Techno für den Weltfrieden Interview: Dr. Motte

Matthias Roeingh alias Dr. Motte ist ein Techno-Urgestein. Vor mehr als 30 Jahren hat der inzwischen 61-jährige die Loveparade in Berlin gegründet und noch immer legt er mit Leidenschaft auf. Ein Gespräch über Technokultur, Kapitalismus und die Vision einer besseren Welt.

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Techno-Legende: Dr. Motte

Party statt Pandemie?

Es ist Frühling, die Pandemie auf dem Rückzug, die Veranstaltungen gehen wieder los. Wie ergeht es Ihnen in dieser bewegten Zeit?

Ich habe im Augenblick wieder jedes Wochenende zu tun, aber es ist auch so, dass mir und vielen anderen in den letzten zwei Jahren etwas verloren gegangen ist, nämlich der unmittelbare Kontakt zu den Leuten. Durch das permanente Weggesperrtsein, die ständige Angst, das Fehlen von Veranstaltungen, Festivals, Konzerten und das irreführende Social-Distancing-Mantra der Politik hatten wir alle ein wenig Depressionen. Es ist für mich schwierig geworden, mich jetzt wieder bei Veranstaltungen total gehen zu lassen. Das ist gefühlt so, als hätte ich es noch nie gemacht. Aber nichtsdestotrotz freue ich mich auf die Pigmentstörung beispielsweise sehr!

Im Zuge der diesjährigen Neuauflage der Love Parade als „Rave the Planet Parade“ fordern Sie, dass Techno zum UNESCO-Kultur­erbe ernannt werden soll. Wie ist da der Stand der Dinge?

Wir haben uns zwei Jahre damit befasst und alle Anträge nach bestem Gewissen ausgefüllt, auf den weiteren Verlauf haben wir keinen Einfluss mehr. Im Gespräch zeigte die UNESCO sich schon mal positiv gestimmt gegenüber der Anerkennung moderner, urbaner Jugendkultur. Es wird dann alle zwei Jahre bekannt gegeben, welche immateriellen Güter in die Liste aufgenommen werden. Wir bleiben auf jeden Fall dran!

Wie empfinden Sie die Entwicklung der Technoszene im Laufe der Zeit?

Natürlich hat sich die Technokultur weiterentwickelt, aber das ist auch gut so, denn Stillstand ist immer auch Untergang, und wir wollen ja Fortschritt! Und da scheint mir das Internet manchmal als Hindernis, da es nur noch um Marketing geht, und worum sollte es eigentlich gehen? Um das Miteinander-Musik-Erleben. Ich persönlich kann das mit dem Marketing nicht, ich will spielen, ich will für die Leute da sein und, dass wir eine gute Zeit miteinander haben können. Und dass wir den Frieden, den wir darin finden, mit in die Gesellschaft nehmen.

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Matthias Roeingh alias Dr. Motte: In düsteren Kellern fühlt er sich heimisch

Mehr als 30 Jahre Dr. Motte

Im Leipziger Pandemiewinter entstanden kleine Kollektive, die illegale Raves in verlassenen Industriegebäuden organisierten. Erinnert Sie das an Ihre Anfangszeit und, wenn ja, haben Sie da vielleicht eine Anekdote?

Als die Mauer in Berlin noch stand, aber man schon nach Ostberlin rein konnte, war ich als DJ in das Kunsthaus Tacheles in der Oran­ienburgerstraße eingeladen, das direkt von Künstlern besetzt worden war, und ich habe dort in dieser Ruine dann 1990 bereits Techno gespielt. Das war direkt ein voller Erfolg. Wir hatten ja zum Glück diesen Plattenladen „Hard Wax“, und das war für mich das Paradies. Deswegen konnte man superaktuelle, innovative Musik spielen. Wir wollten diese musikalische Erfüllung. Es war ein Gegengewicht zu diesem ganzen Radiokommerz und einfach das Allerbeste.

Heutzutage ist die Clubkultur recht reguliert, „Illegale“ werden regelmäßig aufgelöst. Wie ging das früher vonstatten?

Wir haben damals einfach gemacht! Die Situation war ja damals, dass wir ’ne Regierung hatten, die am Ende mit sich selber zu tun hatte. Die mussten erst mal Ost und West zusammenkriegen, und dann ging da ganz viel. Ich habe auch meine Kritikpunkte, wie es damals gelaufen ist, aber es bestand zumindest die Möglichkeit, laut zu sein, und niemanden hat es interessiert.

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Nicht nur Party: Techno-DJ mit einer starken Vision

Techno mit Vision

Sie hatten schon immer eine starke Vision von Techno als Instrument auf dem Weg zu einer gerechten und friedlichen Welt. Erkennen Sie Ihre ursprüngliche Vision noch wieder in der Technoszene, wie sie sich heute darstellt?

Das, was man ja beobachtet, ist, dass die Musik die Menschen zusammenbringt, und alle wollen im Prinzip das Gleiche. Wir wollen Love, Peace und Respect. Diversität! Wir haben hier eine neue universelle Sprache gefunden, die nicht mit Worten, sondern über Musik funktioniert. Die Menschen wollen tanzen, das ist was ganz Natürliches. Und die Mehrheit will ein friedliches Zusammenkommen. Das wollen wir auch am 9. Juli bei der „Rave the Planet Parade“ zeigen. Wir wollen die Musik, die Harmonie, die Liebe fühlen. Wir wollen für eine bessere Welt tanzen. Das Besondere an dieser Parade ist, sie ist offen zugänglich für alle, da gibts keine Türsteher. Deswegen auch der Name „Rave the Planet“ für die gemeinnützige GmbH und die Parade unter dem Motto „Together again“. Irgendwann werden die Menschen dann erkennen, wir sind alle Teil dieser Familie, die Familie der Menschen, und vielleicht wird dadurch dann Weltfrieden entstehen. Wir werden uns nicht mehr bekämpfen, kein Geld mehr brauchen, und werden alles miteinander teilen. Was wir jetzt haben, ist das komplette Gegenteil, das ist ein Untergang, den wir nicht wollen.

Eine starke Vision. Dazu noch letzte Worte?

Ich habe noch eine Frage an alle: Wie soll die Zukunft auf diesem Planeten aussehen? Das sollte sich jeder Einzelne mal ausmalen. Ich erinnere mich da immer an John Lennons Lied „Imagine“, denn das ist eigentlich meine Hymne. Jeder, der das unterstützen will, findet alle Informationen unter www.ravetheplanet.com. Da gibt es auch Merchandise, da ist immer auch ’ne Spende mit dabei, oder man folgt uns auf den gängigen Social-Media-Plattformen. Dankeschön an alle! Vergesst nicht, es geht dabei nicht um mich, sondern um die Musikkultur!

Dr. Motte tritt am 11. Juni bei der Pigmentstörung in Geringswalde auf.