Wie es ist, ein anderer zu sein Buchrezension: Freudenberg

Nach mehreren Lyrikbänden ist im Frühjahr dieses Jahres mit „Freudenberg“ der erste Roman von Carl-Christian Elze erschienen. Ein spannendes und berührendes Buch, das es schafft, mit einer ausgefeilten Sprache die Stimmung und Gefühlslagen der Zeit des Erwachsenwerdens zu treffen.

© Manja Reinhardt
Das Buch: „Freudenberg“

Carl-Christian Elze wurde 1974 in Berlin geboren und verbrachte seine Kindheit in Leipzig, in der Stadt, wo sein Vater als Tierarzt im Zoo arbeitete. Später studierte er Medizin, wechselte dann zu Biologie und Germanistik und war Student am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Elze lebt heute in Leipzig und ist Mitbetreiber der Lesereihe „niemerlang“, die im Café Tunichtgut in der Kolonnadenstraße beheimatet ist.

Nun ist sein Romandebüt in einer optisch und haptisch sehr ansprechenden Aufmachung in der Edition Azur des Verlages Voland & Quist erschienen. Der Ursprung des Plots liegt mehrere Jahre zurück. Vom ersten Teil des Textes entstand eine Rohfassung, den Elze jetzt überarbeitet und zum Roman vollendet hat.

Ich versus ich

Der Inhalt des Buches ist schnell erzählt: Der 17-jährige Freudenberg fährt mit seinen Eltern an die polnische Ostsee in den Urlaub. Der Vater ist dominant und regelt die Familienangelegenheiten, die Mutter ist zurückhaltend und Freudenberg selbst ist ruhig und introvertiert. Er spricht nur gezwungenermaßen und fühlt sich stets fremd in seiner eigenen Welt. Bei einem Spaziergang entlang der Steilküste findet er an einem verlassenen Strandabschnitt die Leiche eines polnischen Jungen. Da er ihm sehr ähnlich sieht, nutzt er die Chance, seinen eigenen Tod zu inszenieren, indem er die Identitäten tauscht. Doch schon bald darauf kehrt er in die Kleinstadt zu seinen Eltern zurück. Dies geschieht ausgerechnet am Tag seiner Beerdigung.

© Sascha Kokot
Der Autor: Carl-Christian Elze

Eine spannende Romankomposition

Der Roman schafft es, den oder die Lesende schon nach wenigen Zeilen in seinen Bann zu ziehen. Man möchte wissen, wie es weitergeht. Schnellleser:innen schaffen das Buch sicher an einem Tag, denn sie werden es nicht weg­legen wollen. Dieser Roman ist ein Pageturner. Das liegt nicht zuletzt am Rhythmus und an der Melodie des Textes. Er ist ausgefeilt und gut lesbar. Jedes Wort hat genau seine Stelle gefunden. Und hier hört man auch den Lyriker Elze – der Klang der Worte hat eine große Bedeutung. Ein Beispiel für das Spiel mit der Sprache gibt es gleich am Anfang des Buches: Freudenberg sitzt im Auto auf der Fahrt nach Polen und übt mithilfe von Eselsbrücken und unterschiedlichen Betonungen die Aussprache des Ortes Międzywodzie. 

Ins Leben tauchen

Elze hat mit Freudenberg einen fulminanten Coming-of-Age-Roman geschrieben. Ein aufwühlendes Buch, dass die Leser:innen bewegt. Man kann Freudenberg so schnell nicht vergessen. Freudenberg selbst, der nach außen stumpf und zynisch wirkt, ist doch ein emphatischer und sensibler Mensch. Wir erleben ihn mitten in der unsicheren Zeit des Erwachsenwerdens. Und genau in dieser Situation scheint es für ihn eine einmalige Chance zu geben.

Hat nicht jeder schon einmal davon geträumt, in ein anderes Leben zu tauchen, dem eigenen Leben zu entfliehen und aus der mehr oder weniger vorbestimmten Entwicklung auszubrechen? Freudenberg hat die Chance dazu. Aber wie ist es dann im anderen Leben, zumal, wenn man seinen eigenen Tod inszeniert hat? Das Buch dreht sich auch um die Liebe der Familie, die trotz aller Eigenheiten der Protagonist:innen immer da ist. Es stellt sich unterschwellig die Frage: Was hält Familien zusammen und was treibt sie auseinander? Es sind Fragen, die bewegen – in einem Buch, das man auf jeden Fall gelesen haben sollte.

„Freudenberg“
Carl-Christian Elze
Voland & Quist
176 Seiten | 20 Euro