Großes Interview mit RB Leipzig-Trainer Ralph Hasenhüttl Ralph Hasenhüttl über Leipziger Spielphilosophie und Jetzt-erst-recht-Mentalität

Seit dieser Saison ist Ralph Hasenhüttl Chefcoach von RB Leipzig. Wir sprachen im großen Interview mit ihm über Leipzig, welche Regeländerungen er begrüßen würde und ob ein ehemaliger Fußballprofi ein besser Trainer ist.

Seit dieser Saison ist Ralph Hasenhüttl Chefcoach von RB Leipzig. Dass der ehemalige österreichische Nationalspieler Bundesliga kann, bewies er bereits mit dem FC Ingolstadt 04. Der 49-Jährige stieg mit dem Verein 2014/2015 ins Fußball-Oberhaus auf und beendete die erste Erstliga-Saison auf einem respektablen 11. Platz. Sportdirektor Ralf Rangnick wollte den sympathischen Österreicher bereits vergangenes Jahr nach Leipzig holen, doch dieser mochte Ingolstadt direkt nach dem Aufstieg (noch) nicht verlassen. Der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte: Rangnick tauschte Zwirn gegen Trainingsanzug, coachte RBL in die 1. Bundesliga und machte liebend gern Platz für seinen Wunschkandidaten Ralph Hasenhüttl.         

Was mögen Sie an Leipzig und wie haben Sie sich in der Stadt eingelebt?

© GEPApictures / RB Leipzig
In Leipzig finde ich besonders die alternative Szene interessant. Wenn ich München mit Leipzig vergleiche, ist Leipzig in vielen Punkten einfach anders und im positiven Sinne eigen. Das finde ich sehr schön.
Ich wohne in einer wunderschönen Altbauwohnung – das habe ich zuvor noch nie. Die hohen Räume einer Gründerzeitwohnung haben ein tolles Flair. Ich bin in einem Viertel, in dem es sehr ruhig ist, und in dem es trotzdem auch nette Lokale und Geschäfte gibt. Es ist für mich immer wichtig, dass es sehr grün ist. Die Menschen sind sehr freundlich – hoffentlich auch, wenn wir mal nicht so gut spielen (lacht).

Haben Sie denn schon Lieblingsorte in der Stadt?
Ich fahre im Sommer gerne mit dem Fahrrad an der Elster entlang – da bin ich sehr gerne. Die Parks und der Cossi sind toll zum Laufen oder Fahrradfahren. Auch in der Innenstadt gibt es ein paar Gässchen und Plätze, wo ich mich gerne aufhalte.
In der alten Spinnerei In Plagwitz war ich mit meiner Familie auch schon ein paar Mal. Das ist ein wunderschöner alternativer Platz. Auch die Karl-Heine-Straße ist spannend. Es ist ganz anders, aber sehr cool. Die dortigen Kanäle finde ich sehr schön, die erinnern mich ein bisschen an Brügge in Belgien. Da sind die Menschen auch mit den Booten durch die Stadt gefahren. Das hat auf jeden Fall etwas. Leipzig ist einfach eine lebenswerte Stadt.

Sie sagen von sich, dass Sie als Spieler lauffaul waren. Wie kommt man dann dazu, als Trainer ausgerechnet diese laufintensive Spielphilosophie zu vertreten? 
Das hat sich einfach über die Jahre aus meiner Trainertätigkeit heraus entwickelt. Ich habe natürlich mit meinen Mannschaften vieles ausprobiert. Wir haben auch mal einfach hinten drin gestanden und abgewartet.
Ich glaube aber, dass Zuschauer mit einer leidenschaftlichen, laufstarken, aber auch fußballerisch hochwertigen Vorstellung zu begeistern sind und sie dann auch eher bereit sind, ab und zu mal ein schwaches Spiel zu verzeihen, weil sie merken, die Mannschaft tut und gibt alles. Im Umkehrschluss führt es dazu, dass man als Spieler eine gewisse Sicherheit bekommt. Sie wissen, wenn sie alles reinpacken, können sie auch mal Fehler machen und es wird niemandem der Kopf abgerissen. Es ist dennoch wichtig, als Mannschaft zuerst mal in Vorleistung zu gehen und zu zeigen, dass sie bereit sind, alles für den Verein zu geben. Dann wird auch jeder zufrieden nach Hause gehen.  

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Schnelles Umschaltspiel, aggressives Pressing, Gegenpressing – Wer hat Sie von dieser Spielphilosophie überzeugt? Gab es eine Person oder eine Mannschaft, die Sie beeinflusst hat?
Ich habe natürlich viele Mannschaften spielen sehen, und die eine oder andere hat mich auch fasziniert. Dortmund war ja sehr lange Zeit mit seinem sehr aggressiven Pressing und schnellen Umschalten so etwas wie ein Vorreiter dieses Fußballs. Einer der ersten war auch Ralf Rangnick, der seine Mannschaften so hat spielen lassen. Das war schon immer eine Spielweise, die mich begeistert hat – vor allem, weil man mit dieser Art und Weise mit Mannschaften erfolgreich sein kann, die vielleicht nicht so viel Qualität haben wie andere. Und darin liegt für mich als Trainer auch ein Stück weit der Reiz: Dass man in der Lage ist, Mannschaften, die vielleicht individuell bessere Spieler oder mehr Potenzial haben, trotzdem schlagen zu können. Das ist ja das Schöne. Junge Spieler wie unsere sind noch hungrig … Es ist auch eine Frage von „Nichtsattsein“, dass man diese Spielart auch läuferisch bewerkstelligen kann.  

Sie meinten mal, dass Sie gerne fünf Wechsel in einem Spiel hätten statt nur drei. Gibt es noch weitere Regeländerungen, die Sie begrüßen würden?  
Eigentlich hätte ich gerne alle Spieler, die im Kader sind, auch auf der Bank und dann die Möglichkeit, fünf Mal wechseln zu können. Auch weil das dazu führen würde, dass ich nicht am Wochenende zwei, drei Spieler aus dem Kader streichen muss, die eben das überhaupt nicht verdient haben, weil sie unter der Woche mindestens genauso viel auf dem Platz geleistet haben, wie die anderen. Da muss ich eine Selektion vornehmen, die ich eigentlich nicht vornehmen will. Und auch für das Mannschaftsklima wäre es ein großer Vorteil. Die Kaderaufstellung und Streichungen sind immer die Entscheidungen der Woche, die mir am meisten wehtun.  

Sie als ehemaliger Spieler, denken Sie, Sie sind ein besserer Trainer als die sogenannten Laptop-Trainer?
Ich finde, der Begriff Laptop-Trainer ist einfach nicht zutreffend. Es gibt doch keinen Trainer mehr, der komplett ohne Laptop klarkommt (lacht). Wer sagt, dass er keinen Laptop oder Computerhilfsmittel bräuchte, flunkert. Ich bin weder ein Trainer, der als Spieler so große Erfolge hatte, dass ich jetzt davon leben kann, noch bin ich ein Coach, der ein Computernerd ist. Ich bin jemand, der alle Entwicklungsstufen nehmen durfte, die man braucht, um als Trainer arbeiten zu dürfen. Um diesen Beruf ausüben zu können, muss man zudem gewisse Grundvoraussetzungen mitbringen: Man muss den Willen und die Fähigkeit besitzen, eine Mannschaft motivieren und einstellen zu können und sich selbst dabei nicht zu wichtig zu nehmen, das heißt gleichzeitig alles in den Dienst der Mannschaft zu stellen. Im Grunde begreife ich mich als eine Art Dienstleister für die Mannschaft, der seinen Teil dazu beiträgt, die Jungs besser zu machen. 

Ist ein ehemaliger Profifußballer ein besserer Trainer?  
Nein. Ein Psychologe hat es schön ausgedrückt: Ein gutes Rennpferd ist noch lange kein guter Jockey. Das heißt, wenn du irgendwann zum Jockey wirst, hat es nichts damit zu tun, wie gut du als Rennpferd warst. Und so ist es: Wie gut du als Fußballer warst, hat nichts damit zu tun, ob du dann ein guter Trainer wirst. 

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Der RBL-Saisonstart ist nach neun (Stand Oktober 2016, Anm.d.Red.) ungeschlagenen Partien historisch. Im „Doppelpass“ warf Ihnen Armin Veh vor, dass das Saisonziel Klassenerhalt bzw. eine sorgenfreie Saison zu spielen, Tiefstapelei sei. Nach diesem Start nun: Ist es das?
Das haben wir in der Art und Weise auch nicht formuliert. Wir haben gesagt, wir wollen so schnell wie möglich die 40 Punkte holen. Das wurde dann von den Herrschaften gleichgesetzt mit Klassenerhalt. Schnellstmöglich 40 Punkte bedeutet ja nur, dass wir eine sorgenfreie Saison spielen können, weil wir immer in der Lage waren zu punkten. Und im Anschluss daran können wir uns dann gegebenenfalls neue Ziele setzen.  

Vor jedem Spiel gibt es Aktionen der Gegnerfans oder Boykottversuche, daran sind Sie mittlerweile gewöhnt. Aber geht die Sitzblockade in Köln und die damit verzögerte Anspielzeit von 15 Minuten nicht schon in Richtung Wettbewerbsverzerrung?
Das waren 50 Chaoten, die sich da hingesetzt haben. Es hätte kein Mensch mitbekommen, wenn wir in einen anderen Eingang des Stadions reingekommen wären. Dann wäre das wahrscheinlich nicht mal erwähnt worden. So wurde es erwähnt, weil wir eine Viertelstunde später angefangen haben. Uns hat das eher noch mehr zusammengeschweißt und stärker gemacht. Für uns war das kein Problem.

Die Spieler sagen auch, dass sie so etwas als Extra-Motivation nehmen. 
Das ist definitiv so. Je größer das Publikum und je lauter das Stadion, desto heißer sind die Jungs. Jeder will dann noch mehr reinpacken. Natürlich sagt man da: Jetzt erst recht.

Wie sehen Sie die RB Leipzig-Fans?

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Für mich ist das eine neue positive Fußballkultur, die hier entsteht: sehr respektvoll und unterstützend, auch respektvoll gegenüber dem Gegner. Gegen Borussia Dortmund wurde zusammen in der Stadt gefeiert – Dortmund-Fans und unsere Fans. Ich muss ehrlich sagen, darauf können wir stolz sein. Das müssen wir uns immer beibehalten, weil wir damit nicht nur fußballerisch ein Erstligaverein sind, sondern auch mit Blick auf die Fans und Außendarstellung. Was gibt es schöneres, als solch eine gute Werbung für die eigene Stadt zu machen?

Was halten Sie von der Foul-Diskussion, die Thomas Tuchel nach dem Leverkusen-Spiel angeregt hat?
Wir beschäftigen uns damit nicht. Wir attackieren sehr geschickt und gewinnen natürlich auch viele Bälle. Aber wir sind als Mannschaft auch nicht grundsätzlich bekannt dafür, oft und viel zu foulen.  

Sie haben also nicht das Gefühl, dass in der 1. Bundesliga zu viel gefoult wird?  
Nein, das finde ich nicht. Ich denke, dass Kampf oder wenigstens eine kämpferische Einstellung einfach zum Fußball dazu gehören. Es gibt ja nicht wenige Fans, die wenn das eben nicht zu sehen ist, rufen: Wir wollen euch kämpfen sehen. Der Kampfgeist ist mit das wichtigste Attribut einer Mannschaft. Und das wird auch in Zukunft so sein.