RB Leipzig spielt in seiner ersten Bundesliga-Saison um die Vizemeisterschaft und einen direkten Startplatz für die Champions League. Wir sprachen mit dem Abwehrspieler Marvin Compper über Erfolg, den kommenden Gegner FC Bayern München, die Königsklasse und seine Pläne in Leipzig.
Vor dem Bundesliga-Start sagtest du: „Wir sollten nicht nach den Sternen greifen, sondern uns Zeit geben! Bei allem Ehrgeiz: In erster Linie geht es zunächst einmal darum, nichts mit dem Abstieg zu tun zu haben.“ Was sagst du nun zum jetzigen Zeitpunkt? Überrascht, dass ihr so eine Saison hinlegt?
(lacht) Das konnte ja niemand vorhersehen, dass wir am 31. Spieltag auf dem 2. Platz stehen, mit 5 Punkten Vorsprung auf den Tabellendritten.
Wir haben uns immer vorgenommen, dass wir von Spiel zu Spiel schauen. Und das hat uns diese Saison unheimlich viel Kraft gegeben für die jeweilige Partie. Das war extrem hilfreich. Außerdem gibt es eine unglaubliche Entwicklung in individuellen Bereichen. Einzelne Spieler haben dieses Jahr riesen Schritte gemacht. Und wir sind auch als Team gewachsen. Wir haben auch schwierige Phasen mit zwei Niederlagen in Folge hervorragend gemeistert; sind daraus stärker zurückgekehrt. Wir haben dann immer wieder die Leistung gebracht, die nötig war, um Siege einzufahren.
Wie schafft es Ralph Hasenhüttl eine so junge und teils unerfahrene Mannschaft auf den 2. Tabellenplatz zu bringen?
Es ist eine Kombination aus verschiedenen Punkten: Zum einen ist es unsere Mentalität, daran zu glauben, ein Spiel auch in der 93. Minute gewinnen zu können wie beispielsweise gegen Leverkusen. Das ist eine Eigenschaft, die uns bislang die ganze Saison über ausgezeichnet hat.
Dann ist da die individuelle Weiterentwicklung der Spieler – auf sportlichem aber auch auf psychologischem Niveau, vor allem, was das Umgehen mit Drucksituationen angeht. Daran sieht man, dass der Trainer es geschafft hat, aus dem Einzelnen und dem Team in den richtigen Momenten das Beste rauszukitzeln. Der Umgang miteinander ist einfach fantastisch. Ich denke, das sind die Schlüsselelemente, die diesen Erfolg ausmachen. Die Jungs sind alle talentiert, aber es gibt auch andere Vereine mit viel Qualität in ihren Kadern. Aber dieses Puzzle zusammenzufügen, ist definitiv dem Trainer, Sportdirektor und dem ganzen Trainerteam zu verdanken. Die Spieler müssen die Fähigkeit besitzen, sich auch immer wieder unterzuordnen und Teil dieses Puzzles sein zu wollen.
Die Hinrunde war sensationell. Woran liegt es, dass die erste Hälfte der Saison so viel erfolgreicher war (2 verlorene Spiele); in der Rückrunde gab es einen kleinen Einbruch und schon 4 Niederlagen. Ist der Mannschaft die Leichtigkeit abhanden gekommen?
Ich würde das nicht zwingend so ausdrücken. Man darf nicht vergessen, dass wir in der Hinrunde eine längere Phase hatten, in der wir quasi immer mit derselben Mannschaft gespielt haben. Zu einem gewissen Zeitpunkt waren wir eingespielt und haben dann auch eine richtige Serie hingelegt. Dann hat uns die eine oder andere Verletzung erwischt. Erst bin ich ein paar Spiele ausgefallen, dann Bernardo, dann Yussuf Poulsen und Emil Forsberg bekam die 3-Spiele-Rot-Sperre. Dementsprechend wurden wir wieder durcheinandergewürfelt, es kamen auch wieder andere Spieler zum Zuge. Nichtsdestotrotz haben wir das sehr gut gemeistert. Wir haben uns als Team weiterentwickelt.
Zudem hat in der Bundesliga dieses Jahr ein auf und ab von einzelnen Mannschaften stattgefunden. Zum Beispiel Gladbach oder Bremen konnten in der Hinrunde kaum Punkte ergattern und jetzt in der Rückrundentabelle stehen sie unter den Top 5. Das ist einfach ein Zeichen dafür, dass eine Halbserie in der Bundesliga nichts aussagt. Es sind 34 Spiele und es ist ein langes Jahr, in dem man einen langen Atem braucht. Wir wussten auch, dass es mal Dellen geben wird. Entscheidend ist, wie wir damit umgehen. Und das haben wir gut gemacht: Trotz der Niederlagen, die es in der Rückrunde gab, kamen wir immer wieder zurück, haben mit guten Leistungen geantwortet und uns auf das Wesentliche konzentriert: das nächste Spiel.
Einer eurer Gegner im Mai ist der FC Bayern München. Wie wollt ihr diese Mannschaft bezwingen? Ist es für euch überhaupt möglich, sie zu bezwingen?
Prinzipiell gibt es im Fußball immer eine Chance – davon bin ich felsenfest überzeugt. Wir müssen uns aber absolut am Limit bewegen und hoffen, dass das Bayern an diesem Tag eben nicht tut. Man hat in der Vergangenheit gesehen, dass die Bayern enorm heimstark sind, aber hier und da auch mal einen Punkt liegen lassen. Es wird sehr schwer.
Allerdings ist es für uns ein Heimspiel und wir haben dieses Jahr gezeigt, wie stark wir zuhause sind. Ich bin mir sicher, dass wir sie in unserem Stadion vor mehr Probleme stellen können als wir das im Münchner Stadion im Dezember getan haben.
Bernardo nennt es „im Moment eine unlösbare Aufgabe“.
Ich denke, ein Spiel sollte immer lösbar sein. Sie im Laufe einer Saison zu bezwingen – also vor ihnen in der Tabelle zu stehen – scheint schon unlösbar zu sein. Man darf auch nicht vergessen, wo wir herkommen. Da sollte man dass schon mal gar nicht verlangen – wir selber von uns auch nicht. Bei allem Druck und Willen, Spiele zu gewinnen, uns weiterzuentwickeln und Woche für Woche Stärke zu zeigen, ist das doch noch mal ein anderes Level. Das muss man einfach realistisch einschätzen. Bayern München ist sicher eine der drei besten Mannschaften der Welt. Man kann in einem Spiel aber immer hoffen, dass man sie mal auf dem falschen Fuß erwischt. Aber an den Bayern vorbeizuziehen und sich vor ihnen in der Tabelle wiederzufinden in einer Saison, in der sie so spielen … soweit sind wir noch lange nicht.
Geht man bei Namen wie Robben, Ribéry, Alonso & Co. mit einem anderen Gefühl ins Spiel als gegen andere?
Die Favoritenrolle ist ganz anders verteilt. Es ist immer klar: Wer gegen die Bayern spielt, ist der Underdog. Man versucht in dem Spiel den großen, scheinbar unbesiegbaren Gegner zu ärgern und wenn es gelingt wie z.B. Hoffenheim drei Punkte mitzunehmen, ist das natürlich grandios.
So wie es jetzt ausschaut, qualifiziert ihr euch direkt für die Champions League nächste Saison. Auch Ralf Rangnick hat das Saisonziel korrigiert: „Niemand will Vierter werden. Wir auch nicht.“ Ralph Hasenhüttl spricht vom „Wunder von Leipzig“. Wie geht ihr mit dieser Zielsetzung um?
Wir wissen, dass wir noch drei Punkte brauchen, dann können die anderen Mannschaften machen, was sie wollen. Das ist eine schwere Aufgabe, die wieder Schritt für Schritt bestritten werden muss, aber es ist auch eine machbare Aufgabe, die wir in der eigenen Hand haben. Es wäre wahrscheinlich etwas unglaubwürdig zu behaupten, dass wir uns gar nicht damit beschäftigen. Vor der Englischen Woche im April war uns auch klar, dass wir punkten müssen, um diese Position, die wir momentan innehaben, zu verteidigen. Bis jetzt haben wir es mit Bravour gemeistert, aber es sind auch noch drei Spiele, 9 Punkte zu vergeben. Wichtig ist, wir haben es in der eigenen Hand.
Du bist seit 2014 in Leipzig. Es ging jedes Jahr darum, in die nächsthöhere Liga aufzusteigen. Nun in der 1. Bundesliga geht es um das Erreichen der Königsklasse. Ihr steht immer unter Druck. Wie geht ihr damit um?
Es ist nicht unbedingt Druck, es ist grundsätzlich eher ein positiv belegter Ansporn. Ich bin selber schon mal abgestiegen – das ist ein negativer Druck. Und seit ich hier bin, habe ich immer positive Drucksituationen erleben dürfen. Das ist ja auch das, was jeden Spieler Tag für Tag motiviert auf den Platz zu gehen: die individuelle Leistungsfähigkeiten zu verbessern, als Mannschaft diese Ergebnisse einzufahren und Spiele zu gewinnen. Darum geht es ja im Fußball. Jedes Team geht am Wochenende auf den Platz und will einfach nur das Spiel gewinnen. Und dann geht man zur nächsten Aufgabe über. Damit können wir umgehen. Das stimuliert uns eher als dass es eine Bürde ist.
Wo soll es denn mit RB noch hingehen, wenn ihr in der Aufstiegssaison direkt in die Königsklasse durchmarschiert?
Es kann ganz schnell passieren, dass wir Spiele verlieren, wenn wir nicht vorsichtig und fokussiert sind. Dasselbe gilt auch für die Situation in der Tabelle. Man hat das jetzt in Mainz gesehen: Die Mannschaft hat es letztes Jahr in die Europa League geschafft und hate dieses Jahr mit Abstiegskampf zu kämpfen. Vor allem in der Rückrunde, nachdem der Rhythmus in der Hinrunde ganz schön viele Körner gekostet hat, sind sie in ein Ergebnisloch gefallen.
Wir sind eine sehr junge Mannschaft, unser Kader wird sicherlich auch noch erweitert werden müssen, damit wir nächstes Jahr auf gleichbleibendem Niveau auf mehreren Hochzeiten tanzen können. Das ist eine höhere Aufgabe und der muss man erst mal gewachsen sein, das muss man erst beweisen. Das wird Aufgabe genug sein. Da sollte man, ähnlich wie wir es dieses Jahr gemacht haben, einen Schritt nach dem anderen gehen.
Nächstes Jahr werden die Aufgabe und der Anspruch sein, eine erfolgreiche Saison spielen zu wollen. Wie das dann aussehen wird, wird am Anfang der Spielzeit definiert werden. Es wird sich erst herauskristallisieren, wie unser Kader bestückt ist, was man uns zutraut – intern und auch extern. Wir werden erst dann endgültig sehen oder definieren, was die Ziele sind und sein können.
Sky’s the limit?
Genau (lacht). Grundsätzlich ist unser Antrieb, das Maximum herauszuholen und jedes Spiel zu gewinnen. Inwiefern man das dann umsetzen kann, ist noch mal eine andere Frage …
Was sind denn noch deine Pläne mit RB Leipzig?
Ich habe riesige Lust und Freude daran, mit dieser Mannschaft weiter diese Entwicklung zu gehen. Jeder Gegner soll bei dem Gedanken daran, gegen uns spielen zu müssen, unangenehme Gefühle assoziieren. Wenn man erreicht, dass man für die Mannschaften ein nerviger Gegner ist, dann hat man als Team schon viel erreicht.
Ich finde, eine Mannschaft, an der wir uns jedenfalls tendenziell oder vom Grundgedanken her ganz gut orientieren können, ist Atletico Madrid: Die sind unheimlich schwer zu besiegen und gehen immer ans Limit. Und ich denke, das sind auch Eigenschaften, die auch zu unseren Stärken gehören. Wir wollen uns einfach weiterentwickeln, um vielleicht eines Tages auf so einem Niveau sein zu können wie ein Atletico Madrid. Wenn man das irgendwann mal erreichen sollte, kommt dann wieder das nächste Ziel.
Diese Mannschaft tut alles für ihren Trainer Diego Simeone. Wenn du das als Vergleich mit euch wählst, sagt das viel aus zu dem Verhältnis zwischen Mannschaft und Trainer.
Ja! Aber das geht noch weit über den Trainer hinaus. Ich denke, wir als Verein haben in den drei Jahren, die ich miterlebt habe, bewiesen, wie wir zusammenstehen und zusammenhalten – in guten und mal nicht so guten Zeiten. Auch wenn jetzt manche sagen, schlechte Zeiten haben sie doch noch gar nicht erlebt. Aber aus kleinen Dellen, die es während einer Saison gibt, kann schnell eine schlechte Phase entstehen, wenn man dem nicht entgegenwirkt. Und das haben wir immer getan, indem wir näher zusammengerückt sind und uns auch kritisch miteinander auseinandergesetzt haben. Das ist auch einer der Schlüssel, um zu wachsen und besser zu werden. Es ist nicht so, dass wir uns ständig auf die Schulter klopfen und uns sagen, wie toll wir doch sind. Sondern wir sind immer daran interessiert, besser zu werden – dazu gehört auch eine gewisse Kritikfähigkeit.
Dein Vertrag endet im Juni 2017*. Kann man davon ausgehen, dass du nächste Saison noch dabei bist?
(lacht) Mir ist auf jeden Fall daran gelegen. Und ich glaube, dem Verein auch.
Mit deinen 31 Jahren bist du der älteste Spieler auf dem Feld bei RB. Wie lange, denkst du, kannst du körperlich auf dem nötigen Level durchhalten?
Mein Wunsch ist, dass ich noch drei Jahre auf diesem Niveau spielen kann. Wie sich das entwickelt, werden wir sehen. Im Endeffekt geht es darum, ob ich bei dem Fußball, den unsere Mannschaft spielt, noch den Wert fürs Team habe und die Attribute mitbringe, die auf dieser Position gefordert ist. Solange das der Fall ist, bin ich da und werde auch alles dafür tun, um auf dem Platz zu stehen. Wenn das irgendwann nicht mehr so ist, wird man sich zusammensetzen und eine andere Lösung finden.
*Update 4.5.2017: Laut Bild.de wird Comppers Vertrag bis 2019 verlängert.