Jorge González im Interview Der Kubaner auf High Heels und sein selbstgeschaffenes Exil

Jorge González fiel als Catwalk-Coach in Germany’s Next Topmodel vor allem durch seine Herzlichkeit und seinem unnachahmlichen Akzent auf. Der 45-Jährige verriet urbanite, wie es zu der eher ungewöhnlichen Liebe zu hochhackigen Schuhen kam, warum es nicht einfach war, in Kuba als Homosexueller aufzuwachsen und welche typisch deutschen Eigenschaften er sich mittlerweile angewöhnt hat.

Jorge González fiel als Catwalk-Coach in Germany’s Next Topmodel vor allem durch seine Herzlichkeit und seinem unnachahmlichen Akzent auf. Nun hat der sympathische Kubaner, der auf High Heels eleganter läuft als Gisele Bündchen, sein erstes Buch mit dem nicht ganz so überraschenden Titel „Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens“ auf der Leipziger Buchmesse präsentiert und war Stargast der LitPop. Der 45-Jährige verriet urbanite, wie es zu der eher ungewöhnlichen Liebe zu hochhackigen Schuhen kam, warum es nicht einfach war, in Kuba als Homosexueller aufzuwachsen und welche typisch deutschen Eigenschaften er sich mittlerweile angewöhnt hat.

Wie, warum und wann bist du dazu gekommen, High Heels anzuziehen?
Als ich fünf oder sechs Jahre alt war, habe ich angefangen, mit den High Heels meiner Oma und meiner Mutter zu spielen. Ich hatte eine ganz tolle Kommode voller High Heels aus den 50er Jahren entdeckt. Das war meine Fantasiewelt. In Kuba war es damals sehr schwierig für mich als Kind, obwohl ich sonst in meiner Familie sehr behütet aufgewachsen bin und geliebt wurde. Aber je mehr ich gemerkt habe, dass ich anders bin, umso mehr musste ich es verstecken. Meine Eltern hätten sonst Schwierigkeiten bekommen können. Als Kind verstehst du den Begriff homosexuell nicht so gut.

Konntest du mit jemanden darüber reden, dass du dich anders gefühlt hast?
Nein. Als ich fünf Jahre alt war, habe ich die Leute auf der Straße reden hören, wie sie über erwachsene Schwule im Ort sagten: ‚Lieber einen kriminellen Sohn als einen homosexuellen.’ Wenn du fünf Jahre alt bist, kriegst du einen Schock, wenn du das hörst und dann damit aufwächst. Ich habe gedacht, es stimmt etwas nicht mit mir. Also habe ich angefangen, dieses zweite Ich zu verstecken. Ich habe mir eigentlich ein inneres Exil geschaffen. Ich wollte es niemanden sagen, denn es wäre für die Familie sehr schwer in Kuba geworden, falls es jemand rausgekriegt hätte. Ich habe eine sehr liebe Familie, aber meine Angst war, dass meine Familie Probleme bekommt. Homosexualität war in Kuba zu meiner Zeit sehr diskriminierend und die Leute wurden deshalb schikaniert. Ich wollte meinem Vater und meiner Mutter die bösen Kommentare auf der Straße nicht antun.

Wussten deine Eltern, dass du homosexuell bist oder haben sie es selbst gemerkt?
Nein. Natürlich gucken deine Eltern. Zum Beispiel, als mein Vater entdeckt hat, dass ich mit den High Heels spiele, da hat er gefragt: ‚Was machst du denn da? Männer spielen nicht mit High Heels.’ Er hat immer versucht, mich zu sportlichen Aktivitäten mitzunehmen wie Boxen oder Baseball. Aber daran habe ich keinen Spaß gehabt. Ich wollte nur mit High Heels, Puppen oder mit meiner Cousine spielen. Dann haben mir meine Eltern mal einen Arztkoffer geschenkt. Alle wollten, dass ich vielleicht mal ein Arzt werde. Und was habe ich getan? Ich habe mit den Jungs Doktorspiele gemacht (lacht). Später irgendwann war meine Oma die erste, die es entdeckt hat. Ich hatte viele Fotos von Schauspielern gesammelt und versteckt – also von hübschen Männern. Und sie hat mich angeschaut und gesagt: ‚So wie du bist, bist du gut!’ Aber wir haben darüber dann auch nicht mehr gesprochen. Das war das einzige Mal. Aber was sie gesagt hat, war richtig schön. Es hat mir viel Stärke gegeben. Als Kind fühlst du dich verloren. Und da gibt’s diesen Druck draußen in der Gesellschaft. Und du hast Angst, dass es jemand rauskriegt, und deine Familie kritisiert wird, weil du so bist. Und das wollte ich ja nicht. Es war wirklich ein innerer Kampf.

© Eric Ströller

Hat sich Kuba seitdem verändert?
Kuba hat sich verändert – etwas. Ich hoffe, es wird hinsichtlich der Homosexualität besser und besser. Ich habe schon gemerkt, dass viele Homosexuelle den Mut in Kuba haben, nun rauszugehen und zu sagen ‚ich bin homosexuell’. Aber ich habe auch gemerkt, dass sie immer noch beobachtet werden. Weil das wohl irgendwie nicht zu dem Bild des Revolutionärs passt. Das ist eine Sache, die sich hoffentlich noch in meinem Land verändert. Aber das ist nicht nur so in Kuba. Zwar gibt es in Deutschland viel Toleranz, aber gerade wenn es um Gleichberechtigung von Homosexuellen geht, kann noch viel passieren. Gerade viele Kinder und Jugendliche kommen nicht damit klar, anders zu sein und mit ihrem Coming Out. Da passieren oft auch in Deutschland nicht so tolle Sachen. Ich glaube, auch hier muss noch mehr darüber gesprochen werden, damit es mehr toleriert wird. Ich denke, das wäre für unsere Gesellschaft besser.

Du sagst, du fühlst dich in Deutschland mittlerweile Zuhause. Hast du schon eine typisch deutsche Eigenschaft an dir festgestellt?
Ja! Ich habe hier auf jeden Fall Pünktlichkeit gelernt. Das ist eine gute Eigenschaft und ich liebe es (lacht). Wenn in Kuba oder in vielen lateinamerikanischen Ländern die Leute sagen sie kommen um zwei, kommen sie um vier. Wenn ich nur fünf Minuten später komme, fühle ich mich schlecht und muss anrufen, dass ich mich verspäte. Ich finde, das hat auch etwas mit Respekt gegenüber den Mitmenschen zu tun.

Und eine typisch schlechte deutsche Eigenschaft?
Unsicherheit. Ich finde viele Deutsche sind sehr unsicher, abgewiesen zu werden. Die Leute sollten kommunikativer sein. Zum Beispiel früher, als ich noch nicht bekannt war, habe ich auch schon zu Fremden ‚hola’ gesagt und sie waren überrascht darüber und haben sich wahrscheinlich gedacht: ‚Was will der denn von mir?’ Diese Begrüßung auf der Straße ist nicht normal hier. Ich habe am Anfang nicht so gut verstanden, warum die Leute nicht zurückgrüßen. Das ist auch etwas, das wünsche ich mir mehr von den jungen Leuten: ein bisschen Kontakt zu den Menschen suchen und keine Angst haben zu kommunizieren. Heute isolieren sich junge Leute oft mit der Internetwelt. Ich finde, das ist falsch. Kommunikation mit Mitmenschen ist wichtig. Sagt einfach ‚Hallo’ und bleibt nicht alleine.

Mehr Infos gibt’s auf www.jorgegonzalez.de