Im mittlerweile unüberschaubaren großen Ganzen gelingt es nur noch wenigen Bands und Künstlern ein Ausrufezeichen in puncto Eigenständigkeit zu setzen. Der Musikmarkt ist dermaßen gewachsen, dass lediglich bereits etablierte Acts oder vereinzelte „Glückskinder“ vom Radar des guten Geschmacks erfasst werden. Letztere freuen sich daher umso mehr, wenn es plötzlich heißt: Licht aus, Spot an, willkommen auf der großen Bühne! Auch Leah Fay und Peter Dreimanis tanzten einst vor Freude im Dreieck, als die internationale Hörerschaft ihr Debütwerk praktisch über Nacht auf den Indierock-Thron hievte. Das war vor ziemlich genau vier Jahren. Seitdem erklimmen die beiden July Talk-Gründer und ihre drei Gefolgsleute Ian Docherty, Josh Warburton und Danny Miles einen Highlight-Gipfel nach dem anderen. Mit ihrem zweiten Studioalbum „Touch“ will die aktuell wohl aufregendste Band der Gegensätze nun den nächsten Schritt gehen. Wie der genau aussieht, wohin er führen soll und was danach kommt, verrieten uns die beiden Bandleader Leah und Peter im Interview. Interview: Kai Butterweck
Leah, Peter, das Musikbusiness ist hart und schnelllebig. Mehr denn je müssen Bands und Künstler Alleinstellungsmerkmale in die Waagschale werfen, um am Ende des Tages bei den Leuten da draußen im Gedächtnis zu bleiben. Ihr scheint diesbezüglich die perfekte Mixtur am Start zu haben, oder?
Peter Dreimanis: Wir stechen schon ein wenig aus der Masse heraus, das stimmt. Aber am Ende zählt nicht nur die Oberfläche. Man muss das, was man vorgibt zu sein, auch leben. Die Leute müssen merken, dass mehr dahinter steckt. Das ist die große Kunst.
Peter erinnert auf der Bühne an den röhrigen Tom Waits, während du, Leah, stimmlich den Part einer Elfe einnimmst. Eine Melange, die fasziniert, aber gleichzeitig auch viele Reizpunkte setzt. Wie oft kommt ihr beide euch eigentlich in die Haare, wenn es beim Schreiben neuer Songs um die Stimmaufteilung geht?
Leah Fay: Ehrlich? Eigentlich niemals. Wir flehen den anderen eher an, noch eine Strophe dranzuhängen, weil es so geil klingt. (lacht)
Peter Dreimanis: Wir sind anders als die anderen. Das wissen wir. Das hat jetzt nichts mit Hochnäsigkeit zu tun. Es ist einfach so. Damit es aber funktioniert, muss jeder einzelne in der Band seinen Part ausfüllen. Und das kriegen wir bisher ganz gut hin.
Ganz gut ist ein bisschen untertrieben. Es gibt diverse einschlägige Redaktionen, die euer zweites Album als spannendste und wichtigste Neuveröffentlichung des Jahres ankündigen.
Leah Fay: Das freut uns natürlich. Aber wir stehen in unserer Entwicklung erst am Anfang. Diesen Hype um uns herum versuchen wir weitestgehend auszublenden. Wir konzentrieren uns einfach nur auf uns und unsere Musik. Letztere soll weiter wachsen. Wir haben diesmal versucht, die Live-Energie noch mehr einzubinden.
Apropos Musik: Die lässt sich nur schwer kategorisieren. Indierock? Alternative? Bluesrock mit Pop-Appeal? Wie würdet ihr euren Sound beschreiben?
Peter Dreimanis: Das ist zum Glück nicht unsere Aufgabe. Ich denke auch, je weniger man sich als Band mit Genres beschäftigt, desto spannender klingt das Endresultat. Ich komme ja eher aus dem härteren Rockbereich. Leah hingegen hat ihre Wurzeln in der Performance-Kunst. Da kann man sich auch nicht einfach hinsetzen und die Frage stellen: Wie wollen wir jetzt eigentlich klingen? Man muss die Dinge einfach laufen lassen. Und genau das tun wir auch.
Lief das von Anfang an so? Erzählt doch mal von eurem ersten Zusammentreffen. Das müssen doch magische Momente im Proberaum gewesen sein.
Leah Fay: Für mich war es eher eine Tortur. Ich fühlte mich zu Beginn so hilflos und ungelenk neben Peter und seiner markanten Stimme.
Peter Dreimanis: Irgendwann explodierte sie dann aber. Sie sprang rum, jauchzte und fauchte ins Mikrofon und hüpfte wie ein Flummi durch den Proberaum. Da wusste ich: Das hier wird etwas ganz Besonderes.
Eure Mixtur zündet nicht nur auf Platte. Auch live geht bei euch die Post ab. Beschreibt doch mal das, das einen erwartet, wenn man sich ein Ticket für eine eurer Shows besorgt.
Leah Fay: Das können wir, ehrlich gesagt, gar nicht; denn jedes Konzert ist anders. Wir haben kein Live-Konzept im Hinterkopf, wenn wir auf die Bühne gehen. Wir gehen einfach raus und präsentieren uns als die Menschen, die wir gerade sind.
Peter Dreimanis: Wir lassen die Stimmung auf und vor der Bühne das Ruder übernehmen. Spontanität ist das A und O. So kommt es, dass Shows sehr gesittet zugehen, während andere Konzerte ein wenig aus den Bahnen laufen. (lacht) Wir lassen uns da selber immer wieder gerne überraschen. Es geht einfach nicht ehrlicher. Und für uns steht Ehrlichkeit ganz oben auf der Liste, wenn es um Kunst im Allgemeinen geht.
Bei so viel Aus-dem-Bauch-heraus-Tatendrang müsste die Liste der unvergesslichen Live-Momente doch mittlerweile endlos sein, oder?
Leah Fay: Es gibt immer wieder Augenblicke, die lange nachwirken. Manchmal ist mir beispielsweise nach besonders viel Körperkontakt zumute. Dann geh ich einfach ins Publikum und nehme die Leute in den Arm. Manchmal springe ich auch einfach nur auf der Bühne umher und vergesse alles um mich herum. Wichtig ist einfach nur, dass wir keinen vorgefertigten Standards folgen. So ist dann im Grunde jedes einzelne Konzert ein Unikat.
Peter Dreimanis: Die Leute haben das auch ziemlich schnell begriffen. Auch sie lassen sich mittlerweile einfach fallen. Das ist ein tolles Gefühl.
Leah Fay: Ich kann mich beispielsweise noch an einen Abend erinnern, wo ich mit Regenbogenfarben im Gesicht aufgetreten bin. Ein paar Tage später grinsten mich dann in einer ganz anderen Stadt plötzlich mehrere Dutzend Regenbogengesichter vor der Bühne an. Das war so ein Moment, in dem mir klar wurde, dass die Leute im Herzen und in Gedanken bei uns sind.
Am 19. September gastiert ihr im Berliner Lido. Berliner sind ja im Allgemeinen bekannt für ihre spontane Ader. Vorfreude pur?
Leah Fay: Auf jeden Fall. Ich liebe die Stadt. Sie ist so voller Gegensätze. Genau wie wir. Das passt. Wir sind definitiv schon sehr gespannt und können es kaum erwarten.
Infos: Am 9.9. erscheint das Album „Touch“, am 19.9. spielen July Talk im Lido.