Poetry-Slammerin Julia Engelmann kann nicht nur texten, sondern auch singen. Im nächsten Jahr bringt sie ihr erstes Album heraus und in diesem Herbst geht sie mit ihrem Programm auf Tour. Doch bevor es soweit ist, spricht sie mit uns über ihre Karriere und ihre Rolle als Stimme ihrer Generation.
Innerhalb von drei Jahren hast du drei Bücher herausgebracht. Woher kommen in so kurzer Zeit so viele Ideen? Was hast du für die nächste Zeit geplant und stehst du unter Druck, so weiter machen zu müssen?
Ich finde das eher wenig, verglichen mit den Ideen, die ich habe. Ich hätte auch sechs Bücher geschafft. Mir fällt einfach sehr viel ein und ich finde es schön, bestimmte Phasen in meinem Leben festzuhalten. Das ist wie ein Marmeladenglas voller Gefühl, das ich speichere. Von daher fühle ich mich vor allem inspiriert. Ich nehme alles, wie es kommt. Auch, dass das Ganze hier mein Beruf geworden ist, war gar nicht absehbar. Vor vier Jahren habe ich nicht gedacht: „Die nächsten drei Jahre bringst du regelmäßig ein Buch raus“, sondern ich dachte: „Voll schön, dass ich ein Buch veröffentlichen darf und dann gehe ich zurück zur Uni.“ Und so lief das Buch für Buch.
Wie weit reicht dein Bekanntheitsgrad mittlerweile? Kannst du dein Leben normal weiterführen oder wirft die Öffentlichkeit doch ständig ein Auge auf dich? Was hat sich verändert?
Was sich wirklich verändert hat, ist mein Beruf. Vorher dachte ich, dass ich Psychologin werde. Jetzt bin ich Vollzeitpoetin. Ansonsten ist mein Alltag der gleiche, genauso wie mein Freundeskreis. Meistens werde ich auch nicht erkannt.
Und trotzdem kommen viele Zuschauer.
Auf jeden Fall. Ich war vor kurzem auf Tour und pro Abend kommen mittlerweile bis zu 2.000 Leute. Die Bücher wurden viel gelesen und waren auf der Spiegelbestsellerliste. Auf meinen Alltag hat das keine Auswirkungen, weil ich die meiste Zeit nicht auftrete, sondern ein normales Leben führe.
Ich habe gehört, dass du dich von vielen Autoren inspirieren lässt. Wer ist dein Lieblingsliterat und inwiefern wirkt er auf dich?
Mich inspirieren sehr viele verschiedene Dinge. Ich höre wahnsinnig gern Musik und liebe Songtexte zum Beispiel von Alt J und Elliot Smith. Ich finde so vieles sehr poetisch. Ich lese gerne Hesse, ich mag die Erzählungen von Eric Manuel Schmidt, klassische Gedichte, Dorothy Parker und Yoko Ono. Gerade habe ich Michael Ende gelesen. „Momo“ und „Die unendliche Geschichte“ finde ich total schön.
Was macht für dich ein gutes Gedicht aus?
Für mich muss es nicht mal ein klassisches Gedicht sein, sondern einfach ein schöner Gedanke oder eine Zeile, die mich inspiriert. Ich mag zum Beispiel „The opposite of loneliness“, eine Rede von Marina Keegnan. Darin geht es um Jugend und Zeit. Am Tag darauf ist sie bei einem Autounfall gestorben. Die Rede wurde post mortem veröffentlicht. Eines meiner Lieblingszitate darin ist: „And I cry because everything is so beautiful and so short.“ Das ist gar kein Gedicht, aber ich finde es wahnsinnig poetisch und es macht ganz viel mit mir. Ein ehrlicher, schöner Gedanke zählt. Und so gehe ich auch für mich selbst an die Sache ran. Das bekommt dann oft einen Rhythmus, einfach weil ich so gerne denke und schreibe. Insgesamt braucht es nicht viel, sondern einfach nur einen Gedanken.
Du wurdest zu Beginn deiner Poetry-Slammer-Karriere als Stimme deiner Generation bezeichnet. Wie empfindest du diese Bezeichnung? Und willst du mit deinen Gedichten bewusst Gleichaltrige ansprechen oder hast du eine andere Zielgruppe?
Ich bin vor allem meine eigene Stimme. So wie jeder Mensch seine eigene Stimme ist und zusammen bilden wir eine Gesellschaft aus verschiedenen Generationen. So würde ich mich einordnen. Ich glaube, dass ich Urfragen anspreche, die alle Menschen verbindet. Zu meiner Tour kommt auch mal ein 11-jähriger Junge oder eine 70-Jährige. Die Gedanken, die ich ausspreche, scheinen viele Menschen in sich zu haben. Ich bekomme auch wahnsinnig viel Feedback von Menschen, die doppelt so alt oder nur zwei Drittel so alt sind wie ich. Fragen wie „Was mache ich eigentlich mit meiner Zeit?“ oder „Wieso fühle ich mich manchmal einsam, obwohl ich gar nicht alleine bin?“, sind Fragen, die jeder nachvollziehen kann.
Immer mehr Gedichte wie zum Beispiel „Grapefruit“ aus deinem aktuellen Buch „Jetzt Baby“ trägst du als musikalische Werke vor. Kommen Songs besser an als Gedichte oder was ist der Grund dafür?
Es gibt kein Medium, das besser oder schlechter ist. Auch Bilder und Fotografien bewegen mich. Ich illustriere meine Bücher selbst, da ich in meinem ganzen Leben schon gerne gemalt und gebastelt habe. Und genauso mache ich schon ganz lange Musik, spiele Klavier und habe mir selbst Gitarrespielen beigebracht. Das war schon immer ein Teil von mir und jetzt habe ich angefangen, ihn mit auf Tour zu nehmen. Das ist wie bei einer Weinprobe: Zwischendurch mal an einem Kaffee riechen ist wie nach drei Gedichten auch mal einen Song zu hören. Ich werde immer Gedichte schreiben, aber ich mag eben auch Musik. „Grapefruit“ ist quasi aus Versehen entstanden und war eigentlich als Gedicht geplant. Dann konnte ich es aber nicht mehr sprechen, weil ich es immer gesungen habe. Vor kurzem habe ich bei Universal einen Plattenvertrag unterschrieben. Ich werde also nächstes Jahr ein Album rausbringen. Wie ich das angehen werde, weiß ich noch nicht. Ich bin mitten im Prozess und sehr gespannt darauf.
Bei einigen deiner Vorträge klingst du beinahe wie eine Rapperin. Könntest du dir vorstellen, einen richtigen Rapsong rauszubringen?
Ich habe viele starke Rhythmen, weil sie für mich zu den Bildern und Gefühlen passen, die ich vermitteln möchte. Ich höre gern Rap, zum Beispiel Käptn Peng. Ich mag Sprechgesang und Rhythmen, aber es kommt immer auf das Gefühl an. Melodie oder Rhythmus kommen dann von ganz allein dazu.
Deine Texte sind häufig sehr positiv und voller Hoffnung. Woher nimmst du die Kraft, Menschen zu sagen, dass alles gut werden wird und Traurigkeit vergeht, wenn man daran glaubt – und das in Zeiten wie diesen?
Ich sage das vor allem mir selbst. Ich kann nicht ändern, was andere denken oder wie sie ihr Leben betrachten. Die Freiheit, die ich habe, ist meine gedankliche Freiheit und die Art, wie ich Dinge betrachte, ob positiv oder negativ. Klar passieren auch schlimme Dinge. Mit der Kraft meiner Gedanken kann ich zum Beispiel den Klimawandel nicht aufhalten oder die Tatsache, dass ich irgendwann sterben werde. Aber wenn ich mich auf Dinge konzentriere, die mir guttun, macht es das Leben schöner. Im Kopf ist so viel möglich, deswegen möchte ich mich dieses Raums auch bedienen.
2014 hast du dein Gedicht „Erwachsen werden“ vorgestellt und generell spielt dieses Thema in deinem ersten Buch eine große Rolle. Würdest du jetzt, drei Jahre später, von dir behaupten, dass du erwachsen geworden bist?
Ich habe gerade gestern bei Wikipedia gelesen, dass man offiziell mit 25 Jahren das Ende der Jugend erreicht hat. Ich bin im Mai 25 geworden. Ich finde das ziemlich lang für die Jugend und dachte immer, dass man nur bis 21 als jugendlich gilt. Andererseits ist es ein ziemlich plötzliches Ende.
Mit 17 hatte ich ein anderes Gefühl zu diesem Thema und dachte: „Vielleicht bin ich nächstes Jahr erwachsen.“ Mein Bild vom Erwachsensein hat sich mittlerweile aber verändert. Ich muss nicht sagen können, was ich den Rest meines Lebens machen werde oder schon vier Kinder haben. Chaos und Fragen werden immer wieder aufkommen. Ich glaube nicht mehr daran, dass es plötzlich einen Tag gibt, an dem ich mich erwachsen fühle. Früher dachte ich immer, dass man durch ein magisches Tor geht, dann als Power Ranger wieder rauskommt und keine Fragen mehr zum Leben hat. Erwachsensein heißt, Verantwortung zu übernehmen, auch für seine eigenen Gedanken.
Seit 2006 schauspielerst du und hast zwischen 2010 und 2012 in der Soap „Alles was zählt“ auf RTL mitgespielt. Wieso bist du umgestiegen und konzentrierst dich nun nur noch auf deine Gedichte. Hast du die Schauspielerei von Anfang an nur als Sprungbrett gesehen?
Geschrieben habe ich schon immer, und seitdem ich 17 bin, schreibe ich Gedichte. Das geht für mich immer parallel zu allem, was passiert. Es war schon immer ein Hobby von mir, ähnlich wie joggen gehen. Ich wollte eine Zeit lang Schauspielerin werden. Dass ich zum Fernsehen gegangen bin, war für mich eine tolle Erfahrung. Ich fand es total spannend. Außer der Mathenachhilfe, die ich in der elften Klasse gegeben habe, war das mein erster Job. Ich bin in eine andere Stadt gezogen und hatte eine tolle Zeit. Dann wollte ich gerne studieren und nicht mehr hauptberuflich als Schauspielerin unterwegs sein. Ich habe mich nur für den Psychologie-Studiengang an der Bremer Uni beworben. Das war ein bisschen größenwahnsinnig, aber es ist glücklicherweise aufgegangen. Bei meiner Mutter habe ich das Psychologiestudium mitbekommen und finde die Fragen, denen man nachgeht, immer noch sehr interessant. „Warum bin ich so?“ und „Warum sind andere so?“, eben alles, was Denken, Fühlen und Handeln angeht. Ich bin keine Psychologin geworden, dafür aber umso glücklicher in meinem Traumjob, ohne dass ich vorher wusste, dass es ihn gibt.
Jetzt bist du ja im Moment in Leipzig? Kennst du die Stadt bereits und sagt sie dir zu?
Ich kenne sehr viele Bremer, die nach Leipzig gegangen sind. Bremen und Leipzig haben einen ähnlichen Vibe. Ich kenne sehr viele Leipziger, die Bremen mögen und umgekehrt. Ich war hier schon drei Mal im Haus Auensee. Das erste Mal mit Tim Bendzko und zweimal alleine, war schon einmal auf einem Theaterfestival und mein Bruder ist hier in der Nähe zur Schule gegangen. Von daher habe ich mehrere Verbindungen zu Leipzig. Im November komme ich zum ersten Mal ins Gewandhaus. Das habe ich mir heute angeschaut und es gefällt mir sehr.
Willst du noch irgendwas loswerden?
Ja. An dieser Stelle ganz liebe Grüße an meine Mutter.
LIVE: könnt ihr Julia Engelmann am 11. Oktober 2017 in der Stadthalle Magdeburg, am 9. November 2017 im Gewandhaus zu Leipzig, am 18. November 2017 im Admiralspalast Berlin und am 23. November 2017 im Kulturpalast Dresden erleben.