Interview mit RB Leipzig Sportdirektor Ralf Rangnick: "Man kann die Entwicklung im Fußball nicht aufhalten." Ralf Rangnick über Kommerzialisierung, Altbewährtes und Trainerfrage

Im Interview spricht Sportdirektor Ralf Rangnick u.a. über Maßnahmen bei Ausschreitungen im Stadion und mögliche Zorniger-Nachfolger wie ihn und Jürgen Klopp.

Mit Ralf Rangnick als Sportdirektor hat RB Leipzig den langersehnten Sprung in den Profifußball geschafft und den Durchmarsch in Liga 3. Die Zweitligasaison geht nun in den Endspurt. Im Interview spricht er u.a. über Maßnahmen bei Ausschreitungen im Stadion, die Verantwortung des Vereins bei jungen, erfolgreichen Spielern wie Joshua Kimmich, mögliche Zorniger-Nachfolger wie ihn und Jürgen Klopp und die Ziele für die laufende Saison.

© GEPApictures / RB Leipzig

Steckbrief Ralf Rangnick

Geburtstag: 29. Juni 1958
Geburtsort: Backnang 
Beruf: Fußballtrainer und -funktionär
Seit Juni 2012: Sportdirektor bei FC Red Bull Salzburg und RB Leipzig
Ab Juni 2015: Sportdirektor bei RB Leipzig

Es gab während der Saison einige unschöne Vorkommnisse v.a. bei Auswärtsspielen, die sich gegen RB Leipzig gerichtet haben: beleidigende Banner, Trikotrücktausch, Drohbriefe an Verein und Fans … Was ist da los? 
Ich will mich gar nicht mehr groß damit beschäftigen. Je intensiver man sich darauf einlässt, desto mehr zieht es einem auch Energie ab, die man besser woanders einsetzen könnte. Wir sollten uns davon aber nicht zu sehr beeinflussen lassen, denn so etwas findet überwiegend nur in einem verschwindend kleinen Kreis einer Fankultur statt. Das sind bestimmte Teile von Fangruppierungen, die versuchen, Macht zu demonstrieren. 

Was kann dagegen gemacht werden?
In England wurden nach einigen Vorkommnissen weitreichende Maßnahmen ergriffen. Es gibt beispielsweise keine Stehplätze mehr, keinen Alkoholverkauf und nummerierte Sitzplätze. Es ist aber vor allem wichtig, dass es im Stadion genauso wie im normalen Leben zugehen muss: Wer sich nicht an die Gesetze hält, der muss auch zur Rechenschaft gezogen werden. Ich bin keiner, der immer gleich für harte Strafen plädiert, aber ich glaube, dass wir hier auf Dauer mit den bisherigen Maßnahmen nicht mehr weiterkommen. 

Was wären Möglichkeiten?
Im normalen Leben wirst du festgenommen und eingesperrt, wenn du bestimmte Grenzen überschreitest. Ich frage mich: Warum passiert das nicht, wenn du genau diese Dinge im Fußballstadion oder im Umfeld eines Spiels machst? Das ist doch kein rechtsfreier Raum. Auch durch diese Anonymität werden Menschen oftmals dazu verleitet, jeglichen Emotionen freien Lauf zu lassen und diese auszuleben.
Beim Europa-League-Spiel AS Rom gegenFeyenoord Rotterdam im Februar haben holländische Hooligans die Stadt verwüstet. Die wurden daraufhin festgenommen, durch Schnellrichter sofort verurteilt und saßen dann ein paar Tage im Gefängnis. Und so konsequent sollte es auch in Stadien gehandhabt werden, wenn dort Grenzen eindeutig überschritten werden.

Fühlen Sie sich von Vereinen der 2. Liga damit ein bisschen alleine gelassen?
Nein. Jeder Verein muss für sich festsetzen, was möglich ist und was nicht.
Ich finde es z.B. vollkommen in Ordnung, wenn ein Verein keine Testspiele gegen RB Leipzig machen will. Aber bei uns gab es ja Fälle, bei denen die Verantwortlichen des Vereins auf uns zugekommen sind und alles vereinbart haben. Und als es dann öffentlich wurde, wollten die Ultras die Unterstützung einstellen, wenn tatsächlich gespielt wird. Bei allem Respekt, soweit darf es nicht kommen, dass ein Verein von den Fans bestimmt und gesteuert wird.

Wovor haben denn Vereine – insbesondere Traditionsvereine – Angst, was die Konsequenzen der Ultras sein könnten?

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Mitgliederversammlungen, fehlende Unterstützung im Stadion … Es ist schon eine wechselseitige Geschichte. Die Frage ist, inwieweit ich die Nähe zwischen dem Profifußballer, den Fans und dem Verein zulasse bzw. diese Nähe auch gesund ist. Ich bin dafür, dass man zeigt, dass unsere Spieler normale Bürger und Menschen dieser Stadt sind. Und dass sie sich nicht völlig abschotten. Man muss die richtige Mischung finden. Das ist entscheidend. 

Die mediale Berichterstattung ist bereits bundesligareif. Wie kommt das bei einem Zweitligaverein? Springen die überregionalen Medien auf den Zug auf und steigen in die Kritik mit ein?
Die Berichterstattung hat sich schon gewandelt. Und uns war auch bewusst, dass wir, wenn wir in die 2. Liga kommen, beinahe jeden Tag in der Zeitung vertreten sind. Das zeigt aber einfach auch, dass sich die Menschen und die Öffentlichkeit für uns interessieren. Ich bin nicht der Ansicht, dass über uns extrem kritisch berichtet wird oder dass wir besonders beäugt werden. Auch wenn in diesem Zusammenhang öfter der Satz fällt: Die Kommerzialisierung ist im Fußball zu weit fortgeschritten. Das kann man sicherlich so sehen, aber diese Entwicklung wird man auf lange Sicht nicht aufhalten können. In anderen Ländern ist man dahingehend schon deutlich weiter. 

Können Sie das nachvollziehen?
Ich kann das schon ein Stück weit verstehen. Aber diese Kommerzialisierung wird nicht aufzuhalten sein. Das wäre so, als möchte man nicht, dass es die ganzen neuen Internetfirmen gibt und sagt: „Die Zeiten vor diesen Firmen waren besser.“ Für mich ist die wichtige Frage, wie ich mit dieser Entwicklung umgehe? Jeder Verein, der in England in der Premier League spielt, erhält das Dreifache an Fernsehgeldern von dem, was Bayern München hier bekommt. Das muss man sich mal vorstellen. Jeder Klub, auch die kleineren, die erst aufgestiegen sind, haben dieses Geld sicher und zur Verfügung. Wenn es diese Möglichkeiten auch in Deutschland geben würde, dann kann ich mir kaum vorstellen, dass noch jemand der Meinung ist, bei dieser Entwicklung nicht mitzumachen.

Ist der Kommerzialisierungsvorwurf, wenn es um 1. und 2. Bundesliga geht, scheinheilig?
Es ist ja menschlich, dass man an Bewährtem festhält. Aber die Zeiten ändern sich und da muss man sich auch anpassen. Man kann die Entwicklung im Fußball nicht aufhalten. Die Klubs sind inzwischen immer mehr Wirtschaftsunternehmen, trotzdem braucht es natürlich gewisse Regeln und Werte – und dafür stehen wir auch. Nachwuchsleiter Frieder Schrof und ich versuchen, den jungen Spielern Werte mitzugeben, die – gestern wie heute – wichtig sind, wie z.B. Bescheidenheit und ein respektvoller Umgang. Das müssen wir ihnen vermitteln. 

Ist das etwas typisch Deutsches: Das Festhalten an Traditionen, Altbewährtem und dabei vielleicht den Blick für zukünftige Sachen verlieren? Gerade wenn es um eine Herzensangelegenheit wie Fußball geht.
Ich habe gelesen, dass wir das Land mit den höchsten Versicherungsausgaben sind und alles versichern und absichern lassen. So etwas machst du ja nur, wenn du einen Status quo erhalten möchtest. Ich glaube, wir tun uns generell ein bisschen schwer mit Veränderungen. 

Sie setzen vor allem auf junge Spieler und Talente. Wie viel Einflussmöglichkeiten hat denn der Verein bei der Entwicklung der Persönlichkeit?
Wie kann der Verein einen positiv pädagogischen Einfluss nehmen, bei z.B. Joshua Kimmich, nicht die Bodenhaftung zu verlieren?

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Bei ihm sehe ich nicht die Gefahr, dass er die Bodenhaftung verliert. Aber auf ihn ist im letzten Dreivierteljahr unglaublich viel eingestürzt: Er ist U19-Europameister geworden, spielt 2. Bundesliga und dann gab es noch das große Interesse von Bayern München, wohin er im Sommer ja dann auch wechseln wird. Dass das für einen jungen Spieler alles nicht einfach zu verarbeiten ist, ist doch logisch. Und genau deswegen braucht es auch ein sicheres familiäres Umfeld, gute Berater und auch wir als Verein, die ihm das richtige Feedback geben. Kommunikation und die Vermittlung von Werten sind dabei ganz wichtige Faktoren. 

Trainerfrage: Medial wurde oft erwähnt, dass Sie sich vorstellen könnten, auf der RB-Bank Platz zu nehmen. Was ist da dran? 
Ich habe gesagt, dass ich nicht ausschließe, irgendwann noch einmal als Trainer zu arbeiten. Aber ich habe auch – mit einem Augenzwinkern – gesagt, dass ich jetzt nicht meine Wunschlösung bin. Ich glaube nicht, dass es mittel- und langfristig für die Entwicklung des Standortes Leipzig gut wäre, wenn ich das machen würde. Wir werden sehen, ob wir eine optimale externe Lösung finden. Ich schließe aber auch nicht aus, dass wir mit Achim Beierlorzer weitermachen. Die Entwicklung zeigt momentan in die richtige Richtung. Aber jetzt ist ja auch noch Jürgen Klopp auf dem Markt (lacht).

Eben! Da Sie ihn gerade erwähnen: Ist er denn ein Wunschkandidat?

(lacht) Die Möglichkeit ist nicht sehr groß. Wenn jetzt Klopp natürlich sagen würde, er geht bei seinen Gehaltsvorstellungen etwas runter und habe richtig Lust, bei uns was zu machen, dann … (lacht).

Sie sind ab Juni 2015 Leipziger. Sind die Salzburger ein wenig gekränkt, dass Leipzig nun Prio 1 hat? Und dass die Befürchtung wahr wird, dass Salzburg eher stiefmütterlich behandelt wird?
Nein, das glaube ich nicht, weil die Mehrzahl der Fans das auch versteht. Die dortigen Ziele bleiben unverändert: Salzburg soll in der österreichischen Liga Meister werden und möglichst auch international mitspielen – mit hochtalentierten jungen Spielern. Der Mannschaft fehlt es ja nicht an Erfahrung. Aber die Jungen, die in die Fußstapfen treten wie Marcel Sabitzer, Konrad Laimer u.s.w. – die nächste Generation – die müssen die Chance haben zu spielen. Den Weg, den wir mit Salzburg eingeschlagen haben, den werden wir auch weitergehen. 

Was sind die Ziele für den Endspurt dieser Saison bei RB Leipzig?
Ich glaube, dass man am ehesten die gewünschten Ergebnisse erzielt, indem sich die Mannschaft weiterentwickelt und stabilisiert. Das ist das, worum es mir geht: Nicht um jeden Preis noch die Aufstiegschance sichern, sondern die Weiterentwicklung der Mannschaft zu sehen. Wenn ich mir die letzten Wochen anschaue, dann zeigt die Formkurve eher wieder nach oben. Das bedeutet auch, dass wir dann am Ende auf jeden Fall ein anderes Niveau erreicht haben, von dem aus wir mit der Mannschaft in die neue Saison starten können.