Reggae hat großen Schaden genommen Gentleman im Interview

Gentleman kommt mit seinem neuen Album im November nach Leipzig. Im Interview verriet er, ob Reggae immer noch das Image von Hasspredigermusik innehat.

Gentleman kommt mit seinem neuen Album „New Day Dawn“ im November 2013 nach Leipzig. Vorab verriet er urbanite, warum Max Herre „Cojones“ hat, ob Reggae immer noch das Image von Hasspredigermusik innehat und worauf wir uns musikalisch made in Jamaica freuen können.

© Pascal Buenning

Du sagst, „New Day Dawn“ ist dein persönlichstes Album. Warum?
Ja, also erstmal sage ich das ja bei jedem Album (lacht). Aber ich habe mich weiterentwickelt, auch was den musikalischen Prozess angeht, bin ich gereift. Das ist das erste Album, was ich selber produziert habe, es ist auch das erste Album auf dem keine Features sind. Das war jetzt keine bewusste Entscheidung, sondern es hat sich so ergeben. Ich wusste auch schon im Anfangsstadium genau, wohin die Reise geht.

Bei deinem neuen Album regiert vor allem der Roots Reggae. Gibt’s einen Grund dafür?
Ich finde es immer witzig, wie weit die Meinungen auseinander gehen (lacht). Bei meinem letzten Interview wurde ich gefragt, warum das Album jetzt ein bisschen Dancehall-lastiger ist als das letzte. Ich finde es immer gut, wenn man mich nicht so in eine Schublade stecken kann. Ich mag einfach Reggae, und Reggae ist Roots und Dancehall. Aber ich weiß, was du meinst. Ich glaube, dass die Roots-Stücke, die auf dem Album sind, kompromissloser, traditioneller und handgemachter sind. Ich mache immer das, worauf ich Bock habe. Und ich folge meiner inneren Stimme und bin auch manchmal überrascht darüber, wo die mich hinführt. Aber auch das ist keine bewusste Entscheidung, sondern ich muss Musik machen, die ich fühlen kann. Und dann kommt das halt dabei raus. 

Du sagst, man muss es immer wieder fühlen. Kannst du dir erklären, warum demnach z.B. Max Herre und Jan Delay Hip Hop nicht mehr fühlen?

Die haben sich von Anfang an nicht in eine Schublade stecken lassen. Gerade Max, der war schon immer auch Singer/Songwriter, auch zu Freundeskreis-Zeiten. Er hat immer auch gerne Soul gemacht, obwohl er auf Hip Hop stand. Und wenn ich jetzt auch das Gefühl hätte, ich will ein Rock- oder Punkalbum machen, dann wird es so sein. Aber bis jetzt habe ich immer Reggae gefühlt. Ich glaube, das kann man selber auch gar nicht steuern. Max und Jan sind ehrlich zu sich selbst. Und schwimmen dann auch gegen den Strom: in dem Moment, wo Max mit Hip Hop mega erfolgreich war, ein Singer/Songwriter-Album zu machen – das hat einfach Eier!

 

„Das ganze Genre musste leiden, nur weil so ein paar Idioten meinten, sie müssten Minderheiten dissen!“

Du distanzierst dich von homophoben und frauenfeindlichen Texten deiner Reggae- und Dancehall-Kollegen. Hat sich bei der Problematik etwas getan?
Ja, absolut. Erst einmal bin ich ja froh, dass es diese riesige Diskussion vor drei Jahren zum Glück auch gegeben hat. Denn die hat dazu geführt, dass in den letzten Jahren so gut wie keine homophoben Texte in Jamaica mehr veröffentlicht wurden. Leider ist Homophobie immer noch verbreitet in Jamaica, aber auf musikalischer Ebene hat es auf jeden Fall eine Besserung gegeben – auch wenn sie zu langsam passiert. Leider ist das ganz tief verankert, so wie in ganz vielen Ländern auch. Und es ist einfach schwierig, den Hass aus den Leuten herauszukriegen.

Merkst du diese Veränderung auch kulturell?
Ja, es gibt immer mehr Zeichen. Mittlerweile haben auch mehr den Mut, sich zu bekennen und das erfordert es auch immer noch in Jamaica. Bei der riesigen Diskussion 2010 habe ich auch versucht – was mir nicht ganz gelungen ist – die Musik zu verteidigen und nicht alle über einen Kamm zu scheren. Denn plötzlich musste auch das ganze Genre drunter leiden, weil so ein paar Idioten meinten, sie müssten Minderheiten dissen – dadurch hat Reggae so einen großen Schaden genommen, dass es auf einmal nur noch Hassprediger-Musik war – auch von Künstlern, die gar keine homophoben Texte gemacht haben.

Hat Deutschland noch eine falsche Rezeption von Reggae?
Ich glaube, irgendwann sind beide Seiten ein bisschen ermüdet. Wir sind auf einem guten Weg. Es gibt ganz viele neue Künstler, die frischen 

© Pascal Buenning
Wind reinbringen. Ich denke auch, das Image geht wieder in eine andere Richtung: es gibt wieder mehr handgemachte Musik und mehr Bands. Und auch die Inhalte gehen wieder mehr in Richtung „conscious“.

Welchen Künstler magst du derzeit besonders?
Im Moment gibt’s in Jamaica einen Künstler, der heißt Chronixx, der macht gerade alles platt und ist total frisch unterwegs – ein ganz junger Typ. Tarrus Riley finde ich unglaublich gut, Busy Signal – es gibt einfach total viel gute Musik. Ich entdecke aber auch viel Neues für mich, das es eigentlich schon lange gab. Ich liebe z.B. die Motown-Zeit, mag Soul, ich mag Musik mit Ecken, Kanten und Leidenschaft.

Kannst du einen Trend auf Jamaica erkennen?
Chronixx – das ist ein Künstler, der noch so einiges von sich hören lassen wird. Der hat irgendwie das Gesamtpaket – unglaublich tolle Texte, tolle Melodien. Ich glaube, das ist im Moment das nächste Ding. Aber es gibt so viele junge talentierte Künstler, die aufstreben. Es ist eine gute Zeit!

Was verbindest du mit Leipzig?
Die „Far East Band“ kam ja zum Großteil aus Leipzig. Ich mag Leipzig und fühle mich da wohl. Auch die Leute sind sehr angenehm – ich habe immer gute Gespräche dort gehabt. Ich habe auch gehört, es sei das bessere Berlin und ich glaube, ich weiß, was damit gemeint ist. Ich habe das Gefühl, da passiert gerade viel.