Die Doppelspitze der Nacht Interview:  Nils Fischer und Jana Milbrodt

Leipzig hat einen neuen Fachbeauftragten für Nachtkultur. Zusammen mit dem Nachtrat bildet dieser die Doppelspitze, die sich seit Ende letzten Jahres um das Leipziger Nachtleben kümmert. Um zu verstehen, wie das abläuft und was geplant ist, haben wir Nils Fischer, dem neuen Fachbeauftra­gten für Nachtkultur und Jana Milbrodt, Bookerin im Kupfersaal, die im Nachtrat das LiveKommbinat vertritt, ein paar Fragen gestellt. Begonnen haben wir mit Nils Fischer allein, um ihn selbst besser kennenzulernen.

Seit Oktober 2021 bist du Leipzigs Fachbeauftragter für Nachtkultur. Ein Amt, das es erst in wenigen deutschen Städten gibt. Was macht man da eigentlich?

Nils: Das ist je nach Stadt unterschiedlich, was die Schwerpunkte angeht. Meine Stelle ist im Kulturamt angesiedelt. Uns alle eint, dass wir kommunikative Schnittstellen zwischen den (organisierten) Akteur:innen und der Verwaltung oder der Politik, aber manchmal auch Anwohnenden sind. Die ersten Monate bestanden viel aus Vernetzen, um auf allen Seiten, also Szene und Verwaltung, Vertrauen aufzubauen. Außerdem pflege ich enge Kontakte zu den Kolleg:innen der anderen Städte, weil wir oftmals vor ähnlichen Herausforderungen stehen und wir in einigen Fällen nicht das Rad in Leipzig neu erfinden müssen, sondern viel aus Erfahrungen lernen können. Ansonsten ging es darum, lange begonnene Projekte wieder aufzunehmen. So konnte Ende Januar zum Beispiel das Kulturkataster in seiner ersten Ausbaustufe online gehen und wir arbeiten intensiv zusammen mit den Akteur:innen an den Open-Air-Flächen, die 2022 im Rahmen eines Pilotjahres zur Verfügung gestellt werden sollen. Mit einem großen allseitigen Kraftakt konnte vor Kurzem auch die letztmalige Mietvertragsverlängerung für die Distillery erreicht werden. Ansonsten gehört auch ganz normale Arbeit der Verwaltung, wie Briefe, Stellungnahmen, Beschlusskontrollen schreiben zum täglichen Business.

Du bist erst 30 Jahre alt, hast in Halle studiert und angefangen, dich mit der kommunalen Kulturarbeit zu beschäftigen. Warum wolltest du Leipzigs Nachtkulturbeauftragter werden?

Nils: Ich hatte seit einiger Zeit die Arbeit der „Koordinierungsgruppe Nachtbürgermeister:in Leipzig“ verfolgt und fand es echt beeindruckend, dass sich diese Gruppe auf Initiative von Kordula Kunert selbstständig aus der gut organisierten Kulturszene heraus organisiert hat. Das zeigt doch am besten, dass es die Bedarfe wirklich gibt und sie nicht durch irgendwelche Theoretiker:innen erdacht wurden. Leipzig ist kulturell gesehen eine super spannende Stadt, die ich durch viele Besuche seit über zehn Jahren kannte, sodass ich große Lust hatte, gemeinsam mit diesen Akteur:innen zu arbeiten und zusammen für eine progressive Weiterentwicklung der Leipziger (Nacht-)Kultur einzutreten.

Neben dir haben sich 118 weitere für das Amt beworben. Was hat dich zum passendsten Kandidaten gemacht?

Nils: Für diesen Verwaltungspart der Doppelspitze hat die Stadt Leipzig explizit nach einer Person gesucht, die beide Sphären, also Verwaltung und Kulturszene, kennt, beide Sprache sprechen und übersetzen, vermitteln und sensibilisieren kann. In meiner vorherigen Tätigkeit habe ich genau an so einer spannenden wie manchmal spannungsreichen Schnittstelle agieren dürfen.

„Nachtkultur“ umfasst einiges. Wer kann sich an euch wenden?

Jana: Zunächst einmal geht es um die Vernetzung der Akteur:innen und Institutionen die mit Nachtkultur zu tun haben. Wir arbeiten erst mal daran, untereinander eine Arbeitsstruktur zu schaffen und uns zu organisieren. Aus der anfänglichen Idee folgt nun die Umsetzung. Das Konzept sieht zwei Stellen vor: Die eine ist mit Nils besetzt worden. Sobald dann auch die Koordinierungsstelle besetzt ist und die Doppelspitze damit vollständig, kann es weitergehen mit den einzelnen Projekten, die geplant sind. Ohne die Koordinierungsstelle sind wir aktuell auf die ehrenamtliche Arbeit aller Akteur:innen des NachtRates angewiesen und können daher auf manche Anliegen noch nicht so schnell reagieren, wie wir es uns wünschen würden. Die Clubs und Veranstaltungsorte öffnen gerade wieder und alle Beteiligten haben alle Hände voll zu tun.

Nils: Vom Konstrukt her ist meine Stelle aufseiten der Stadt Leipzig angesiedelt. Dementsprechend können sich erst einmal die verschiedensten Akteur:innen der Stadtverwaltung und Stadtpolitik mit Themen der Nachtkultur an mich wenden, aber eben auch zum Beispiel Betreibende und Veranstaltende der Nachtkultur, die beispielsweise eine Frage an die Stadt Leipzig haben, aber vor dem großen Dschungel namens Stadtverwaltung stehen und nicht wissen, wie sie ihr Thema gut platzieren können.

Welche Herausforderungen kommen gerade auf euch zu?

Jana: Unsere größte Herausforderung ist aktuell, die Finanzierung der Koordinierungsstelle zu sichern. Viele Förderprogramme sind zu spartenspezifisch und die Koordinierungsstelle ist so interdisziplinär aufge­stellt, dass sie da oft nicht reinpasst. Eine weitere ist auf jeden Fall die Aufklärungsarbeit rund um das Konzept und die Begrifflichkeiten – manche verstehen nicht, was es mit der Botschaft der Nacht, der Koordinierungsstelle und Nils als Fachbeauftragtem für Nachtkultur auf sich hat. Viele Menschen kennen aus anderen Großstädten das Konzept des „Nachtbürgermeisters“ und wenden diesen Begriff fälschlicherweise für die Stelle von Nils an. Wenn Nils als „Nachtbürgermeister von Leipzig“ bezeichnet wird, schürt das falsche Erwartungen an ihn. Er ist ein Teil der Doppelspitze – auf der Seite der Verwaltung. Nils arbeitet eng mit der Szenezusammen, aber solange die Koordinierungsstelle seitens der Szene nicht besetzt ist, können viele Dinge nicht umgesetzt werden.

Der Nachtrat besteht aus zivilgesellschaftlichen Organisationen, Vertreter:innen der städtischen Kultur- und Wirtschaftsförderung und der Polizeidirektion Leipzig. Wie arbeitet ihr zusammen?

Jana: Wir treffen uns im Gremium alle vier Wochen und besprechen die Dinge, die im Leipziger Nachtleben anfallen. Aktuell bilden wir Arbeitsgemeinschaften, die sich mit den verschiedenen Themen beschäftigen, zum Beispiel Finanzierung, Öffentlichkeitsarbeit, Verhaltenskodex und so weiter. Wir sind viele unterschiedliche Menschen mit verschiedenen Stärken und verschiedenem Wissen, da können sich alle im NachtRat genau da einbringen, wo man es möchte. Man muss sich ja auch erst mal beschnuppern! 

Warum arbeitet ihr in einer Doppelspitze, anstatt es wie die anderen Städte mit einem Nachtbürgermeister zu regeln?

Jana: Das Konzept für Leipzig wurde detailliert unter der Leitung von Kordula Kunert ausgearbeitet, sie hat sich mehrere Monate damit auseinandergesetzt, die anderen Städte und ihre Arbeitsweisen angeschaut und diese miteinander verglichen. So konnten Erfahrungen aus anderen Städten mit einbezogen werden und es hat sich herausgestellt, dass die Doppelspitze ein sehr erstrebenswertes Konzept ist. Durch eine städtische und eine szeneseitige Vertretung können die Belange optimal umgesetzt werden. In anderen Städten müssen beide Seiten in einer Person vereint werden, das führt dann zum Beispiel zu Überlastung und Unzufriedenheit.

Nils: Ich merke nach dem ersten halben Jahr, dass es dieses Konstrukt der Doppelspitze unbedingt braucht, um das Konzept auch zum Funktionieren zu bekommen. Daneben, dass es für eine Person bei der Größe der Leipziger Szene und auch der Verwaltung unmöglich ist, zu allen Akteur:innen einen engen Draht zu halten, braucht es auch die Separierung in szeneseitige und verwaltungsseitige Stelle, um Interessenkonflikten vorbeugen zu können. Wichtig ist, dass die Doppelspitze selbst in ganz engem Austausch ist.

Sexuelle Belästigung in Clubs ist auch in der Messestadt ein großes Thema. Wie geht ihr das an?

Nils: Mittlerweile gibt es über die Szene hinaus ein wachsendes Bewusstsein für solche Awareness-Konzepte und deren Wichtigkeit. Nicht ohne Grund sind mit der Initiative Awareness und den Drug Scouts zwei wichtige Player des Club-Bewusstseins im NachtRat vertreten. Dies möchten wir nutzen und Konzepte in Clubs und Livemusik-Spielstätten als NachtRat fördern und auch in andere Bereiche tragen.

Jana: Was insgesamt die Verbesserung der Sicher­heit im Nachtleben angeht, da könnte uns Baden-Württemberg als Vorbild dienen: Dort werden landesweit kostenlose Schulungen für Betreibende, Veranstaltende, Mitarbeitende und Securities angeboten, wie sie schwierige Situationen besser handeln können und so die eigene Sicherheit und die ihrer Gäste erhöhen können.

Eine Menge Kulturstätten sind leider durch das Raster der staatlichen Pandemieförderungen gefallen. Wie könnt ihr Betroffenen helfen?

Nils: Durch enge Abstimmungen zwischen den Kulturverbänden mit der Bürgermeisterin für Kultur, dem Kulturamt und der Wirtschaftsförderung gibt es seit Beginn der Pandemie einen sehr engen und vertrauensvollen Austausch zwischen Stadt und Akteur:innen. Die Möglichkeiten der Stadt selbst sind beschränkt, nichtsdestotrotz haben wir uns beim Freistaat und beim Bund dafür eingesetzt, dass die Belange, die an uns aus der Szene herangetragen wurden, von Land und Bund Beachtung finden.

Die Distillery ist der älteste Techno-Club der neuenBundesländer und damit eine wahre Institution. Seit Langem ist bekannt, dass der Club wegen Neubauten umziehen muss. Überraschend kam nun die Vertragsverlängerung bis 31. Januar 2023. Wie geht es danach mit der Tille weiter?

Nils: Die Vertragsverlängerung ist insofern eine gute Nachricht, weil das geplante Interim auf der Alten Messe noch nicht so kurzfristig bezogen werden konnte, weil hier noch das Bauantragsverfahren läuft.

Liegt die Zukunft der Distillery (nach 31. Januar 2023) im Gleisdreieck?

Nils: Die Leipziger Club- und Kulturstiftung, in der die Distillery mit organisiert ist, hat das ehemalige Bahnkraftwerk im sogenannten Gleisdreieck zwischen Connewitz und Marienbrunn gekauft und will dort unter anderem die Tille und den TV Club unter­bringen. Dass das wirklich alles so wie geplant funktio­niert, hoffen wir, aber bisher steht da gar nichts fest. Um eine schlussendliche Aussage treffen zu können, muss erst der Bebauungsplan aufgestellt sein, an dem gerade fleißig gearbeitet wird. Das ist ein standardisiertes, ergebnisoffenes Verfahren. In diesem Bebauungsplan werden dann auch die Belange der Anwohnenden und der Kleingärtner:innen zur Genüge berücksichtigt.

Was wollt ihr noch in Leipzig verändern?

Jana: Ich finde es wichtig, alle Menschen an einen Tisch zu bekommen, die sonst nicht an einem Tisch sitzen. Durch die Netzwerkarbeit ergeben sich Synergienund dadurch schnellere Dienstwege: Wenn wir jetzt eine Frage/Anliegen haben, können wir einfach jemanden im Kulturamt oder der Polizeidirektion erreichen – das war, bevor es die Botschaft der Nacht gab, etwas umständlicher. Weiterhin möchten wir neue Räume schaffen und das Verschwinden von Kulturorten verhindern. Dafür ist das Kulturkataster ein erster großer Schritt. Wir müssen aber auch weiter daran arbeiten, das Verständnis von Clubs als Kulturorten zu schärfen und diese als sichere Orte zur persönlichen Entfaltung etablieren – ohne Übergriffe und Diskriminierung.

Nils: Für die von Jana angesprochenen Themen soll langfristig auch das Projekt (N)achtsamkeit etabliert werden, das zum Konzept der Botschaft der Nacht gehört. Dabei handelt es sich um ein Konfliktmanagementprojekt, welches in akuten Fällen von Lärmbeschwerden und Verschmutzungen dem Ordnungsamt und der Polizeidirektion vorgeschaltet wird, um als kommunikative Lösung zu entlasten. Auch halte ich es für wichtig, dass wir langfristig die Existenz dieser Kulturorte im Angesicht der sich verdichtenden Stadt sichern. Hierzu kann ein Schallschutzfonds, der Maßnahmen zur aktiven Schalldämmung von Clubs- und Livemusikspielstätten unterstützt, ein gutes Instrument sein, um Konflikte mit der Umgebung zu reduzieren. Insgesamt ist es mir wichtig, dass in Zukunft Clubkultur ein selbstverständlicher Bestandteil des Kulturkanons Leipzigs ist und wir durch die Arbeit im NachtRat mit seinen so verschiedenen Akteur:innen einen positiven Beitrag zur Entwicklung der Stadt leisten.

Nils Fischer (Fachbeauftragter für Nachtkultur), Jana Milbrodt (Vorstandsmitglied LiveKommbinat Leipzig und Vertreterin des NachtRates

Kontakt: hallo@nachtbotschaft.de