Ein Stadtteil nur für Bücher Leipzigs Geschichte: Graphisches Viertel

Leipzig ist DIE Bücherstadt schlechthin. Einst gab es hier sogar ein ganzes Viertel, das davon geprägt war. Wo es sich befand und was davon heute noch zu sehen ist, erzählen wir euch im neuesten Teil unserer Reihe zur Leipziger Geschichte.

© Cindy Hiller
Das Buchhändler-Haus beherbergte von 1888 bis zur Zerstörung 1943 die erste deutsche Blindenbücherei.

Ein neuer Stadtteil entsteht

Östlich des heutigen Promenadenrings befand sich noch bis ins 19. Jahrhundert hinein die Vorstadt. Hier lebten besonders betuchte Leipziger Bürger:innen, die vor den Toren der Stadt ansehnliche Gärten anlegten. Doch im Verlauf des Jahrhunderts hielt die Industrialisierung Einzug. Diese Zeit brachte einen immensen technischen Fortschritt, aber auch neue Herausforderungen mit sich. Neben vielen anderen Wirtschaftszweigen litt auch der Buchhandel zunehmend an Platzproblemen, da sich immer mehr Verlage in der Stadt ansiedeln wollten. Leipzig musste über seine bisherigen Mauern hinaus wachsen. Dieses Wachstum bekamen auch die Menschen in den Vorstädten zu spüren und so verwandelte sich die idyllische Gartenlandschaft im Osten ab 1840 in ein Industrieviertel.

Der neue Stadtteil wurde Grafisches Viertel oder auch Buchhändlerviertel genannt. Die Lage zwischen dem Hauptbahnhof, dem Eilenburger Bahnhof (heute Lene-Voigt-Park), dem Bayerischen Bahnhof und dem Hauptpostamt am Augustusplatz war natürlich nicht zufällig gewählt: Sie bot beste Transportmöglichkeiten. In dem neuen Stadtteil siedelten sich jedoch nicht nur die Verlage an, sondern auch Buchhandlungen, Druckereien, Buchbindereien, Notenstechereien und alles, was sonst noch zum grafischen Gewerbe gehörte. Allein in der Querstraße, die nördlich vom Johannisplatz abgeht, waren im Jahr 1914 ganze 63 Verlage und Buchhandlungen gemeldet. Bemerkenswert ist, dass es kein reines Industrie-, sondern auch ein Wohnviertel war. Die Arbeiter:innen lebten teilweise in denselben Gebäuden, in denen sich auch ihre Arbeitsstellen befanden.

Reclam Karee
© Cindy Hiller
Ein Haus dessen Zugehörigkeit bereist von außen sichtbar ist: Das Reclam Karee im Graphischen Viertel.

Große Namen

Die großen Unternehmen wie Brockhaus oder Reclam nahmen gleich ganze Straßenzüge in Beschlag und errichteten riesige Firmenareale, bestehend aus Bürogebäuden, Produktionsstätten und Wohnhäusern für die Angestellten. Das Ende der Glanzzeit markiert der 4. Dezember 1943. In den frühen Morgenstunden kam es zu einem schweren Luftangriff durch die britische Royal Air Force. Dabei wurden 80 Prozent der Bausubstanz im Grafischen Viertel zerstört. Dazu gehörten beispielsweise auch die in den 1850ern errichteten Gebäude des Verlagshauses F. A. Brockhaus. An den ehemalig ansässigen Verlag erinnert heute neben dem Straßennamen noch das sogenannte „Brockhauszentrum“. In einem der Innenhöfe des Neubaus findet man ein Denkmal für den Verlagsgründer Friedrich Arnold Brockhaus (1772–1823).

© Cindy Hiller
Einer der vielen Berühmtheiten des Graphischen Viertel: F. A. Brockhaus

Die Gebäude eines weiteren bekannten Verlages sind dagegen besser erhalten geblieben. Im Jahr 1828 gründete Anton Philipp Reclam (1807–1896) einen ersten Verlag, der später als Verlag Philipp Reclam jun. bekannt wurde. Seit 1867 erschienen dort die Werke vieler bedeutender Autor:innen als Teil von Reclams Universal-Bibliothek. Diese kleinenHefte bilden die älteste noch existierende Tasch­enbuch­reihe der Welt. Ab dem Jahr 1887 entstand auf einem Gelände, gelegen an der Ecke Insel- und Kreuzstraße, auf 15.000 Quadratmetern ein neuer Baukomplex des Verlagshauses mit Druckerei, Geschäfts- und Lagerhaus.

Dieses schöne Gebäude aus gelben Klinkern und mit wunderbaren Bauplastiken im Eingangsbereich fällt auch heute noch ins Auge. Inzwischen ist es besser bekannt als Reclam-Karree und beherbergt das Max-Planck-Institut. Im gegenüberliegenden Eckgebäude, der ehemaligen Druckerei Marquart, befindet sich im Souterrain das Reclam-Museum, welches es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Erinnerung an den bekannten Verlag in Leipzig aufrechtzuerhalten. Zum Museum gehört auch eine Präsenzbibliothek nahezu aller erschienenen Reclam-Hefte.

© Reclam Museum
Von Goethe bis Shakespeare, der von Anton Philipp Reclam gegründete Verlag im Graphischen Viertel hat sie alle im Repertoire.

Abriss und Neuanfang

Das Grafische Viertel bot jedoch nicht nur beste Arbeitsbedingungen, sondern diente auch der Vernetzung innerhalb der Buchbranche. Besonders entlang des Gutenbergplatzes sind davon noch Spuren zu entdecken, wie zum Beispiel das Gebäude des ehemaligen Deutschen Buchgewerbevereins. Der 1898 errichtete Neorenaissancebau hatte zwar im Zweiten Weltkrieg schwere Schäden erlitten, wurde jedoch während der DDR-Zeit teilweise wiederaufgebaut. Aber besonders die Sanierungsarbeiten zwischen 2015 bis 2017 ließen das Gebäude mit dem stark verzierten Giebel und dem fensterlosen Erker wieder in altem Glanz erstrahlen.

Heute befinden sich darin hauptsächlich Wohnungen. In nachbarschaftlicher Nähe stand ein ebenso großes und wichtiges Haus: Das Deutsche Buchhändlerhaus. Es war der Sitz des Börsenvereins der Buchhändler zu Leipzig. Nach dem Luftangriff 1943 blieb davon nur noch eine Ruine stehen, doch auch sie wurde genutzt. Seit 1946 befand sich hier zunächst der Leipziger Kommissions- und Großhandel (LKG), bevor er in das neuerrichtete Gebäude gegenüber zog. Die Ruine des Buchhändlerhauses wurde abgerissen und in den 1990ern entstand ein Neubau für das „Haus des Buches“ inklusive eines „Literaturcafés“.