Kürzlich bei einem Konzert im Café Lieschen Müller in Prenzlauer Berg: in einer Ecke des kleinen Ladens in der Christburger Straße haben sich die beiden Norweger Stein Urheim und Mari Kvien Brunvoll eingenistet, um ein paar Songs aus ihrem aktuellen Album, das auf dem Jazzland-Label des umtriebigen Bugge Wesseltoft erschien, vorzustellen. Im Publikum: junge, hippe Menschen aus der Nachbarschaft. Mit und ohne Bart. Aber definitiv ohne Whisky und Zigarre.
Text: Matthias Kirsch
Das Jazzpublikum ist jünger geworden, nicht zuletzt dank vieler Clubs, Bars und Restaurants, die sich regelmäßig Künstler einladen und dem Publikum zusätzlich zu handgemachten Brownies und Craft Beer Livemusik anbieten wollen. Und so kann man im Schöneberger Zig Zag Jazz Club in der Hauptstraße in gemütlicher Wohnzimmeratmosphäre den vielen neuen und neu zugezogenen Berliner Jazzmusikern lauschen. Die Bandbreite reicht hier von traditionellen Jam Sessions bis hin zu brasilianischen Abenden. Die zeitliche Nähe zum großen Jazzfest Berlin, vor kurzem mit der 51. Ausgabe über die Bühne gegangen und mit einem deutlich älteren Publikum, war vielleicht nicht ganz zufällig gewählt.
Kurt Rosenwinkel lehrt Jazz in Berlin
Der Gitarrist, Komponist und Professor Kurt Rosenwinkel, der vor einigen Jahren aus New York nach Berlin zog und hier am Jazz Institut lehrt, trat erst kürzlich bei einem Mini-Festival im Zig Zag auf, wo man uner anderen auch eine seiner Schülerinnen, Johanna Weckesser, erleben konnte. Bei Rosenwinkel mag es Berufung gewesen sein, bei vielen anderen Musikern ist es schlicht eine Notwendigkeit, ihre Stadt zu verlassen, wo die Mieten nicht mehr bezahlbar sind, um dann nach Berlin zu kommen. Nirgendwo sonst in Europa tummeln sich derart viele Musiker von hohem Niveau – die Szene wird globaler durch den Austausch vieler verschiedener Kulturen und Szenen.
Auch Sängerin Judy Niemack verschlug es bereits Mitte der 90er Jahre nach Berlin – sie kam aus New York und wurde hier die erste Professorin für Jazzgesang. Stile verschwimmen, ideologische Kämpfe gehören der Vergangenheit an und die sogenannte Jazzpolizei hat auch nichts mehr zu sagen. Die Mischung macht‘s – auch und gerade in Berlin. Der 85jährige Rolf Kühn, der schon mit allen gespielt hat, bleibt neugierig und offen wie in seiner Musik. Ihn kann man auch heute noch regelmäßig bei Konzerten verschiedenster Art sehen. Vorbei die Zeiten, als der Jazz auch hier in die akademische Ecke gedrängt wurde.
Vielfältige Jazzlandschaft
Vorbei auch die große Zeit des Quasimodo, wo man über viele Jahre an sieben Tagen der Woche international hochkarätige Musiker erleben durfte. Jetzt sind diese hochkarätigen Musiker in Berlin beheimatet und spielen in Läden wie dem Badehaus Szimpla in Friedrichshain oder im Donau115 in Neukölln, wo zum Beispiel der Bassist Greg Cohen häufiger auftritt. Wieder einer der Musiker, die aus den USA nach Berlin gekommen sind, um hier zu bleiben und sich mit den hiesigen Musikern auszutauschen. All diese relativ neuen Clubs haben die ohnehin schon vielfältige Berliner Jazzlandschaft auf jeden Fall bereichert. Kaum einer der älteren, etablierten Clubs musste irgendwelche Abstriche machen oder sich um Publikumverlust
Sorgen machen. Der Jazzkeller 69 e.V. ist im Aufsturz in der Oranienburger Straße nach wie vor für den eher freieren Avantgarde Jazz zuständig, das über 100 Jahre alte Yorckschlößchen in Kreuzberg fühlt sich seit jeher der Tradition verbunden und bietet Swing, Dixie, und Old School Jazz, und das auch international hoch gelobte und gepriesene ATrane in Charlottenburg bleibt ein Garant für feinsten Modern Jazz, sowohl mit Berliner als auch mit internationaler Mitwirkung. Dass die Grenzen verschwimmen und der Jazz in Berlin ein immer jüngeres, aufgeschlosseneres Publikum findet, sieht man auch an der Erfolgsgeschichte des XJAZZFestivals.
Seit der ersten Ausgabe im Mai 2014 avancierte es zum größten Jazzfestival der Stadt mit über 10.000 Besuchern. 75 % der Bands sind lokale Künstler und das Besondere am Festival ist der Umstand, dass sich hier ausschließlich Kreuzberger Lokale und Clubs gefunden haben, die jedes Jahr für vier Tage im Mai einem neugierigen und völlig lässigen Publikum ihre Türen öffnen, um hier die ganze weite Bandbreite des Genres, von elektronisch beeinflusstem zeitgenössischem Jazz über neuer, klassischer Musik bis hin zu Singer/Songwriter, abzubilden und Kreuzberg so zum absoluten Jazz Hot Spot etablieren.
Empfehlung: Jazz-Clubs in Berlin
B-FLAT
Das b-flat in Mitte gibt es seit 1995. Das Lokal mit der großen Fensterfront zur Rosenthaler Straße bietet ein breit gefächertes Programm. Hier kann man von modernem Berliner Jazz über internationale Big Bands bis hin zu Hip Hop und World Music alles aufsaugen. Akustik und Innendesign spielen eine große Rolle. Bester Platz: vorne links am Tresen. www.b-flat-berlin.de
ZIGZAG
Der gemütliche Club am südwestlichen Ende der Schöneberger Hauptstraße ist der jüngste der Stadt. Neben der obligatorischen Jam Session findet hier auch ein Jazzbrunch statt und in diesem Jahr erstmals ein Festival mit internationaler Besetzung. Jazz, Soul, Brazil und Funk stehen auf dem Programm. Sehr stilvoll. Und günstig außerdem, es kostet keinen Eintritt. www.zigzag-jazzclub.berlin
A TRANE
Tradition und Moderne, Late Night Jam Sessions mit den besten Berliner Musikern und internationale Top Acts sind das Markenzeichen. Der kleine Club für etwa 100 Gäste im SavignyKiez in Charlottenburg bietet exzellente Akustik und eine warme Inneneinrichtung. Mittlerweile gibt es in der Grolmanstraße auch das dazugehörige Café. Unbedingt reservieren! www.a-trane.de