Bosse schwoft mit seinem neuen Nummer-1-Album „Engtanz“ durch Gehörgänge und Konzerthallen. Wir haben vor seiner Tour mit dem „blassesten Mensch in ganz Deutschland” über das Erwachsenwerden, seinen Höhlensommer und fragwürdige Deals in der Literaturbranche gesprochen.
Hallo Aki. Wie geht es dir mit dem Album-Release und der Tour vor der Tür?
Man merkt gerade, dass wir alle echt wieder auf die Bühne müssen. Studio ist schon so ein bisschen mein Ding, nicht unbedingt die geschlossenen Räume, aber das Schreiben. Wenn ich dann aber den ersten Monat durchgeschrieben habe und 18 Stunden am Tag grüble und hadere, dann denke ich oft: „Oh bitte, lass jetzt bald das neue Jahr kommen und lass mich wieder spielen.“
Ich freue mich aber echt auch immer noch wie ein Kind, wenn ich ein Album fertig kriege, weil das für mich auch nicht normal und immer so anstrengend ist.
Viele Konzerte waren ja schnell ausverkauft …
Ja, an dem Tag, als wir die Tourdaten veröffentlicht haben, waren einige Städte schon nach wenigen Stunden voll oder halbvoll. Da dachte ich: „Krass, Alter. Du hast echt treue Leute. Die haben noch keinen Ton gehört und kaufen sich einfach ‘ne Karte. Voll gut.“ Das war dann ein ganz schöner Push und echt ein Schlüsselerlebnis für mich, weil es mir damals rein psychologisch gar nicht so gut ging. Kurz vor Albumende war ich schon ziemlich unten, weil ich auch immer alles alleine mache. Wenn man das mit Sport vergleicht, bin ich so ein bisschen wie ein Schach- oder Tennisspieler, im Gegensatz zu Teamsportarten.
Der Fokus liegt in deiner Musik ja klar auf den Texten. Beim neuen Album hat man nun den Eindruck, dass du auch sehr viel Zeit und Liebe zum Detail in die Musik gesteckt hast. Vielleicht mehr als zuvor, stimmt der Eindruck?
Ja, definitiv. Philipp, mein Produzent, ist musikalisch nochmal eine ganz andere Liga. Ich kann zwar Songs schreiben, aber Philipp ist ein Genie, ein kleiner Beethoven. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich ihn mit meinen „Normalo-Songs“ nie so richtig gefordert habe. Außerdem habe ich auch mit ein paar Leuten aus dem Umfeld von Arcade Fire gesprochen. Es gibt halt einfach Bands, die sich länger und intensiver um Musikalität kümmern und an einem Song auch mal ein halbes Jahr arbeiten, ihn dann wieder weglegen, Hallräume ausprobieren und unzählige Instrumente aufnehmen, nur um die Hälfte dann wieder wegzuschmeißen. Ich dachte ja sonst immer, je spärlicher, desto besser. Aber wir haben uns diesmal wirklich ganz schön viel Mühe gemacht. Der Berliner Kneipenchor war zum Beispiel auf jedem Song. Den mussten wir am Ende irgendwo auch wieder rausschmeißen, sonst hätte ich ein Choralbum gemacht.
Engtanz ist ja eine langsame Form des Tanzes, welcher Intimität ermöglicht. Warum hast du das Album so genannt?
Eigentlich gab es mal einen Song auf dem Album, der Engtanz hieß. Meine feurigste Nacht in den letzten zehn Jahren war eine krasse Engtanzparty in Hamburg. Zuerst wurde gekocht, dann hat der Koch plötzlich alles zur Seite geräumt, alle hatten schon viel Wein getrunken und plötzlich haben die Leute dann angefangen, zu schwofen. Der hat ziemlich geschmackvoll aufgelegt. Das war ein guter Abend und dann habe ich den Song geschrieben.
Am Ende fand ich das Album sehr zweigeteilt. Entweder man tanzt oder man legt sich hin und hört zu. Da passte das Wort „Tanz“ sehr gut, weil es irgendwie ein energetisches Tanzalbum geworden ist und das Wort „Eng“ für Nähe, Stirn an Stirn sein. Die Wortmischung war dann perfekt. Aber diese verdammten Albumtitel, ey. „Kraniche“ sollte eigentlich „Im Nachtbusfenster der Mond“ oder so heißen. Dann kam mein bester Freund, gab mir ‘ne Faust und meinte: „Bist du jetzt Philosophiekurs, erstes Semester oder was?“ Ich verzettel mich da immer und bin echt froh, wenn ich ein prägnantes Wort habe, das ich mir selber irgendwie erklären kann.
Die erste Single war „Steine“. Hast du dir kürzlich an irgendwas die Zähne ausgebissen? Außer am Albumtitel.
(lacht) Ja, genau. Hätten wir nicht darüber gesprochen, hätte ich das direkt gesagt.
Ansonsten habe ich im Hochsommer tatsächlich gebissen, als ich das Gefühl hatte, dass alle im Schwimmbad sind und ich der einzige Mensch bin, der gerade im Trainingsanzug in seinem beschissenen Keller sitzt, zu viel Kaffee trinkt, Kippen raucht und seine Texte wegwirft. Der Sommer war für mich eher ein Höhlensommer. Ich war der blasseste Mensch in ganz Deutschland.
In einigen Songs blickst du auf deine Jugend zurück. Fühlst du dich jetzt richtig erwachsen?
Ich weiß immer noch nicht genau, was das heißt. Aber ich merke – fast ein bisschen klischeemäßig – den Zahn der Zeit an meinem Körper. Es geht nicht mehr, dass ich zwei Nächte durchsaufe und tanze. Ich merke es auch an meinem Kind, das jetzt bald 10 Jahre alt wird. Ich gucke sie an und denke: „Du hast doch gerade noch zwischen Ellenbogen und Hand gepasst. Und jetzt bist du schon fast so groß wie ich.“ Irgendwie spüre ich jetzt zum ersten Mal dieses Gefühl, dass die Zeit vergeht. Ich glaube, das könnte man unter „sich erwachsen fühlen“ bezeichnen. Deswegen habe ich auch viel darüber geschrieben. Das ist kein Album, was ich zwischen 17 und 25 hätte schreiben könnenBei mir im Umfeld leben mittlerweile die ersten Freunde, die doppelt so hart Party gemacht haben wie ich, nicht mehr. Manchmal hat man das Gefühl, die Hälfte ist rum. Da macht man sich schon Gedanken.
Mit dem Lauf des Lebens beschäftigt sich auch „Krumme Symphonie“. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Casper für diesen Song?
Casper und ich sind mittlerweile schon ziemlich lange befreundet. Wir haben uns irgendwann mal auf einem ziemlich kleinen Unifestival in Gera oder so kennengelernt. Ich habe, glaube ich, so um 13 Uhr gespielt und Casper um 12. Seitdem mögen wir uns. Ich habe drei Leute im Musikgeschäft, mit denen ich mich immer wieder austausche, wenn es um neue Musik geht. Das sind Markus Wiebusch, Judith Holofernes und eben Casper.
Als wir in Berlin aufgenommen haben, habe ich mit Casper ziemlich viel Sport gemacht. Er hat dann auch Songs gehört und als „Krumme Symphonie“ kam, haben wir gesagt: „Alter, das ist unser Feature.“ Ich finde es immer schlimm, wenn Popper oder Indie-Popper Hip-Hopper featuren und nach dem ersten Refrain dann immer der Mega-Break mit dem Rapper kommt. Ich wollte ein Playback, das durchläuft und wo wir beide gleichberechtigt auf den selben Beat singen können. Das hätte es außer bei dieser Nummer gar nicht gegeben. Casper hatte auch direkt eine Idee zu dem Thema und dann ging das ziemlich schnell.
Deine Art zu singen hat ja ab und an auch etwas von Sprechgesang. Machst du irgendwann eine Art Indie-Hip-Hop-Hybrid-Album wie Caspers Hinterland?
Ich hänge ja hier und da viel in Hip-Hop-Studios rum. Manchmal muss ich dann vorlegen und oft sagen die Leute: „Ey, mach doch auch mal Rap-Album.“ Aber irgendwie … ich weiß nicht. Ich habe auch nochmal Sachen wie „Keine Panik“ von mir gehört, wo ich fast die ganze Zeit rede. Das ballert auch ganz gut. Eigentlich ärgere ich mich auch oft darüber, dass ich immer so viele Informationen in so wenig Text packen will. Vielleicht kann ich mir ja doch mal wieder die 16 Zeilen nehmen. Bock hätte ich schon.
Wie wäre es mit einer Zusammenarbeit mit Kollegah? Bosse und der Boss. Das wäre doch ein passende Kombi.
(lacht) Ja, genau. Thees Uhlmann sagt ja immer, dass ich mein Album „Der Bosse der Bosse“ nennen soll.
Du bist dieses Jahr wieder bei den Fritz Deutschpoeten dabei. Hast du deutsche Lieblingsdichter?
Wo wir gerade über ihn gesprochen haben, ich finde Kollegah so gut. Haftbefehl ist auch tierisch, mit dem habe ich mich in letzter Zeit viel auseinandergesetzt. Dann spiele ich bei den Deutschpoeten ja auch mit Chefket, der ultra wortgewandt, so schnell, aber auch so schlau ist. Casper sowieso, da bin ich auch einfach Fan. Und natürlich Judith Holofernes, die eine der schlausten Personen überhaupt ist, und Sven Regener, weil ich diese Knarzigkeit und dieses Direkte gut finde.
Bei den alten Dichtern bin ich bei den üblichen Verdächtigen wie Rilke. Und Sylvia Plath, die Ariel geschrieben und sich umgebracht hat. Ich habe gerade den Gedichtband auf Englisch gelesen, was mir als deutschen Texter eigentlich gar nicht so viel bringt.
Kollegen wie Thees Uhlmann machen’s vor. Wirst du auch irgendwann einen Roman schreiben?
Ich werde tatsächlich seit etwa sechs Jahren im monatlichen Takt von irgendwelchen Verlagen angebombt, die mir Geld bieten und sagen: „Wir brauchen nur eine Idee. Dann kriegst du ‘ne Lektorin und wir machen das.“ Und ich sage immer: „Ne, Alter. Auf gar keinen Fall. Was ist das für ein bescheuertes Angebot. Wenn dann schreibe ich etwas und ihr findet das gut, aber ihr könnt mir doch nicht einfach eine Lektorin vorsetzen, die dann alles für mich schreibt.“ Ich habe auch schon darüber nachgedacht, mal ein Buch zu schreiben, aber echt noch nicht die Zeit oder die richtige Idee dafür gefunden. Im Moment mache ich so gerne Musik und ich habe weder Zeit noch Lust, mich ein Jahr mit etwas anderem zu beschäftigen. Die haben mich auf jeden Fall noch nicht gekriegt mit ihren unmoralischen Angeboten.
Apropos Unmoralisch. Viele Eintracht Braunschweig-Fans boykottierten den Rückrundenauftakt bei RB Leipzig. Wie stehst du zu RB und solchen Aktionen?
Was für eine Überleitung (lacht). Also ich kann durchaus verstehen, dass Fans eines Traditionsvereins einen durchgesponserten Verein im Grunde doof, kacke und unfair finden. Auf der anderen Seite ist es aber einfach der Zeit geschuldet. Man weiß halt irgendwie schon, dass es irgendwann normal sein wird, dass jeder Verein gesponsert oder auf eine Weise privatisiert sein wird. Ich glaube, das ist nicht aufzuhalten. Aber trotzdem ist es ehrenwert, dass es Leute gibt, die sagen: „Nö, da gehe ich nicht hin. Das finde ich doof.“ Für Leipzig ist es natürlich grundsätzlich eine gute Sache. Leipzig ist so eine tolle Stadt und die werden bald in der ersten Fußballbundesliga spielen und vielleicht einer der wenigen Vereine sein, der den Bayern das Wasser reichen kann, weil sie die finanziellen Mittel bekommen. Aber dieses RB ist schon auch ein bisschen dumm, wenn auch ein megaschlauer Schachzug. Rasenballsport ist ja der Wahnsinn. Ich glaube, der Marketing-Typ hat sich erstmal einen richtigen Schampus aufgemacht, als er das erfunden hat.
Du hast ein halbes Jahr mit deiner Familie in Istanbul gelebt. Hast du aus dieser Zeit etwas mitgenommen, was deine Sichtweise hier verändert hat?
Ja, definitiv. Ich komme ja eigentlich vom Dorf und große Städte wie Hamburg oder Berlin haben mich immer gestresst. Istanbul hat mich komplett geheilt. Ich musste die ersten zwei Wochen immer Mittagsschlaf machen, weil mir von den vielen Menschen und den vielen Eindrücken schwindlig war. Überall sind Menschen, Tokio ist echt Micky Maus dagegen. Irgendwann habe ich mich aber so daran gewöhnt, dass ich mittlerweile durch Berlin spaziere, als wäre es ein Naherholungsgebiet.
Sonst habe ich Sachen mitgenommen, die mein Leben betreffen. Dass ich zum Beispiel glücklich bin, hier in Deutschland Künstler sein zu können. Die meisten türkischen Musiker und Schauspieler haben es viel schwerer, was ganz klar an der eingeschränkten Freiheit liegt. Alle fühlen sich ziemlich unwohl. Man kann öffentlich oft nicht machen, was man möchte, weil die Überwachung superhart ist und man schnell Abmahnungen und Ärger bekommt. Dadurch merkt man erst, in was für einem aufgeräumten, noblen Land wir leben, wie gut wir alle abgesichert sind. Auch Dinge wie Elektrizität und WLAN habe ich neu schätzen gelernt.
Ich habe aber auch die Lebensweise aus Istanbul mitgenommen. Dass man mal entspannt in den Tag leben kann, dass man gastfreundschaftlich und offen ist und Leute einfach mal mitnimmt. Dass viel mehr miteinander geredet und aufeinander zugegangen wird. Istanbul ist schon eine wunderschöne Stadt mit echt guten Leuten.
Danke für das Gespräch!
Ich bedanke mich!
Infos: Am 13. März 2016 wird Bosse im bereits restlos ausverkauften Astra Kulturhaus seinen Engtanz zelebrieren, am 6. Dezember gibt er dann den Nikolaus in der größeren Columbiahalle.