"Bekämpft wird hier erst mal alles" Großes Interview mit FC Inter Leipzig-Trainer Heiner Backhaus

Heiner Backhaus ist Trainer des 1. FC International Leipzig. Im Interview findet er klare Worte über den Leipziger Fußball und warum ein neuer Verein gegründet werden musste.

Heiner Backhaus war Profifußballer und Weltenbummler. Er spielte u.a. in Griechenland, Australien, Hongkong, Saudi Arabien, Malta, Vietnam … Heute ist der 32-Jährige angekommen: in der Heldenstadt als Trainer des im letzten Jahr gegründeten Vereins 1. FC International Leipzig. Im Interview findet er klare Worte über den Leipziger Fußball, warum ein neuer Verein gegründet werden musste und erklärt, wohin es mit dem FC Inter gehen soll.  

© 1. FC International Leipzig Logo

Wie kommt es, dass du in so unglaublich vielen Ländern und Vereinen gespielt hast?
Das fängt im Kindesalter an: Entweder du hast eine starke familiäre Verbindung und bleibst dein Leben lang zu Hause, oder du hast es halt nicht so einfach und warst als Kind schon gezwungenermaßen ein Einzelgänger. Und ich habe mich woanders oft wohler gefühlt als zu Hause. Dazu kam dann noch, dass ich als Spieler das Glück irgendwo außerhalb suchen wollte. Ich dachte, wenn es mir hier nicht gut geht, muss es ja woanders besser sein. Außerdem wollte ich unbedingt was Neues kennenlernen, was Besseres, als das was ich zu Hause hatte. 

Ist es als Fußballprofi einfacher im Ausland?
Nein, ganz im Gegenteil. Im Ausland wirst du daran gemessen, wie du Fußball spielst. Du kannst im ersten Spiel drei Tore machen, dann hast du aber nur eine Galgenfrist. Wenn du drei Wochen lang aber kein Tor schießt, dann bist du wieder ganz schnell zu Hause. Das Leben im Ausland als Deutscher ist viel, viel härter als das Leben als Ausländer in Deutschland. Hier bist du kranken- und sozialversichert, hier hast du einen Integrationsbeauftragten im Verein, hier hast du einen Berater, der sich um dich kümmert. Irgendwer ist für dich immer da. Im Ausland landest du irgendwo mit der Zahnbürste und Fußballschuhen und musst dich durchschlagen. Und diese Erfahrung ist Wahnsinn. Es nimmt einen auch diese Angst. Wenn du in Deutschland arbeitslos bist, denkt man sich: Um Gottes Willen, ich muss einen lückenlosen Lebenslauf haben. Aber das ist egal! Das Leben im Ausland ist eher ein Überleben. Auch das Thema Werte: In Griechenland sind die Leute froh, dass sie nicht zum Arzt müssen, wir regen uns darüber auf, dass wir keine Krankenversicherung haben oder dass der Arztbesuch 10€ kostet. Deutschland muss lernen, sich selbst zu lieben. Das ist auch die größte Erfahrung, die ich im Ausland gemacht habe. Ich finde, wir machen uns das Leben in Deutschland unnötig schwer. Wir sollten viel mehr zum Ziel hinleben und nicht immer nur in Paragrafen und Prinzipien.

Warum bist du dann noch hier?
Ich fühle mich in Leipzig einfach wohl, bin hier angekommen und endlich sesshaft geworden nach den letzten 15 Jahren ohne richtiges Zuhause.

© Geli Megyesi
Ich habe durch den FC Inter eine Lebensaufgabe, die mich erfüllt und für die ich jeden Tag 12 Stunden arbeite. Endlich sind die größten Steine aus dem Weg geräumt und der Verein kann sich gesund und in Ruhe entwickeln, so dass ich auch mal wieder in den Genuss komme, die Schönheit unserer Stadt zu genießen.

Warum musste das in einem neuen Verein geschehen und nicht in einen bereits bestehenden?
Was viele nicht wissen, im April letzten Jahres hatte ich einen Termin beim BSG-Chemie-Präsidenten Frank Kühne, um ihm mein sportliches und integratives Nachwuchskonzept vorstelle. Kurzum, er hat nicht mal abgesagt. Obwohl Chemie damals keinen Trainer, Co-Trainer und sportlichen Leiter hatte sowie 9 Punkte Rückstand aufs rettende Ufer in der Landesliga. Das war für uns alle damals unverständlich, und Grund genug über einen komplett neuen Verein nachzudenken, in dem solche persönlichen Dinge keinen Platz haben und es immer nur um die Sache an sich geht.
Letztendlich kann man sich aber für dieses ignorante Verhalten im Nachhinein nur bedanken, weil es einem die Augen öffnet, dass man selbst Verantwortung übernehmen muss.
Wir haben alles nach bestem Wissen und Gewissen selber aufgebaut. Natürlich weiß ich am besten, dass unsere Außendarstellung amateurhaft ist. Unsere Website ohne Inhalte ist eine Katastrophe (lacht), aber dafür war eben noch keine Zeit. Wichtiger ist, dass wir intern komplett sauber arbeiten, gerade was Buchhaltung etc. angeht – gerade in Deutschland (lacht).

Wie siehst du den Leipziger Fußball?
Sehr interessant! Ich habe noch nie eine Stadt mit derart vielen Nörglern und Experten gesehen wie hier. Ich kenne keine Personalie, die nicht mit „Ach der …“ beleidigt wird. Aber das macht es doch gerade aus, RB Leipzig hat es doch bewiesen. Erst ignorieren sie dich, dann bekämpfen sie dich, dann lieben sie dich. Aber bekämpft wird hier grundsätzlich alles, weil es am einfachsten geht. Frag doch mal die Leute, die seit fünf Jahren „Scheiß Red Bull“ schreien, wofür sie eigentlich sind?! Viele von denen stehen bei Zweitligaspielen hinterm RB-Tor in der Kurve. So ist es und so wird es auch immer sein.

Der ehemalige RB-Spieler Christos Papadimitriou spielt bei euch. Er galt als großes Talent, als er nach Deutschland kam. Was passiert nun mit ihm in der Sachsenliga? 
Christos und ich kennen uns seit 2012, aus unserer gemeinsamen Zeit bei AEK Athen. Ich war dort Co-Trainer von Ewald Lienen und Christos in der A-Jugend. Der Junge ist für mich wie ein Sohn. Ich habe ihn im Sommer 2013 zu RB Leipzig gebracht und war sehr enttäuscht, dass man ihm nie wirklich eine Chance gegeben hat. Papa läuft die 30 m in 3,7 s und kann kicken ohne Ende, braucht aber das Vertrauen des Trainers und viel Zuspruch.
Natürlich ist er heute noch kein Spieler für die 2. Liga, aber mit 19 Jahren sind das die wenigsten. Ich habe ihn jetzt erstmal zu mir geholt, damit er sein Selbstvertrauen und Spielpraxis zurückbekommt. Auch in der Landesliga kann er sich weiterentwickeln, um dann mit breiter Brust den richtigen Schritt zurück in den Profifußball zu machen. Werder Bremen hat ihn (und meinen Japaner Hayato) zum Test eingeladen – das spricht für ihn und seinen Schritt zum FC Inter.

Wo will Inter Leipzig hin?
Wir stehen am Anfang und schätzen unseren Verein sehr realistisch ein. Wir haben nur einen Sportplatz zur Hauptpacht, noch leben wir in Containern, mit Wasser aus dem Tank und Notstrom aus einem Dieselaggregat.
Visionen zu haben ist was Schönes, aber in meinen Augen eine Krankheit. Ich bin Realist und kämpfe mich erstmal strukturell durch alle Herausforderungen. Das ist erstmal das Thema. Wir haben natürlich sportlich eine riesen Serie, die Mannschaft gibt Gas ohne Ende. Aber die Strukturen sind viel wichtiger. In unserer D-Jugend z.B. haben wir im Schnitt vier neue Anmeldungen pro Woche, bei unserer spielenden Integration an der Eisenbahnstraße freitags 16 Uhr sind 30 Kinder und mehr anzutreffen. Wir brauchen Platz und Manpower! Ziele sind nicht in Ligazugehörigkeiten zu definieren. Inter Leipzig wird erst dann Liga-Ziele ausrufen, wenn alles im Nachwuchs steht. Auch die Qualität – denn unser Konzept besagt, dass wir in 5 bis 7 Jahren keine externen Transfers machen wollen und alles aus der Jugend ziehen. Doch dafür braucht es Top-Nachwuchstrainer, die unsere Spielphilosophie vermitteln, viel Platz und das Wichtigste: Geduld.

Also kannst du dir vorstellen, die nächsten 20 Jahre hier zu bleiben?
Ja, warum denn nicht? Ich lebe hier meinen Traum, einen unbelasteten, neutralen und integrativen Fußballclub zu leiten. Es ist für mich keine Arbeit, was ich mache, ich vergesse alles drumherum. Die Spieler der 1. Mannschaft sind meine Freunde, helfen mir beim Aufbau der Jugend, packen beim Stadionbau mit an, integrieren Kids, denen es nicht so gut geht. Jeder kann seine Ideen einbringen und so sein wie er ist.
Und unser Baby wächst und wächst. Jeder kann es sehen und fühlen, deswegen gibt’s für mich und meine Jungs gar nichts anderes.