Moritz Malsch ist Mitbegründer des Literaturhauses Lettrétage in Kreuzberg und arbeitet nebenbei als Lektor. Er ist der Ansprechpartner für Literatur in der Koalition der Freien Szene. Die Koalition der Freien Szene ist eine offene Aktionsplattform, die 2012 im Rahmen der City Tax-Diskussion entstanden ist. Das Gremium besteht aus einem Sprecherkreis, in dem Leute aus Berufsverbänden sowie freie Künstler sitzen. Die Koalition steht mit dem Kulturausschuss und dem Kulturstaatssekretär in Kontakt und vertritt die Interessen der Freien Szene in der Politik und der Öffentlichkeit. Erstmals soll die Freie Szene jetzt Geld aus den City Tax bekommen.
1. Mit welchen Problemen habt ihr als „freie Künstler“ zu kämpfen?
Das Grundproblem ist leider das Geld. Die Mieten in Berlin steigen auch für Räume der künstlerischen Produktion und Präsentation wahnwitzig – und wir können das nicht bezahlen. Die Subkultur droht deswegen wegzubrechen. Die Freie Szene ist sehr heterogen, das reicht von Künstlergruppen und einzelnen Künstlern bis hin zu schon relativ großen Veranstaltungsorten, die zwar ihre Miete bezahlen können, aber für ihr Programm immer noch Unterstützung brauchen. Wenn man dann bedenkt, dass das Einkommen eines freien Künstlers in Berlin etwa bei 800 bis 1000 Euro liegt, dann ist die Frage, wovon man noch die Miete bezahlen soll. Künstlerische Arbeit wird oft nicht angemessen bezahlt und ist auf Förderung angewiesen..
2. Also fehlt es euch auch an Anerkennung für die Kunst?
Uns fehlt es an finanzieller Anerkennung. Wenn du in ein Café gehst und Kaffee bestellst, würdest du nie davon ausgehen, dass du den Kaffee gratis bekommst. Bei künstlerischen Leistungen hast du oft den Anspruch, dass du nichts für Leistungen bezahlen musst. Wir sehen das bei Lesungen: Manche Leute meckern wegen fünf Euro Eintritt. Die Anerkennung für künstlerische Arbeit ist da, aber die Bereitschaft, das auch zu honorieren – aus öffentlichen Mitteln, Förderung oder dass ich hingehe und dafür bezahle – ist häufig dann eben doch nicht da. Kunst ist ja auch kein einfach zu konsumierendes Produkt, das verlangt ja auch von dir geistige Arbeit, sich darauf einzulassen – und wenn sie dann auch noch dafür bezahlen müssen…
3. In eurem Programm sprecht ihr von einer „eklatanten Fehlentwicklung im Berliner Kulturhaushalt“ – und das in der Kulturmetropole Berlin. Was genau läuft eurer Meinung nach falsch?
In Berlin wurde jahrelang gespart – auch in der Kultur. Und wo gespart wird, werden auch Prioritäten gesetzt. Die Prioritätensetzung im Kulturbereich ging extrem gegen die Freie Szene, es wurde auf die „Leuchtturmförderung“ gesetzt. Es gibt etwa 40.000 freie Künstler in Berlin, nur 2000 sind an Institutionen angestellt. Etwa 95 Prozent der Künstler in Berlin sind also der freien Szene zuzuordnen, die am Ende aber nur 5 Prozent des Kulturetats erhalten. Und die Künstler sind nicht in der freien Szene, weil sie keinen festen Platz bekommen haben, das sind keine Laienkünstler, sondern Professionelle. Das ist ein Produktionsstil, den viele bewusst wählen. Das ist die Fehlstruktur: Für die ganz Großen war das Geld immer da. Klar geht es auch um Touristen. Aber vielleicht ist die freie Szene, ist die Subkultur sogar noch prägender für Berlin als die großen Kultur-Tanker. Aus unserer Sicht wurden einfach jahrelang die falschen Schwerpunkte gesetzt.
4. Deswegen habt ihr die Einführung der City Tax gefordert?
Ja, das war der Grund dafür, dass wir neues Geld in das System bringen wollten, das für die freie Szene verwendet werden soll. Die Steuer wurde schnell eingeführt, alle Ressorts haben etwas davon beansprucht und am Ende blieb für die freie Szene und die Kunstförderung insgesamt nichts mehr davon übrig. Mit dem neuen Kulturstaatssekretär Tim Renner ist ein Gesprächsprozess ins Rollen gekommen, er hat es sich zur Herzensangelegenheit gemacht, die freie Szene zu fördern. Wir saßen häufig mit am Tisch und konnten unsere Sicht einbringen. Jetzt gibt es immerhin einen Projektförderfonds, der aus der City Tax bestückt wird. Aber das ist nur ein kleiner Anteil, die Einnahmen der City Tax liegen jetzt so bei 50 bis 60 Millionen Euro pro Jahr. Für Projekte aller Kunstsparten zusammen stehen rund 1,8 Millionen Euro zur Verfügung.
5. Wie zufrieden seid ihr mit dieser „Ausbeute“?
Von den gesamten City Tax bleibt für uns als freie Szene nur ein winziger Teil übrig – das kann nur ein erster Schritt sein. Aber immerhin! Uns geht es ja auch um das WIE. Wir haben das neue Förderinstrument mit ausgehandelt und konnten viele Verbesserungen gegenüber dem ursprünglichen Konzept durchsetzen. Bei der allerersten Ausschreibung gab es bereits 405 Projektanträge – das spricht dafür, dass der Fonds sinnvoll strukturiert ist und den Bedarf der Szene trifft. Bei der Zusammensetzung der Jury, die über die geförderten Projekte entscheidet, haben wir uns dafür eingesetzt, dass es wenigstens zwei Leute pro Sparte gibt, sodass die Vergabe fairer und weniger willkürlich ist. Der ganze Prozess wurde transparenter gemacht und das ist einfach ein Riesen-Schritt nach vorne.
6. Ist da nicht Streit vorprogrammiert, wenn eine Jury das Geld verteilt und einige leer ausgehen?
Man mindert diesen Streit, indem man für einen vernünftigen Vergabeprozess sorgt. Dass nicht alle gefördert werden können, ist natürlich klar. Aber wir begleiten den Prozess und werten ihn auch hinterher zusammen mit der Kulturverwaltung aus. Wir hatten auch Einfluss auf die Juryzusammensetzung, waren beim Briefing dabei. Dadurch ist halbwegs gewährleistet, dass es eine gerechte Vergabe gibt. Natürlich bleiben solche Vergaben immer ein Stück weit subjektiv, aber es gibt verbindliche Kriterien, an dnen sich die Jury orientieren muss, neben der künstlerischen Qualität zum Beispiel die Nachhaltigkeit und Langfristigkeit von Projekten.
7. Du selbst bist Mitbegründer des Literaturhauses Lettrétage, arbeitest aber nebenbei noch als Lektor. Ist das das Sinnbild für die freie Szene, in der ein Job zum Leben nicht ausreicht?
Ja. Gerade in der Literatur haben ja viele gar nicht den Anspruch, nur davon zu leben, das ist sowieso hoffnungslos. Welcher Lyriker lebt vom Verkauf seiner Gedichtbände? Was über die künstlerische Arbeit an Geld hereinkommt, reicht einfach nicht. Als Lettrétage haben wir da eine Sonderstellung, wir sind Kuratoren, die eher Kunst organisieren, als sie selbst zu machen. Wir sind ein Prototyp für eine Ankerposition, wir haben keinen festen Programmetat und machen die Türen für die gesamte freie Szene auf. Seit Jahren arbeiten wir am Anschlag und da überlegt man sich schon, wie lange das so gehen kann. Das ist schade, dass man so kämpfen muss. Aber es ist auch eine selbstgewählte und schöne Art zu arbeiten. Ich möchte unsere Arbeit nicht eintauschen gegen einen Bürojob, wo ich Befehlsempfänger und ein kleines Rädchen im Getriebe bin. Die Art zu Leben gefällt mir schon sehr, es wäre nur schön, wenn auch das Geld ausreichen würde.
Interview: Laura Bertram