival, ohne dass wir irgendeine politische Richtung unterstützen oder bedienen wollen. Es schließt natürlich nicht aus, dass Besucher eine politische Meinung vertreten. Das ist ja auch ok. Aber wir wollen kein politisches Podium für irgendeine Richtung sein. Wir achten z.B. auch bei der Bandauswahl darauf, dass keine Band eine explizite politische Aussage trifft. Es gibt natürlich Grenzbereiche, wo man auch diskutieren kann über ein gewisses Outfit oder irgendwelche symbolhaften Texte. Aber an und für sich ist es uns wirklich wichtig, dass jeder seine politische Meinung mit sich tragen kann, solange er andere damit nicht behelligt und sich alles im legalen Rahmen bewegt. 

Wir leben in bewegten Zeiten, aber ich denke, wer mal beim WGT war, dem wird es am Ende auch schwerfallen, uns etwas vorwerfen zu können, weil wir nach allen Seiten sehr offen und tolerant sind und auch ein sehr internationales Publikum haben, das sich hier noch nie behelligt gefühlt hat.  

Wir haben ein gutes Viertel von Besuchern aus dem Ausland, die zum Teil aus aller Welt kommen: nicht nur Europäer, sondern auch Asiaten, Südamerikaner und Israelis. Es ist mir noch nie zu Ohren gekommen, dass es wegen Aussehen oder Herkunft irgendwelche Probleme hier gab. Ich glaube, daran wird sich auch nichts ändern. 


Mit gewisses Outfit meinst du die Uniformen, die oft kritisiert werden?

Genau. Ich gebe zu, dass das für Außenstehende oft missverständlich sein kann. Derjenige, der das trägt, muss natürlich in Kauf nehmen, dass es irgendwelche Assoziationen hervorruft. Und natürlich können wir nicht bei jedem in den Kopf gucken, was da vorgeht. Aber für die allermeisten gilt, dass da keine politische Aussage in irgendeine Richtung hervorgeht, sondern dass es z.T. eine Provokation sein soll, oder auch eine Hingabe ans Martialische. Für einige ist es sogar ein Fetisch. Es gibt nichts, das es nicht gibt. Und solange keiner mit eindeutigen Uniformen und verbotenen Symbolen ankommt, ist es für uns ok. Es obliegt nicht uns, eine Kleiderkontrolle zu machen oder eine bestimmte Sache auszuschließen. 


Stichwort Legida und Ausschreitungen in Connewitz – wird das Auswirkungen auf die Besucherzahl haben?

Den Eindruck habe ich nicht. Leipzig hat sich über die Jahre so einen guten Ruf bei den Besuchern aufgebaut. Die Leute wissen, dass die Leipziger ihren etwas schrägen Gästen eine sehr entspannte, gastfreundliche Atmosphäre bereiten. 

Infos:

Ein beliebte Möglichkeit, auch ohne Gesamtkarte etwas von der besonderen Atmosphäre des Treffens mitzubekommen, ist das Mittelalterspektakel „Celebrant“ mit dem „Wonnemond“ auf dem Dach der Moritzbastei und dem „Heidnischen Dorf “ am Torhaus Dölitz (Helenenstr. 24), von Pfingstfreitag bis -montag, täglich ab 11 Uhr. Für einen geringen Eintrittspreis gibt es einiges zu erleben. Auch für Kinder wird etliches geboten, sie haben bis 12 Jahre sogar freien Eintritt.