Geschichte, die jeden angeht Ausstellung in Berlin zum Rassenwahn im Nationalsozialismus

Die Herrschaft der Nationalsozialisten in Deutschland von 1933 bis 1945 ist eines der Kapitel, dass wir am liebsten aus der Vergangenheit streichen würden. Terror, Volksverhetzung und Rassenvernichtung sind nur einige der Verbrechen, die von den Nazis verübt wurden. Berührungsängste unserer heutigen Generation mit dieser Zeit sind weit verbreitet, doch dieser Teil der Geschichte wird uns noch lange verfolgen. Nicht nur deshalb ist es besser sich damit auseinander zu setzen. Und so etwas geht am besten in Ausstellungen, die einem einen höchst detaillierten Überblick über die schrecklichen Methoden der Nationalsozialisten und die Leiden der Opfer gewähren. Wenn ihr mehr zur Entwicklung und Umsetzung des nationalsozialistischen Rassenwahns wissen wollt, solltet ihr noch bis zum 19. Juli das Jüdische Museum Berlin besuchen. Die eindrucksvolle Sonderausstellung „Tödliche Medizin. Rassenwahn im Nationalsozialismus“ lädt ein zum Staunen, Erfahren und Nachdenken.
1933 erhob der NS-Staat den Rassegedanken zum Leitmotiv seiner Gesundheits- und Bevölkerungspolitik. Bis 1945 wurden 400.000 Menschen zwangssterilisiert und allein in Deutschland und Österreich über 210.000 geistig Behinderte und psychisch Kranke ermordet. Zahllose Psychiatriepatienten starben infolge medizinischer Versuche. Diese Eingriffe und Tötungen hatten die Schaffung einer erbgesunden „arischen“ Rasse in
Deutschland und die Befreiung des Volkes von „Ballastexistenzen“ zum Ziel.

Ihren Ausgangspunkt hatte diese Entwicklung in den modernen Wissenschaften der Erblehre und Rassenhygiene, deren Anliegen zunächst auf die Bekämpfung großer Seuchen gerichtet gewesen war. Zu den wirkungsvollsten Metaphern geriet die Vorstellung vom „Volkskörper“. Nicht erst im NS-Staat erhielt diese Metapher zudem eine aggressive Stoßrichtung: Die „Ausmerzung“ von Kranken, Unproduktiven und „Artfremden“ ließ sich mit diesem Bild als notwendige Maßnahme zur „Gesundung“ eines Volksganzen propagieren. Mit Kriegsbeginn beschleunigten ökonomische Motive die Entscheidung für das „Euthanasie“-Programm. Zu dessen radikalen Maßnahmen gehörte die von Januar 1940 bis August 1941 zentral gelenkte Mordaktion an psychisch Kranken und geistig Behinderten, die unter der Bezeichnung „T4“ (bezeichnet nach der Adresse der zentralen Dienststelle der Krankenmorde in der Berliner Tiergartenstraße 4) in sechs Tötungsanstalten im damaligen Reichsgebiet durchgeführt wurde. Sie wurde zum Modell für den millionenfachen Mord an den europäischen Juden, der kurz darauf begann. Die Ausstellung „Tödliche Medizin. Rassenwahn im Nationalsozialismus“ präsentiert diesen Zusammenhang erstmals in einer großen Überblicksschau. Sie wurde vom United States Holocaust Memorial Museum in Washington, D.C., für ein amerikanisches Publikum erarbeitet und anschließend im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden gezeigt. Im Jüdischen Museum Berlin ist die Ausstellung nun in einer erweiterten und gestalterisch überarbeiteten Version zu sehen. 130 Originale und rund 600 Repros visualisieren die Entwicklung von der Eugenik in der Weimarer Republik über die nationalsozialistische Rassenideologie und die Politik der Vernichtung bis hin zur Strafverfolgung, Flucht und vielfach nahtlosen Fortsetzung der Karrieren der Täter nach 1945. Am Beispiel der Region Berlin und Brandenburg veranschaulicht die Schau Organisation und Ablauf der Krankenmorde und stellt beteiligte Institutionen, Personen und Orte des Geschehens vor.
Kern der Ausstellung bildet das Kapitel zur „Euthanasie“, das das Geschehen unter anderem mit Fallbeispielen aus Berlin und Brandenburg beleuchtet. Der Massenmord an Kranken geschah in mehreren Aktionen und auf unterschiedliche Weise. Zu den bekanntesten gehört die zentral organisierte „Aktion T4“. Sie fand von Januar 1940 bis August 1941 in sechs Tötungsanstalten statt, die – mit Ausnahme von Brandenburg – innerhalb bestehender Heil- und Pflegeanstalten im Reichsgebiet eingerichtet worden waren. Nach dem Stopp der T4-Aktion 1941 wurde das Morden dezentral fortgesetzt. Es lag nun in der Regie der Heil- und Pflegeanstalten selbst, in denen Ärzte mittels Überdosierung von Medikamenten und durch gezieltes Verhungernlassen töteten.


Fotos: Jüdisches Museum Berlin, Jens Ziehe

Neu ist in der Berliner Version der Ausstellung auch, dass die Lebensgeschichte eines „Euthanasie“-Opfers aus der Binnensicht präsentiert wird – eine Seltenheit, denn persönliche Berichte der Betroffenen sind bislang kaum überliefert. Dokumente, Briefe, Fotos und persönliche Aufzeichnungen erzählen die Geschichte von Martin Bader, Schuhmachermeister aus Giengen an der Brenz. Sein Tagebuch und die Briefe aus der Anstalt Bad Schussenried, die Martin Bader bis zum Transport in die Tötungsanstalt Grafeneck an seine Familie schrieb, erschließen das Bild eines lebensfrohen Menschen. Diese Dokumentation aus Privatbesitz wird erstmals in Berlin gezeigt. Sie ist eine Besonderheit, da Biografien von Opfern zumeist auf Krankenakten angewiesen sind, auf Berichte, Befunde, Fotos und Informationen also, die mit dem sachlich beobachtenden Blick von Ärzten und Pflegern niedergelegt sind und oft nur wenig Einblick in die Persönlichkeit des Kranken bieten. Der Fokussierung auf die Täter setzt das Jüdische Museum Berlin die individuelle Perspektive der Opfer entgegen.

Information

Wann: 13. März bis 19. Juli 2009
Wo: Jüdisches Museum (Lindenstraße 9-14, 10969 Berlin), Altbau 1. OG
Eintritt: 4 Euro, erm. 2 Euro

Öffentliche Führungen finden montags um 18 Uhr und sonntags um 15 Uhr
statt; Führungen für Gruppen nach Terminabsprache unter Tel. 030 – 25993
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Weitere Informationen unter www.jmberlin.de/toedliche-medizin