Hinten die Toten, vorne das Leben WGT: Das Treffen der Leichenwagenfahrer

Traditionell ist das Treffen der Leichenwagenfahrer ein Programmpunkt des WGT. Wir haben einen von ihnen getroffen.

Traditionell ist das Treffen der Leichenwagenfahrer ein Programmpunkt des WGT. Wir haben einen von ihnen getroffen. Wie es sich anfühlt, quasi mit dem Tod im Nacken unterwegs zu sein, hat er uns erzählt. 

Ein Grüppchen Teenager tuschelt. Der Besucher eines Cafés hebt argwöhnisch die Augenbraue und beobachtet, wie November die Tür seines Ford Consul mit Pollman-Aufbau aufschließt, den Motor startet und dann schließlich mit seinem 5×2-Meter großen Leichenwagen in der Karl-Heine-Straße ausparkt. „Klar gucken die Leute“, freut er sich, „das ist ja auch ein besonders schönes Auto!“ 

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Autofans statt Vampire

Der Motor brummt und summt. Ein bisschen wie ein Rennwagen. Bis zu 150 km/h Stunde schafft der Oldtimer Baujahr 1972. Beschleunigt November, segelt der Leichenwagen nur so dahin, er „schwimmt“, wie Autokenner wohl sagen würden. Auf den Türverrieglern sitzen kleine, silberne Totenköpfe.

Auch wenn November sich seit vielen Jahren der Schwarzen Szene in Leipzig zugehörig fühlt, sind nicht alle Leichenwagenfahrer „Gruftis“. Die Oldie-Liebhaber sind über Facebook gut vernetzt und treffen sich regelmäßig, um sich über ihre Fahrzeuge auszutauschen – zum Beispiel an einer alten Mühle in Thüringen. Auch mit Fans aus dem Ausland tauscht sich November gerne aus. Bis nach Schweden reiste er, um auch dort Leichenwagen-Fans zu treffen. Bunt statt Trauerflor quasi: Ein Fahrer aus NRW zum Beispiel nimmt mit seinem Wagen an Rallyes in der ganzen Welt teil und hat schon über 17.000 Kilometer damit weggefahren. Ein anderer Fahrer verstaut hingegen gerne seine Ausrüstung fürs Heringsangeln dort, wo früher ein Sarg transportiert wurde.
 

Power-Nap in der Leiche 

Dass da mal jemand Totes im Leichenwagen gelegen hat, ist November egal. „Erstens ist das schon lange her“, erklärt der Hearse (zu Deutsch: Leichenwagen)-Fan. Und zweitens macht ihn dieser Gedanke tatsächlich lebensfroh. „Ich denke mir, dass da hinten zwar jemandes Totes liegen soll. Aber ich sitze hier vorne am Lenkrad und bin quicklebendig und sollte das genießen“, ist die ungewöhnliche, aber irgendwie sinnige Erklärung des Grufti-Veteranen. Mit Freunden und Familie ist er öfters auf Reisen. Geht es mal weiter weg, wird über Nacht die Matratze im Hinteren des Wagens ausgebreitet und einfach dort geschlafen. Dann geht es weiter.

Rechtlich gesehen darf sich jeder einen Leichenwagen zulegen. Denn anders als Polizei- oder Feuerwehrfahrzeuge haben diese keinerlei Auflagen nach der „Autorente“ zu erfüllen und dürfen weiterverkauft werden. November empfiehlt einen Blick auf automobile.de und eBay Kleinanzeigen. Preislich liegt da eine schöne Maschine bei 3.000 bis 10.000 Euro. November weiß, wovon er spricht, denn er hat bereits zwei „Leichen“, wie die alten Bestatterfahrzeuge auch genannt werden, zwar nicht im Keller, aber in der Garage. Einmal den Ford Consul. Und dann noch einen „1972er Oldsmobile Vista Cruiser Pilato“, den er aus dritter Hand aus der Schweiz ergattern konnte. Die Instandhaltung der Wagen kostet. „Da spare ich aber an einem Fernseher oder großen Reisen, damit ich mir das leisten kann“, erzählt November. 

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 Blicke im Ikea

Einmal nahm November den Leichenwagen mit zum Ikea-Shopping. Parkte das Transportfahrzeug in der Abholstation und lud dann eine Kommode in den Hinterraum des Wagens. „Die Blicke – unbezahlbar“, freut sich November. Über seinen eigenen Tod hat er sich natürlich auch schon Gedanken gemacht. „Ich möchte von einem Leichenwagenkorso auf dem letzten Weg begleitet werden“, wünscht sich November. Was sonst.

Info: Am WGT-Samstag (8. Juni 2019) um 14 Uhr treffen sich die „Leichen“ am Hauptbahnhof, dann wird in der Kolonne der Parkplatz auf dem Südfriedhof angesteuert. Schaulustige willkommen!