„Unsere ganze Welt dreht sich mehr denn je um Daten“ Interview: Moderat

Fünf Jahre dauerte die Pause an, die sich „Moderat“ nahmen, bevor sie wieder gemeinsam ins Studio gingen. Ergebnis ist das neue Album „MORE D4TA“ – es ist die vierte Platte des Trios, das sich vor mittlerweile 20 Jahren aus dem DJ-Duo „Modeselektor“ (Gernot Bronsert und Sebastian Szary) und dem Musiker Sascha Ring, bekannt als „Apparat“, zusammensetzte. Wenige Tage nach dem Release des Albums am 13. Mai startet Moderat ihre Tour durch Europa, Kanada und die USA. Am 17. und 18. Mai wird das Trio im Werk 2 in Leipzig auftreten. Wir haben mit Sascha Ring über die neue Platte, Tourvorbereitungen und Datenkraken gesprochen.

© Birgit Kaulfuss

Wie laufen die Vorbereitungen für die bevorstehende Tour?
Wir haben noch einiges zu tun, bevor wir wieder auf Tour gehen. Und während der Veröffentlichung einer Platte fallen immer noch mehr Dinge an, für die wir als Künstler verantwortlich sind. Wir versuchen mittlerweile, wirklich vernünftig zu planen, damit die Stressmomente wegfallen. Das hatten wir lange genug (lacht). Schließlich hatten wir auch lange genug Zeit, um diese Platte zu planen.

Wann und wie entstand der Gedanke, nach einer fünfjährigen Pause wieder als „Moderat“ zusammenzukommen?
Im Grunde stand die Idee im Raum, seitdem wir uns getrennt hatten. Das war immer als Pause und im besten Fall als Zäsur gedacht. Sodass wir uns danach neu aufstellen und schauen wollten, was anders laufen könnte. Und irgendwann haben wir uns wiedergetroffen, ins Studio begeben und waren überrascht davon, wie sich alles am Ende „eingeloggt“ hat. Im Ergebnis ist wieder eine „Moderat“-Platte herausgekommen. Hätten wir das anders machen wollen, hätten wir das aktiv forcieren und in eine andere Richtung treten müssen, das fühlte sich nicht richtig an. Stattdessen haben wir uns in den Flow begeben und auch nach fünf Jahren ist dabei wieder „Moderat“ entstanden. Das mussten wir nicht wiederbeleben, das ist einfach passiert. Klar, auch wir setzen uns jedes Mal zusammen und machen „Bestandsaufnahme“: Was beschäftigt uns gerade? Welche Musik hören wir momentan? Vielleicht liegt es auch ein wenig am Alter und daran, dass sich unsere Persönlichkeiten gefestigt haben, aber es gibt da nicht mehr so viele Überraschungen.

Wann haben die Arbeiten an eurem neuen Album begonnen? Wie hat die Corona-Krise eure Arbeit beeinflusst?
Zynischerweise war diese Pandemie für unser Timing vorteilhaft. Wir hatten ohnehin geplant, dass ab 2020 niemand mehr von uns Konzerte spielen würde. Das bedeutet: Ab dann geht es ins Studio. Wie lange dieser Prozess dauern würde, kann man nicht planen. Dieser Zeitraum aber stand schon ein Jahr zuvor im Raum. Zu Beginn haben wir aufgrund der Hygienemaßnahmen natürlich separat voneinander Musik gemacht. Irgendwann haben wir uns schließlich zusammengefunden und es durchaus genossen, keine anderwei­tigen Verpflichtungen zu haben. Wir konnten uns in unserer kleinen Blase auf unser Anliegen konzentrieren. Natürlich wurden aber auch wir zu Beginn „durcheinandergewirbelt“. Im Prinzip haben wir unser Erwachsenenleben durchgetourt. Das hatten wir zwar zu dem Zeitpunkt nicht vor, dennoch fühlt es sich anders an, wenn man auf einmal nicht mehr darf. Schließlich wusste auch niemand, wann Touren und Auftreten wieder möglich sein würde. Bei vielen meiner Bekannten aus der Kulturszene aber überwog, zumindest am Anfang, das Gefühl „Mal raus aus dem Hamsterrad“. Weil man sich selbst diese Zwangspause nicht verordnet. Dann kamen natürlich aber auch Phasen der Unsicherheit.

© Birgit Kaulfuss

Ist jetzt wieder genügend Kraft da – für das Album, für die Tour?
Auf jeden Fall, mal davon abgesehen, dass man schnell ein wenig faul wird, wenn man sich nicht ständig den Herausforderungen des Touralltags stellen muss. Ins Studio gehen und Musik aufnehmen, ist die eine Sache, das empfinden wir nicht als Arbeit. Eine Liveshow aber muss konzeptioniert werden, das wird schnell theoretisch. Wenn das aber alles steht und die Proben beginnen und sich die Show zusammenfügt – das ist super. Bei unseren Konzerten spielt ja auch das Visuelle eine große Rolle. Und diese Lichtinstallationen kommen meist erst bei den Proben zum Einsatz. Das ist immer ein kleiner magischer Moment. Damit haben wir Ende April begonnen.

Euer neues Album heißt „MORE D4TA“, was steht für euch hinter diesem Titel?
Davon abgesehen, dass dieser Titel ein Anagramm ist von „Moderat 4“ und wir das deshalb schon fast tun mussten, fanden wir ihn unheimlich passend für die Zeit, in der das Album entstanden ist. Alles wurde auf einmal noch viel digitaler als zuvor. Die Menschen haben gestreamt, was das Zeug hält. Man unterhält sich über Zoom. Es werden so viel mehr Daten generiert, unsere ganze Welt dreht sich mehr denn je darum. Ich muss sagen, ich persönlich sehe das sehr kritisch. Ich bin ein wenig enttäuscht von der Entwicklung des „Web 2.0“, von dem uns versprochen wurde, dass wir es kollektiv gestalten könnten. Die Realität sieht allerdings so aus, dass der Kapitalismus diese Idee „aufgefressen“ hat und am Ende nur noch wenige große Player bestimmen, wie das Internet auszusehen hat. Zum einen wird diktiert, wie man sich darzustellen hat. Zum anderen wird durch uns Kapital geschaffen. Zu Zeiten von Myspace und Co. waren wir wohl alle noch etwas naiv. Auch diese Enttäuschung über die Versprechungen des Internets steckt hinter „MORE D4TA“. Dazu habe ich auch eine recht aktuelle Anekdote zu bieten: Vor Kurzem erreichte uns die Nachricht, dass auch unser zweites Video für das Album von YouTube gesperrt wurde. Beziehungsweise ist es nur noch registrierten Nutzern zugänglich. Und warum? Weil ein nackter Rücken darin zu sehen ist. Schon während wir dieses Video konzipiert haben, haben wir über eine solche Möglichkeit gesprochen. Wir wollten uns allerdings nicht von Google vorschreiben lassen, wie wir unser Video zu gestalten hätten. Doch schon während einer Vorbesprechung fiel der Satz „Dazu müssen wir mal mit Google telefonieren.“ Da steckt für mich so viel drin. Der Künstleralltag 2022 wird sozusagen von den großen Playern mitbestimmt. Klar, der Ansatz, zum Beispiel Jugendschutz, ist nachvollziehbar und gut. Aber, dass der Content vorgeschrieben wird, die Frage, was Kunst und was anstößig ist – ich dachte, das hätten wir überwunden. Ich sehe das sehr kritisch, dass wir uns von diesem Datenkraken abhängig machen.

© Birgit Kaulfuss

Wie sieht’s aus mit Facebook, Instagram und Co.?
Früher dachte ich immer, ich müsste ein Profil haben, zum Beispiel auf Facebook. Das benutze ich aber auch seit Jahren nicht mehr. Alle anderen Plattformen habe ich schon immer stiefmütterlich behandelt, Twitter benutze ich persönlich als Informationsquelle. Alles andere empfinde ich als Teil dieses Hamsterrads, worauf ich einfach keine Lust habe. Natürlich ist das eine prädestinierte Position, sich das erlauben zu können. Aber klar könnten wir als Band noch „mehr Wind“ machen, wenn wir aktiver auf Social Media wären. Ich habe allerdings nicht unbedingt das Gefühl, dass die Band dadurch eine bessere geworden ist, deshalb möchte ich auch kein Teil davon sein. Am Ende könnte es immer besser laufen – aber auf diesen Ansatz haben wir keine Lust.

Habt ihr einen Überblick darüber, „wie es gerade läuft“, beispielsweise die Ticketverkäufe?
Das ist tatsächlich grundverschieden. Ich denke, das liegt auch an den unterschiedlichen Herangehensweisen der Länder im Umgang mit Corona. Vielen Menschen fällt es noch schwer, sich vorzustellen, wieder eng auf eng mit anderen in geschlossenen Räumen zusammenzukommen. Diese Konditionierung steckt ja auch noch ins uns drin.

Plant ihr als „Moderat“ schon über die Tour hinaus? Was sind die Pläne für die Zukunft?
Eigentlich denken wir soweit nicht im Voraus. Wir haben nur ein einziges Mal, zwischen dem zweiten und dem dritten Album, keine Pause gemacht. Das kam damals aus dem Flow heraus. Vielleicht ist es jetzt wieder so. Aber das merkt man erst, wenn es soweit ist. Wir machen nicht den Fehler, uns anderweitig schon wieder so weit zu verplanen, dass am Ende nicht mehr die Möglichkeit dazu besteht. Wir halten das offen.