Lost (in) Places Verlassene Orte in Leipzig

Verlassene Orte einer Stadt erzählen ihre eigenen Geschichten:Wir waren auf Jagd nach diesen Geschichten, die hinter den Lost Places stehen

Verlassene Orte einer Stadt erzählen ihre eigenen Geschichten: Geschichten von früher und heute, Geschichten vom Wandel und Umbruch, Blüte und Zerfall. Sie berichten aus der Vergangenheit, spiegeln die Gegenwart und deuten in die Zukunft. Wir haben uns auf die Suche nach den letzten Lost Places in Leipzig gemacht und waren auf der Jagd nach den Geschichten, die dahinter stecken, sind durch Schnee gestapft und durch Pfützen gewatet, um euch die spannendsten Ruinen der Stadt vorzustellen, die gar nicht so lost sind, wie sie aussehen … 

Leipzigs Industrie-Ruinen ziehen viele in ihren Bann, sind sie schließlich aufregende Fotomotive, coole Kulissen und abenteuerliche Orte, die es zu entdecken gilt. Drum ist es nicht verwunderlich, dass uns auf unserer Ruinen-Tour etliche (Hob­by-)Fotograf:innen, Schaulustige, Spaziergänger:innen und anderweitig Entdeckungslustige auf den Geländen der Ruinen begegneten.

Leipzigs Lost Places sind jedoch auch ein Stück Stadtgeschichte, die von Industrialisierung, Krieg, deutscher Teilung und Wiedervereinigung, von Abwanderung und erneutem Aufschwung, Verfall und Restaurierung, der Aufwertung ganzer Stadtteile bis hin zur Gentrifizierung gezeichnet sind.

Noch gehören die Ruinen zum Stadtbild Leipzigs und irgendwie auch zum Feeling. Sie sind Schandflecken für die einen und voller Erinnerungen für die anderen. Einige haben in den Fabriken gearbeitet, andere bereits als Kinder in deren bau­lichen Überresten gespielt. Manche begrüßen den Aufschwung, der die Lost Places allmählich verschwinden lässt, andere verteufeln ihn. Es gibt eben Fürs und Wider, Visionen und Nostalgien. Die verfallenen Ruinen sind dabei vor allem jedoch eines: Symbole der Deindus­trialisierung und des Strukturwandels nach der Wende und sie verschweigen dabei nicht, dass in den 90er Jahren tausende Menschen allein in Leipzig ihre Arbeit verloren haben und um ihre Zukunft bangen mussten. Wir haben uns auf eine r(o)u(t)i­­nierte Foto-Tour begeben, um diese faszinierenden wie unheimlichen Orte zu erkunden und stellen euch die spannendsten Lost Places vor, die wie Kompassnadel in die Vergangenheit und Zukunft zugleich deuten.

Lokschuppen Bayrischer Bahnhof

Zwischen Kohlrabizirkus und MDR steht ein verfallener Lokschuppen mit 20 nummerierten Toren, in denen die Loks der Bahn früher untergestellt und gewartet werden konnten. Der Lokschuppen ist Teil des historischen Geländes des Bayrischen Bahnhofs und neben dem Portikus, der noch heute an der S-Bahn-Station Bayrischer Bahnhof steht, das einzige originale Überbleibsel des Bahnhofsgeländes aus der Zeit um 1900. So verfallen dieser Ort auch ist, lost ist der Schuppen keineswegs, als wir dort auftauchen. Direkt nebenan, an der Haltestelle MDR, warten Leute auf die nächste S-Bahn. In einer der riesigen Hallen spielen zwei Kinder, daneben befindet sich ein kleiner Skate-„Park“, bestehend aus provisorisch betonierten Rampen. Ein Pärchen ist auf der Suche nach dem perfekten Foto, in einer anderen Halle steht ein kleines Amateur-Filmset, wo gerade ein Musik-Video gedreht wird. Im Lokschuppen ist einiges los an diesem Tag. Doch lange wird es diesen Ort in der Form nicht mehr zu entdecken geben. Denn auf dem Gebiet des Bayrischen Bahnhofs wird in Zukunft ein neuer Stadtteil entstehen. Der Lokschuppen soll dann, laut Stadt, für gewerbliche und kulturelle Zwecke genutzt werden. Insgesamt sind für das 36 Hektar große Gebiet der Bau von 1.600 Wohnungen sowie Schulen und Kitas, Büros, Gewerbeflächen und sogar ein Park vorgesehen. Genaueres dazu unter:  www.bayerischerbahnhofleipzig.de

Ehemalige Jutespinnerei 
Tränkner & Würker

Wer am Kanal entlang von Plagwitz zum Lindenauer Hafen spaziert (oder andersherum), begegnet bei der Lützner Straße einer riesigen Fabrik-Ruine, die bereits 1896 als ehemalige Jutespinnerei „Tränkner und Würker“ ihren Betrieb aufnahm und in der über viele Jahre hinweg vor allem Säcke hergestellt worden sind. Zu DDR-Zeiten erfolgte unter dem Namen „Texafol“ die Umstellung von Jute auf Folie. Rund zwanzig Jahre später war Schluss mit der Produktion. Seither liegt das riesige Gelände mit dem hohen Schornstein und den riesigen Hallen am Kanal so präsent und doch so verlassen brach. Offizielle Infos dazu, was mit dem Gelände zukünftig geplant ist, scheint es bisher nicht zu geben.

Veb Polygraph Reprotechnik Leipzig

Wer die Georg-Schwarz-Straße stadtauswärts fährt, stößt am Bahnhof Leutzsch auf dieses eindrucksvolle und verlassene Gebäude. 1899 wurde hier eine Produktionsfirma für Fotografie-Bedarfsartikel gegründet. Mit Gründung der DDR übernahm der VEB Polygraph Reprotechnik das Fa­brikgelände; fortan wurden hier Druckmaschinen hergestellt. Mit dem Ende der DDR war auch das Ende dieses Produktionsortes eingeläutet. Heute befinden sich ringsherum um das Gebäude noch weitere heruntergekommene Objekte – zwei davon direkt gegenüber des Eingangs, eine weitere in unmittelbarer Nähe. Der Sanierungs-Aufschwung scheint bisher noch einen Bogen um diese Ecke der Stadt gemacht zu haben.

Maschinenfabrik Swiderski

Die ehemalige Maschinenfabrik Swiderski an der Zschocherschen Straße ist vermutlich die berühmteste Ruine der Stadt – und mal ganz ehrlich: Wer von euch hat das Gelände noch nie betreten, erkundet und Fotos von der beeindruckenden Deckenkonstruktion gemacht!? Im Sommer wirkt die Halle mit der ehemaligen Glasdach-Konstruktion wie ein riesiges Tropenhaus. Stück für Stück scheint  sich die Natur diese Ruine zurückzuerobern. Errichtet wurde das Gebäude bereits 1888. Zuletzt wurden dort Druckereimaschinen hergestellt – auch hier war 1990 Schluss. Ein spannender Tipp: Geht mal zu Goo­gle Streetview und schaut euch dort virtuell in der Gegend um. Ihr werdet feststellen, dass die Aufnahmen, die Google 2008 erstellt hat, optisch kaum noch etwas mit der Gegend von heute zu tun haben. Architektonisch ist diese Ecke kaum wiederzuerkennen. Hier gehts zur Streetviewansicht

Buchbindereimaschinenwerke Karl Krause

Mit ihren drei Türmen und insgesamt 7.700 Quadratmetern Fläche ist die 1913 erbaute Fabrik im Stadtteil Anger-Crottendorf eine imposante Erscheinung und wurde aufgrund ihres Erscheinungsbildes und ihrer Geschichte auf die Denkmalliste der Stadt aufgenommen. Einen tollen Blick auf das Gebäude und das dazugehörige Gelände (auf welchem mittlerweile ein stattliches, kleines Wäldchen wächst) hat man von der schräg dahinter  liegenden,  ehemaligen Eisenbahnstrecke. Näher ran zu gehen lohnt sich ebenfalls, denn von unten kann man sogar einen Blick in einen der ehemaligen Fahrstuhlschächte bis nach ganz oben erhaschen. Unter www.krause-fabrik.de findet ihr Infos zur geplanten Umgestaltung in ein Wohnhaus und der Historie der alten Fabrik.

Alte Sternburg Brauerei

Das Highlight zum Schluss:

Die Alte Sternburg Brauerei in Lützschena liegt mitten in einem aus Einfamilienhäusern bestehenden Wohngebiet am äußersten Rand der Stadt. Der Komplex ist riesig und besteht aus einer Vielzahl an unterschiedlichen Gebäuden, Hallen und Türmen mit dunklen Räumen, in denen sich teilweise der Schrott stapelt und Treppen, die ins Ungewisse führen. Vor 199 Jahren wurde die Sternibrauerei auf dem damaligen Rittergut Lützschena gegründet, damals unter dem Namen „Freiherrlich v. Sternburg’sche Brauerei“. Seit 1989 wird unser Sterni in Reudnitz gebraut, seitdem verwittert das alte Gelände im Nord-Westen der Stadt, das wahrlich die Bezeichnung Lost Place verdient. Auf unserer Tour sind die Sterni-Ruinen der einzig wirklich verlassene Ort. Graffiti und Müll lassen zwar erahnen, dass sich dort ab und an Menschen rumtreiben, doch außer Fuchsspuren im Schnee bekommen wir nichts zu sehen, das auf Leben hindeutet.

Mehr zur Sterni-Geschichte unter: www.sternburg-bier.de 

 Auf den folgenden Seiten gibt es noch mehr Infos und Fotos zu den einzelnen Industrie-Ruinen:

 ↗ www.leipziger-industriekultur.de

www.marodes.de

www.industrie-kultur-ost.de

www.denkmalradar.de

www.rottenplaces.de