Zu Gast im Café heiter bis wolkig, dem annalinde Streuobstgarten, beim Baupielplatz Wilder Westen und im Hildegarten Wilder Westen: Urbaner Hood-Check auf dem Bürgerbahnhof Plagwitz

Rauf aufs Rad und rein in den Westen. Ich trete in die Pedale, denn heute geht es auf einen meiner neu entdeckten Lieblingsplätze Leipzigs.

Rauf aufs Rad und rein in den Westen. Ich trete in die Pedale, denn heute geht es auf einen meiner neu entdeckten Lieblingsplätze Leipzigs. Über die Gießerstraße biege ich Richtung Chinabrenner ein und stelle das Fahrrad ab. Von den Wänden lachen mir Graffitis zu, ein riesiger roter Pump ziert die Grünfläche und skurrile Metallgebilde stellen mir als Besucher die Frage: Ist das Kunst oder kann das weg?

Eine lange Wall of Fame begleitet meinen Weg, auf dem sich industrielle Backsteingebäude über neue Nutzungsalternativen freuen. Es gibt genügend Platz für Graffitikünstler und talentierte Street Artists. An Tischtennisplatten, Kinderschaukel sowie einer provokant-perfekt angeordneten Birkengruppe vorbei, lande ich schließlich auf der freien Fläche des Bürgerbahnhofs Plagwitz. Ich lasse ich mich von der Riesenschaukel unterm Stahlträger zu einer Runde Barfuß-Schaukelei einladen, bevor es auf die einzelnen Projektflächen geht.  

Café heiter bis wolkig

Als erstes zieht es mich in das Freiluft-Café. Ein bezauberndes Ensemble aus gemütlichen Gartenstühlen, Sitzkissen, Strandliegen und Bänken empfängt mich unter bunten Sonnensegeln, Stoffen und Wimpelgirlanden. Wo zur einen Seite ein großer luftiger Fallschirm seinen Besuchern als Schattenspender dient, schmücken bunte Wiesenblumen in recycelten Gläsern die Tische. Fadenumwobene Fahrradfelgen, die an hölzernen Stangen mit Lichterketten um die Wette taumeln, machen das wilde Ambiente komplett. Alles bewegt sich, dreht sich und ist in Regung. 

Wer gern mit den Kids ins Café kommen möchte, darf sich ebenso herzlichst willkommen fühlen. So warten die angrenzende große Fläche der Streuobstwiese, ein Sandkasten, Wasserplansch-Stellen, Spielzeug und Malkreide sowie der Bauspielplatz nebenan darauf, von den Kleinen entdeckt zu werden. Und sind die Kids dann erst im Bett, wird es vor allem an den Wochenend-Abenden sehr gemütlich bei guter Musik, Feuerschale und selbstgemachten Cocktails.

Kulinarisch korrekt

Herzstück des heiter bis wolkig bildet der liebevoll ausgebaute Bauwagen, in dem ich als Gast frischen Kaffee, kühle Getränke, Eis sowie den einen oder anderen süßen oder herzhaften Snack zum guten Preis bekomme. Was cool ist: Ganz gleich, wofür ich mich entscheide: es ist regionaler Herkunft, aus fairem Anbau, in jedem Fall vegetarisch und/oder vegan und entspringt der Saison.

Schon gewusst: #heiterbiswolkig

Was im Winter 2017 mit einem Bagger im Schnee begann, durfte sich bereits im Mai 2018 über seine Eröffnung freuen. Dabei wurde das Projekt überwiegend aus eigener Kraft und durch zahlreiche ehrenamtliche Stunden gestemmt. Die kreative Kulisse entstand und entsteht bis heute dabei vor allem aus Schenkungen, recycelten und gesponserten Materialien sowie Second-Hand-Anschaffungen. Urgemütlich verleiht aber gerade diese Handmade-Moral dem heiter bis wolkig sein urbanes Flair. Und so wollen sie auch verstanden werden: Als ein Ort, der sich verändern darf und seine Besucher, ganz gleich welchen Alters und welcher Szene, unter freiem Himmel zur Begegnung einlädt. Darum sind im nächsten Jahr unterschiedlichste Veranstaltungen wie Unplugged-Konzerte, Lesungen, Filmabende als auch Kunst und Kulturveranstaltungen geplant. 

annalinde Streuobstgarten

Auf meiner Erkundungstour durch das Freiluftcafé stoße ich auf die übergreifende freie Fläche mit Streuobstbäumen und Obststräuchern. Als wunderschöner Nachbar bildet die Kooperation zwischen Streuobstwiese und Café eine wirklich tolle Symbiose und lädt mich als Besucher dazu ein, den Blick auf die Entwicklung heimischer Obstsorten zu schärfen. Was auffällig ist: Die jungen Pflanzen tragen schon jetzt Birnen und Äpfel an ihren Ästen. Gleichzeitig fällt mein Blick auf einen kleinen Hügel, auf dem drei mehr oder weniger ergiebige Weinreben stehen. Mich interessiert, was auf diesem Bereich des Bürger Bahnhofs passiert, und ich verabrede mich mit Sebastian Pomm von der annalinde gGmbH, um mehr über das Projekt Streuobstwiese zu erfahren. 

Schon gewusst: #streuobstgarten

Als eines der ersten Projekte auf dem Bürgerbahnhof feierte die Streuobstwiese 2015 ihre Eröffnung. Über das Konzept des Gemeinschaftsgartens in der Stadt hinaus, soll die Streuobstwiese dabei weniger als Teil der essbaren Stadt Leipzig zu verstehen sein, als vielmehr als Schau- und Experimentierfläche für den Obstanbau genutzt werden. Als Bildungs- und Kulturort soll es darum gehen, wichtige Aspekte unserer Kulturlandschaft zu zeigen und die natürliche Entwicklung von der Biene bis zum Obst für die Bürger (an)fassbar zu machen. Vor allem alte, regionale Obstsorten stehen hier stark im Fokus. Gleichzeitig geht es darum, darauf aufmerksam zu machen, dass öffentliche Flächen vielmehr auch für essbare, nützliche Pflanzen genutzt werden können, statt für Ziergewächse. 

Und auch für die Zukunft steht vieles auf der Agenda. So ist beispielsweise der Anbau von Hopfen und Kiwi geplant. Und was den Hügel angeht: Dieser befindet sich gerade auf dem Weg, Europas kleinster Weinberg zu werden. Wow! – Ich bin baff! Im Zuge der weiteren Entwicklung bieten sich laut Sebastian Pomm natürlich noch viel mehr Möglichkeiten an, Kita-, Schul- und Jugendgruppen zu integrieren. Beispielsweise wird über eine gemeinsame Obsternte gesprochen oder über gemeinschaftliches Hopfenzupfen und zukünftige Wildkräuter-Seminare nachgedacht. Wer dazu mehr erfahren möchte und mitwirken will, dem empfiehlt der Profi die Termin-Rubrik auf annalinde-leipzig.de oder eine direkte Kontaktanfrage auf der Website. 

Bauspielplatz Wilder Westen

Bunt, wild und im Westen Leipzigs – Als Nachbar von Café und Hildegarten stolpere ich mit meiner Mieps-Brause auf den Bauspielplatz Wilder Westen, der seinem Namen alle Ehre macht. Was verrückt ist: Schon zwei Stunden vor Toröffnung, tummeln sich die Kids mit mir vor dem farbenfrohen „Bretterhaufen“. Dass letzteres nur teilweise stimmt, stelle ich erstaunt auf meinem Rundgang durch die quietschend-fröhliche Rappelbande fest. 

Ich werde entführt in ein Kinderparadies ganz nach dem Motto: Bau dir die Welt, wie sie dir gefällt. Wo an der einen Ecke gelesen, gemalt und gebastelt wird, hämmern an der anderen Ecke zwei Mädchen auf Holzpaletten, um sich geradewegs ihr heutiges Hüttenschloss zu bauen. Das Zentrum bildet ein großer, bunter Klettergarten der Marke Eigenbau aus Holz. Und so sehr ich es versuche, ich finde einfach den Eingang nicht, den die Kids benutzen um hochzukraxeln. Ich gehe weiter und entdecke erst auf den zweiten Blick einen kleinen Jungen rittlings auf der Lehmhütte fläzen, vollgematscht von Kopf bis Fuß. Und es ist ok, weil es eben mehr als ok ist hier! 

Schon gewusst: #bauspielplatz

Was so spielerisch leicht wirkt, basiert auf einem ernstzunehmenden Erfolgsrezept. Nicht nur weil es den Bauspielplatz Wilder Westen schon vor dem Einzug 2015 auf dem Bürgerbahnhof Plagwitz gab, sondern vor allem weil die Idee eines pädagogisch betreuten Spielplatzes seit den 60er Jahren existiert. Was ist anders auf einem solchen Spielplatz?, frage ich mich und staune nicht schlecht bei einem Blick hinter die spielende Kiddie-Kulisse. 

Denn hier geht es um viel mehr als das bloße Herumtollen mit Gleichgesinnten. Hier geht es um eine offene Kinder- und Jugendarbeit, die das soziale Miteinander unter Kindern stärken möchte und einen respektvollen, freundlichen Umgang in den Fokus stellt. Niedrigschwellig als auch gleichberechtigt soll es zugehen und es wird klar: Diskriminierung hat hier keinen Platz. Jeder ist herzlich willkommen. Dazu gehört natürlich auch, dass Regeln eingehalten werden, die jedes Kind via Sicherheitshinweis an die Hand bekommt, bevor die Toberei losgehen kann. 

Also liebe Eltern: Geht unbesorgt euren lahmen Erledigungen nach und lasst eure Kids mal machen. Auf dem Bauspielplatz Wilder Westen kümmern sich echte Pädagogen-Profis um eure Sprösslinge. Und wer weiß: Vielleicht nehmen sie euch auch zu Hause bald den Hammer aus der Hand und zünden das Feuer am Grill. 

Hildegarten

Aus dem Trubel der Minimis hüpfe ich barfuß über den Fahrradweg direkt in den Hildegarten. Hier geht es etwas ruhiger zu und ich falle unter einem großen blauen Himmel in die grüne urbane Oase des Bürgerbahnhofs Plagwitz. Eine umfunktionierte Bahnsteig-Einhausung sowie die riesige Betankungsanlage rangeln zwischen Blumen und Beeten um meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Wow! Wenn das nicht Eisenbahn-Romantik ist, weiß ich auch nicht. 

Ich treffe mich mit Agnes, einer Mitbegründerin des Gemeinschaftsgartens, die mir direkt eine frisch geerntete Tomate in die Hand drückt: „Hier, probier mal!“ Sie schmeckt köstlich süß und ist mal so gar nicht wässrig! Zwischen Bienen und Kräutern geht es auf botanische Erkundungstour und ich erfahre alles rund um das Hildegärtnern. Private kleine Beete tummeln sich hier neben gemeinschaftlich nutzbaren Anbauflächen und einem größeren Erdbeerpflanzen-Bereich von und für Kinder. Es zieht uns in das selbstgebaute Gewächshaus, in dem zwischen hochgewachsenen Tomatenpflanzen rote und gelbe Paprikas baumeln.  

Weiter geht es in Richtung eines großen Insektenhotels, in die urig-charmante Sommerküche und unter das riesige Teil von Betankungsanlage. Als ich Agnes frage, was es damit auf sich hat, lacht sie schelmisch und erzählt, wie dieser im Sommer für die Abkühlung der Mutigen sorgte – denn das Wasser kommt weniger gesprenkelt als vielmehr in einem riesigen Schwall aus dem Kran gerauscht. „Das soll sich noch ändern“, meint sie und lotst mich im nächsten Moment zu einer wilden Kräuterschnecke, von der wir uns neben Oregano, Thymian und Salbei allerlei andere duftende Kräuterblätter klauben um sie uns schnurstracks in die Schnäbel zu stopfen. Hmmm … wirklich toll dieses Bio in freier Natur!

Schon gewusst: #hildegarten

Wer sich selbst zum Gärtnern berufen fühlt oder auch nur mal reinschauen möchte, darf sich herzlich eingeladen fühlen. Ob Ausflügler, Nachbar oder ambitionierte Hobbygärtner – Jeder ist willkommen, um unter dem freien Himmel mitzugärtnern. Nicht zuletzt ist der Ort aber auch für jeden da, der sich einfach nur ein bisschen im Strandkorb entspannen oder sich auf der Hollywoodschaukel von anderen Gärtnern inspirieren lassen möchte. Die ungezwungene nachbarschaftliche Begegnung in einer offenen Gartenoase der Stadt Leipzig ist das Ziel. Meint: Abhängen ist hier total ok und wird sogar ausdrücklich von den Hildegärtnern gewünscht.    

Tretet in Kontakt! 

Das ist das Bauchgefühl, mit dem ich an diesem Tag den Bürgerbahnhof Plagwitz verlasse. Als Ort der nachbarschaftlichen Begegnung und mit dem ausdrücklichen Wunsch, eine frei nutzbare Bürgerfläche zu schaffen, bin ich überwältigt von so viel Freundlichkeit, nachhaltigem Gedankengut und kreativem Engagement. Was 2009 im Rahmen der Initiative Bürgerbahnhof Plagwitz (IBBP) gemeinsam mit Anwohnern, Vereinen und Unternehmen mit einer Vision begonnen hat, kommt neun Jahre später zu seiner ganzen Blüte. So verzeichnet vor allem das Jahr 2018 einen enormen Besucheranstieg. 

Hier lässt sich Entwicklung hautnah miterleben und die Verwandlung eines ehemaligen Güterbahnhofs zu einem lebendigen Teil des Stadtraums spüren. Wer sich inspirieren lassen möchte, findet die komplette Auflistung der angesiedelten Projekte auf der Homepage buergerbahnhof-plagwitz.de oder besucht die einzelnen Webseiten wie die der kiwest.org 

Was steht an?

Bevor der Bürgerbahnhof Platzwitz in den Winterschlaf fällt und die meisten Tore von November bis Februar schließt, darf die Saison nochmal ordentlich ausgefeiert werden:

• 20.10.: Saisonausklang des heiter bis wolkig mit Musik, wilden Spielen, kreativen Kleinigkeiten und Lagerfeuer

• 27.10.: Westbesuch am Nordkopf des Bürgerbahnhofs

• 27.10.: Waldtag Bauspielplatz

• 31.10.: Halloween auf dem Bauspielplatz: kommt gern verkleidet

Mehr Infos im Web: Alle Projekte findet ihr auch unter buergerbahnhof-plagwitz.de